Samstag, 9. März 2019

Atomkraftwerk Brokdorf

Atomkraftwerk Brokdorf
Das deutsche Atomkraftwerk Brokdorf (KBR) befindet sich nahe der der Gemeinde Brokdorf im Kreis Steinburg in Schleswig Holstein.

Es verfügt über einen Druckwasserreaktor (DWR/PWR) der 3. Druckwasserreaktor-Generation in Deutschland, den Vor-Konvoi-Anlagen. Mit einer Nettoleistung von 1,41 GW und wurde im Oktober 1986 in Betrieb genommen.

Gefüttert wird der Reaktor mit Urandioxid-Brennelementen, die in Anreicherungsgraden von 1,9, 2,5 und 3,5 Prozent eingesetzt werden. Auch Mischoxid-Brennelemente (MOX-Brennelemente), die Plutonium aus der Wiederaufarbeitung enthalten, werden verwendet. Im Reaktor des Atomkraftwerks befinden sich 193 Brennelemente mit einem Schwermetallgewicht von insgesamt 103 Tonnen.

Das Atomkraftwerk Brokdorf hat eine thermische Leistung von 3.900 Megawatt und eine elektrische Nettoleistung von 1.410 MW. Das AKW ist mit seiner 1480 MW Bruttoleistung eines der leistungsstärksten Atomkraftwerke in Deutschland.

Der Netzanschluss erfolgt auf der 380-kV-Höchstspannungsebene in das Netz des Übertragungsnetzbetreibers Tennet TSO.

Die endgültige Abschaltung des Atomkraftwerks Brokdorf muss laut Atomgesetz spätestens am 31. Dezember 2021 erfolgen.

Geschichte

1972. Die Kraftwerk Union AG beschließt ein Atomkraftwerk bei Brokdorf zu bauen.

Mitte der 1970er Jahre wuchs die Skepsis in der Bevölkerung. Bei der Planung des Atomkraftwerkes in Brunsbüttel (Projektbeginn 1969) gab es nur sieben Einwendungen. In Brokdorf (Projektbeginn 1975) sind es mehr als zwanzigtausend. Das geht auch an der SPD Schleswig-Holstein und ihrem Vorsitzenden nicht vorbei. Von hier kommt der Impuls zum Umdenken innerhalb der SPD. Jochen Steffen ist überzeugt: "Wenn die Kritiker der Atomkraft auch nur zu 20 % Recht haben, dürfen wir dieses Risiko nicht mehr eingehen."

1. Januar 1976. Es wird mit ersten Bauarbeiten für das AKW Brokdorf begonnen.

25. Oktober 1976. Unter strengster Geheimhaltung wird im CDU-geführten Sozialministerium am Nachmittag des  die erste Teilerrichtungsgenehmigung zum Bau des Atomkraftwerks Brokdorf erteilt. Man ordnet den Sofortvollzug an.
Diese Wendung verändert auch die Diskussion. Im Landtag sagt Klaus Matthiesen: "Brokdorf ist das erschreckende Symbol für ein technokratisches Staatsverständnis und für falsches Regierungshandeln. Und dies wird von uns nicht mitgetragen, und an diesem Punkt gibt es keine Gemeinsamkeit." Damit legte er - anders als der SPD-Landesvorstand - das Schwergewicht auf verfahrenstechnische und gesellschaftspolitische Aspekte, nicht auf den energiepolitischen Aspekt.

29. Oktober 1976. Bereits jetzt findet eine Großdemonstration in Brokdorf statt. An der Baustelle demonstrieren etwa 30.000 Menschen gegen das geplante Atomkraftwerk. Dabei kommt zu heftigen Gefechten zwischen Polizei und Demonstranten.

13. November 1976. Es kommt zur zweiten Großdemonstration in Brokdorf. Die Auseinandersetzungen am Bauplatz eskalieren, der Polizeieinsatz wird härter, die Diskussion um Polizei, Demonstrationsrecht, Rechtsstaat verschärft sich. Die Jusos und Teile der Landtagsfraktion schließen sich den Protesten an. Ganz vorne mit dabei ist der Landesvorsitzende Günther Jansen. Der Landesgeschäftsführer Rolf Selzer schreibt später in seinen Erinnerungen:

"[...] Jansen [trug] sein Bekenntnis "Atomkraft - Nein Danke!" offen zu Schau. Er beteiligte sind in der ersten Reihe an Demonstrationen der Atomkraftgegner zum bevorstehenden Bau des Atommeilers in Brockdorf [sic!]. Der von CDU-Innenminister Dr. Dr. Uwe Barschel [Anm: Zu dieser Zeit ist Rudolf Titzck Innenminister] demonstriert Stahlhelm- und Knüppelgewalt, seinen über Menschenmengen hinwegmahlenden Hubschraubern und den mit vergiftetem Wassern schießenden Wasserwerfern der Polizei setzt Jansen Widerstand durch persönliche Teilnahme entgegen. Er scheut auch nicht davor zurück, Strafanzeige gegen besonders eifrigen Polizeieinsatz zu erstatten. Nicht einmal dann, wenn einer der verantwortlichen Einsatzleister der Polizei ein Familienangehöriger gewesen ist."

Günther Jansen erstattet Strafanzeige gegen Landesinnenminister Rudolf Titzck (CDU).

17. Dezember 1976. Das Verwaltungsgericht Schleswig verhängt eine Bauunterbrechung.

 Brokdorfdemo
9. Februar 1977. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg verfügt über einen unbefristeten Baustopp, weil die Entsorgung noch nicht geklärt ist.

14. Februar 1977. Die dritte Großdemonsration in Brokdorf findet statt.

18. April 1977. Auf Antrag von MdB Reinhard Ueberhorst beschließt der Landesvorstand der SPD Unterstützung für die Bundestagsabgeordneten "in ihren Bemühungen, keine Haushaltsentscheidung zu fördern, die einen Ausbau der Atomenergie, insbesondere der sogenannten Schnellen Brüter, festschreiben könnte". 7 der 10 Bundestagsabgeordneten aus Schleswig-Holstein haben angekündigt, den Haushalt des Bundesministers für Forschung und Technologie abzulehnen. Sie erreichen immerhin eine Sperrung der Mittel für den Brüter, die erst aufgehoben werden soll, wenn ein Fragenkatalog des Technologie-Ausschusses zufriedenstellend beantwortet ist.

Anfang 1979. Brokdorf wird bei der Landtagswahl 1979 zum bestimmenden Thema. Erstmals sind auch die GRÜNEN dabei. Günther Jansen sagt:

"Die SPD Schleswig-Holstein ist eine der wenigen, wenn nicht die einzige Parteiorganisation, die glaubwürdig Wahlkampf auch gegen die 'Grünen Listen' machen kann und wird. Diese Glaubwürdigkeit ist das Ergebnis der konsequenten Konfliktbereitschaft, eine programmatische Aussage - wie z.B. die Baustoppforderung für KKW - auch dann durchzuhalten und zu vertreten, wenn man dafür öffentlich Prügel gar des eigenen Bundeskanzlers befürchten muss... Die Wähler in diesem Land sollen wissen und sich darauf verlassen können, dass eine SPD-geführte Landesregierung in Schleswig-Holstein den Bau von Atomkraftwerken in diesem Land verhindern wird."

27. März 1979. Im AKW Three Mile Island kommt es zu einer Kernschmelze, die vielen Menschen zum ersten Mal die Gefahren der Atomkraft vor Augen führt. In einem Beitrag für die Zeitung am Sonntag im April schreibt der SPD-Parteivorsitzende Willy Brandt:

"Der dramatische atomare Unfall in Harrisburg hat auch bei uns die Diskussion um Nutzen und Gefahren der Kernenergie neu entfacht. Die Konsequenzen, die aus der Beinahe-Katastrophe in den USA zu ziehen sind, können noch nicht von A bis Z durchbuchstabiert werden. Aber für die politisch Verantwortlichen ist es immer noch an der Zeit, Entscheidungen der Vergangenheit neu zu überprüfen.
Die SPD hat im November 1977 festgehalten: "Es muss die Option, künftig auf Kernenergie zu verzichten, geöffnet werden." Inzwischen, nach Harrisburg, sind wir noch ein Stück erfahrener. Deshalb müssen wir verstärkt alle Kapazitäten in der Forschung nutzen, um einerseits nach Wegen zu suchen, die Risiken, die mit der Nutzung der Kernenergie verbunden sind, weiter zu vermindern, und um andererseits alternative Möglichkeiten der Energiegewinnung zu finden. Vor allem aber werden wir viel mehr als bisher tun müssen, um mit der verfügbaren Energie sparsamer umzugehen.
Die deutschen Sozialdemokraten kennen ihre Verantwortung für möglichst gesicherte Arbeitsplätze und ein humanes, möglichst stabiles Wachstum. Also treten wir ein für eine vorausschauende Energiepolitik, die dafür eine unentbehrliche Voraussetzung ist.
Aber wir können nicht die Augen verschließen vor den Risiken der Atomenergie. Deshalb müssen wir bereit und fähig sein, neue Fragen zuzulassen. Keine politische Kraft darf sich dem entziehen. Denn wie wir es beschlossen haben und wie es auch Helmut Schmidt für die Bundesregierung festgestllt hat: Der Schutz von Leben und Gesundheit der Bürger muss vor allen anderen Erwägungen Vorrang haben."

29. April 1979. Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Die SPD verliert zwar die Wahl, erreicht aber mit 41,7 % ihr bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl seit 1947. Ein Mandat fehlt zur Mehrheit. Die GRÜNEN bekommen nur 2,4 % der Stimmen und verfehlen den Einzug in den Landtag. Die SPD sieht sich durch die Kandidatur der GRÜNEN um die Regierung gebracht.

Frühjahr 1980. Das Freibad der Gemeinde Brokdorf wird eröffnet als politisches Geschenk und Symbol für die kleine Gemeinde, das Vertrauen in den Bau des benachbarten AKW stiften soll. Das Land Schleswig-Holstein hat das 6,62 Millionen D-Mark teure Freizeitvergnügen "großzügig gefördert".

März 1980. Für Bundeskanzler Helmut Schmidt ist der Fall klar. Er schreibt an [CDU-]Ministerpräsident Gerhard Stoltenberg: Es "kann kein Zweifel bestehen, daß auch der Bau des Kernkraftwerks Brokdorf mit der energiepolitischen Zielsetzung des Energieprogramms der [SPD] Bundesregierung in Einklang steht". Durchsetzen möchte Schmidt das aber nicht mehr. Anfang 1981 hatte sich

Hans-Ulrich Klose (SPD)
25. Mai 1980. Hamburgs Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) tritt unter anderem deshalb zurück weil  er den Ausstieg aus dem AKW Brokdorf gegen Teile der SPD-Führung in Hamburg nicht durchsetzen kann.

September 1980. Helmut Schmidt sagt auf der Münchner Weltenergiekonferenz: "Wir haben in Wirklichkeit auf der ganzen Welt die technischen Probleme der Entsorgung noch nicht befriedigend gelöst... Und wenn ich das einmal sagen darf an die Vertreter der Industrie: Hier ist ein Feld, in dem die Regierungen und die Parlamente der Welt von Ihnen nicht rechtzeitig Hinweise bekommen haben auf die Probleme, die sich auftun würden." Der Bundesvorstand zieht sich darauf zurück, dass die Umsetzung des Energieprogramms eine "regionale Entscheidung" sei. Und der SPD Schleswig-Holstein ist es ernst:

"Schmidts Parteifreunde Jansen und Matthiesen, das Führungsduo im nördlichsten Bundesland, beziehen genau die gleiche Position. Ihr "Nein" zu Brokdorf steht unerschütterlich fest, selbst um den Preis des Machtverzichts in Kiel: Eine Pro-Brokdorf-FDP könne nach den Landtagswahlen 1983 für sie kein Koalitionspartner sein."

Ende 1980. Es wird nach dem ungefähr vierjährigen Baustopp bekannt das wahrscheinlich am AKW Brokdorf weitergebaut wird. Daraufhin werden größere Proteste angekündigt und der Landrat von Itzehoe erlässt ein Demonstrationsverbot.

Anfang 1981. Auch die SPD in Bremen, Niedersachsen und Hamburg spricht sich gegen Brokdorf aus.

22. Januar 1981. Das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg hebt den Baustopp auf weil es angeblich Fortschritte in der Lösung der Endlagerfrage gegeben haben soll. Daraufhin kündigen Atomkraftgegner eine Großdemonstration für den 28. Februar an, die der Landrat des betroffenen Kreises Steinburg für die gesamte Wilster Marsch verbieten lässt.

Frühjahr 1981. Am AKW Brokdorf wird weitergebaut.

27. Februar 1981. Das Verwaltungsgericht Schleswig hebt das Demonstrationsverbot zum größten Teil auf. Nur wenige Stunden später - in der Nacht zum Samstag, als bereits zahlreiche Demonstranten angereist sind  - verhängt das Oberverwaltungsgericht Lüneburg erneut ein Demonstrationsverbot für die ganze Region.

Samstag, 28. Februar 1981. In der Wilstermarsch nehmen trotz Demonstrationsverbot bei Minusgraden ungefähr 100.000 Menschen an der bis zum jetzigen Zeitpunkt größten Demo gegen Atomenergie in Deutschland teil. Auch der Einsatz von rund 10.000 Polizisten ist ein Rekord. Über Norddeutschland fegt ein eisiger Ostwind hinweg.
Ungefähr 10.000 Polizisten versuchen vergeblich, einen teil der Demo, die vom Landrat verboten worden ist, zu verhindern. Die Polizei, die damit rechnet, dass die Protestierenden versuchen werden, zum Baugelände zu gelangen, hat großräumige Straßensperren errichtet. So blockiert sie etwa stundenlang die A 7 in der Nähe des Horster Dreiecks für Fahrzeuge, die aus Süden kommen, und errichtet eine Straßensperre in Itzehoe. Viele Atomkraftgegner erreichen trotzdem ihr Ziel - sie haben in der Region übernachtet, kommen mit der Bahn oder umgehen die Sperren.
Um 10 Uhr findet eine Auftaktkundgebung des Bundesverbands Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) in der Stadt Wilster mit etwa 10.000 Teilnehmern statt. Nach deren Ende setzen sich die Demonstranten in zwei Märschen in Richtung Brokdorf in Bewegung. Eine Gruppe wählt den Weg über Dammfleth. Dort hat die Polizei eine Sperre aus Containern errichtet. Demonstranten, die sich einzeln auf Waffen kontrollieren lassen, werden allerdings durchgelassen. Später wird die Sperre ganz aufgehoben.
Etwa 35.000 Demonstranten kommen schließlich bis zum bewachten Baugelände durch. Viele haben die Sperren umgangen und sich einen Weg über Felder und zugefrorene Gräben gebahnt. Alles verläuft friedlich, bis es am Nachmittag direkt am Bauzaun zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Während ein Großteil der Protestler bereits den Rückweg angetreten hat, werfen circa 3.000 militante Demonstranten Steine, Brandflaschen und Wurfgeschosse gegen die Beamten. 
Die Polizei setzt Tränengas, Wasserwerfer und Hubschrauber ein und vertreibt die Demonstranten aus der Umgebung des Baugeländes. Der weitere Rückzug der Atomkraftgegner verläuft ohne größere Zwischenfälle. 
128 Polizisten und ungefähr eben so viele Demonstranten werden bei den heftigen Krawallen verletzt. Durch die Polizei werden verschiedene Waffen sichergestellt.

14. Mai 1985. Die Richter vom Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe legen ihr Votum vor. Im sogenannten Brokdorf-Urteil kommen sie zu dem Schluss, dass das Verbot der Demonstration 1981 unzulässig ist. Friedfertige Bürger hätten ein Recht auf Versammlungsfreiheit. Dieses bleibe auch dann erhalten, wenn mit Ausschreitungen Einzelner oder einer Minderheit zu rechnen sei. Ein später Sieg für die Demonstranten.

26. April 1986. Beginn der Atomkatastrophe von TschernobylAls Hans-Jochen Vogel (Chef der SPD-Bundestagsfraktion) danach im Bundestag die Abkehr von der Atomenergie fordert, wird er von den Abgeordneten von CDU und CSU verspottet. Lächerlich sei das, heisst es, und unseriös. Im Parlament geht es hoch her, und Vogel sagt: "Ich glaube, [...] nach Tschernobyl ist nichts mehr so, wie es vorher war".

7. Juni 1986. Nach Beginn der Atomkatastrophe von Tschernobyl kommt es in Deutschland zu zwei bundesweiten Großdemonstrationen. Eine gegen die in Bau befindliche Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf und eine gegen das in Bau befindliche Atomkraftwerk Brokdorf das am 8. Oktober 1986 in Betrieb gehen soll. Die Kieler Landesregierung ist entschlossen, ein nicht mehr beherrschbares Demonstrationsgeschehen wie am 28. Februar 1981 in der Wilstermarsch unter allen Umständen zu verhindern. Beide Demonstrationen werden verboten. Dennoch demonstrieren an beiden Orten hunderttausende Menschen gegen Atomenergie.

Die Demonstranten treffen sowohl am Bauzaun als auch schon bei der Anfahrt auf exzessive Polizeigewalt.

Ein PKW- und Buskonvoi mit 10.000 AKW-Gegnern aus Hamburg wird im schleswig-holsteinischen Kleve von der Polizei aufgehalten. Die Beamten gehen schon bald dazu über, Reifen zu zerstechen und die Scheiben der Fahrzeuge einzuschlagen, was zu mehreren schweren Augenverletzungen bei Insassen führt. Wer vor den Schlägen aus den Fahrzeugen flieht, wird durch die Kolonne gejagt.

Mehr als 100 Menschen werden teilweise schwer verletzt und müssen ärztlich behandelt werden.

Die Demonstranten kehren am Abend unverrichteter Dinge in die Hansestadt zurück. Die Organisatoren haben schon einige Tage vorher verlauten lassen, wenn die Polizei die Anfahrt nach Brokdorf verhindere, würden die Teilnehmer sich am nächsten Tag, mittags auf dem Heiligengeistfeld treffen, um dann eben dort gegen das AKW Brokdorf zu demonstrieren. Diese Absicht ist der Polizei bekannt.

In der Polizeiführung werden die für diesen Fall denkbaren Einsatzmöglichkeiten durchgespielt, und eine Einschließung wird beschlossen, weil man jetzt glaubt, ein Exempel statuieren zu müssen, um erneuten Ausschreitungen vorzubeugen.

Sonntag, 8. Juni 1986. Aus Protest über die polizeilichen Maßnahmen kommt es heute auf dem Heiligen-Geist-Feld in Hamburg zu einer spontanen Protestdemonstration für „ein Recht auf Demonstration“ und „gegen Polizeiwillkür“. Diese Demo endet im später gerichtlich als verfassungswidrig eingestuften Hamburger Kessel. 861 Personen werden bis zu 13 Stunden lang innerhalb von Absperrketten von der Polizei festgehalten.

Gegen 12:15 Uhr. Auf dem Heiligengeistfeld vor dem Bunker an der Feldstraße haben sich 861 Atomkraftgegner eingefunden. Diese Versammlung ist nicht angemeldet. Die Hamburger Polizei hat vier Hundertschaften, rund 480 Beamte mit Schutzschilden, Helmen und Schlagstöcken, zusammengezogen und aus den benachbarten Bundesländern weitere Kräfte angefordert. Diese Einheiten, rund 600 Mann, treffen kurze Zeit nach den Demonstranten ein.

12:22 Uhr. Der Einsatzleiter der Polizei ordnet an: "Abteilungen fertig machen zum Einschließen, Versammlung ist notfalls unter Benutzung des Schlagstockes einzuschließen."

12:28 Uhr. Der Befehl ist ausgeführt. Im Kessel befinden sich dicht gedrängt 861 Personen. Auf eine Aufforderung, die Versammlung aufzulösen, verzichtet der Einsatzleiter. Die Polizei wird mit den ersten Steinen beworfen, jedoch nicht aus dem Kessel, sondern von außerhalb.

Ab 16:00 Uhr. Eingeschlossene werden ab 16 Uhr in kleinen Gruppen zu mehr als 20 Polizeirevieren in ganz Hamburg gebracht, dort verhört und häufig erst am späten Abend und in der Nacht entlassen.

Bis 17 Uhr. Den Eingeschlossenen wird der Gang zu einer nahe gelegenen Toilette verweigert, ebenso Getränke. Die im Kessel festgehaltenen Demonstranten müssen teilweise bis zu 13 Stunden in dieser Einschließung ausharren. In diesen 13 Stunden machen rund 40 Personen von dem Angebot der Polizei Gebrauch, sich zur Feststellung der Personalien in polizeiliches Gewahrsam zu begeben.

Während der gesamten Dauer des Kessels kommt es rund um das Heiligengeistfeld zu massiven Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Sympathisanten der Atomkraftgegner. Innensenator Rolf Lange bezeichnet die Eingeschlossenen als „Gewalttäter“, „polizeibekannte Sympathisanten der RAF“, „Leute aus der Hafenstraße und sogenannte Autonome“. Nach anderen Darstellungen handelt es sich um einen völlig wahllos herausgegriffenen Querschnitt durch die politische Landschaft, überwiegend aus dem „gemäßigten Spektrum“. Der Polizeibericht nennt insgesamt 838 Ingewahrsamnahmen und 22 Festnahmen, allerdings nur 15 eingeleitete Ermittlungsverfahren, sieben davon wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz.

In den Abendstunden, als noch immer hunderte Menschen im Kessel festsitzen, beschließen Taxifahrer den Eingekesselten beiseite zu stehen und bieten eine kostenlose Fahrt nach Hause an. Die Polizei greifft daraufhin nach 20 Minuten die ca. 30 bis 40 hupenden und blinkenden Taxis und vereinzelten Privatautos mit Gummiknüppeln an und zerstört vereinzelt deren Scheiben.

Der "Hamburger Kessel" wird für die Polizei zu einem völligen Fiasko – tatsächlich, politisch und juristisch. Das Verwaltungsgericht erklärt diese Maßnahmen für grob rechtswidrig. Das Urteil stellt fest, dass auch eine noch nicht zusammengetretene politische Versammlung vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt ist. Der Tenor des Urteils stellt insbesondere heraus:
  • Die Verhinderung einer Versammlung ist, soweit nicht von den im Versammlungsgesetz vorgesehenen Instrumentarien Gebrauch gemacht wird, im Versammlungsgesetz nicht vorgesehen und damit unzulässig.
  • Ebenso ist es vom Versammlungsgesetz nicht gedeckt und damit rechtswidrig, wenn die Polizei eine sich versammelnde Menschenansammlung, von der bis zu diesem Zeitpunkt keine Störungen ausgingen, umstellt, die einzelnen Teilnehmer daran hindert, den Platz zu verlassen und sie anschließend in Gewahrsam nimmt.
Die vier verantwortlichen Polizeiführer werden vom Landgericht Hamburg wegen 861-facher Freiheitsberaubung verwarnt. Die Verurteilung zur Geldstrafe bleibt vorbehalten. Das Landgericht spricht den Betroffenen 200 DM Schadensersatz zu – die Anwälte hatten nur 100 DM verlangt.

Dennoch entwickelt sich der Kessel in den Folgejahren bis heute zu einem beliebten Instrument polizeilicher Taktik.

Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) nennt diesen Tag den "schwärzesten Tag meiner Amtszeit".

Der Hamburger Kessel ist Auslöser zur Gründung des „Hamburger Signals“, einer Vereinigung Hamburger Polizisten, die sich öffentlich gegen diesen Polizeieinsatz aussprechen. Aus dem Hamburger Signal geht die Bundesarbeitsgemeinschaft kritischer Polizistinnen und Polizisten hervor.

Mittwoch, 11. Juni 1986. In der Bürgerschaftssitzung, kommt es zu einem Vorgang, der so beispiellos ist wie sein Anlass: Mehrere SPD-Senatoren des linken Parteiflügels kündigen dem Innensenator Rolf Lange (SPD) in offenen Briefen die Gefolgschaft auf und distanzieren sich vom Vorgehen der Polizei.

Die Regierungspartei SPD gerät wieder einmal in eine schwere Krise. Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD), der sich zunächst hinter die Polizeiführung gestellt hat, entschuldigt sich später für deren Maßnahmen. Innenstaatsrat Peter Rabels (SPD) tritt zurück.

12. Juni 1986. Vier Tage nach dem "Hamburger Kessel" demonstrieren etwa 50.000 Menschen angeführt von ca. 100 Taxis gegen Polizeiwillkür in Hamburg.

3. Oktober 1986. Das AKW Brokdorf erhält die Dauerbetriebsgenehmigung,

8. Oktober 1986. Das AKW Brokdorf wird als weltweit erstes AKW nach Beginn der Katastrophe von Tschernobyl  durch die Eigentümer PreussenElektra und HEW in Betrieb genommen.

14. Oktober 1986. Der Reaktor wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.

22. Dezember 1986. Das AKW geht in den kommerziellen Betrieb.

1991. Landesparteitag der SPD Schleswig-Holstein. Ministerpräsident Björn Engholm sagt in seiner Bewerbungsrede als Spitzenkandidat:

"Wir haben die Energieversorgung von den Konservativen geerbt, u.a. Brokdorf, Krümmel und Brunsbüttel; und damit die unverantwortliche Abhängigkeit vom Atomstrom; Fehlanzeige beim Energiesparen oder den erneuerbaren Energien. Unser Ziel war 1988 eine moderne, möglichst risikoarme Energieversorgung. Die Erfolge kann man bei uns von der Westküste bis zur Lübecker Bucht sehen. Schleswig-Holstein ist in Deutschland die Nr. 1 bei der Windenergie. Wenn es um umweltfreundliche Nah- und Fernwärme geht oder um Schrittmacherdienste bei der dezentralen Erzeugung von Strom und Wärme - wir stehen in vorderster Linie. Und wie kluge Köpfe auch zusammen mit einem Stromriesen Energie sparen können, haben wir mit dem VEBA-Vertrag vorgemacht. Unsere Energiepolitik ist ein Markenzeichen der ökologischen Erneuerung Schleswig-Holsteins. Das Ziel ist schwer, aber unrevidierbar: Die Energieversorgung der Zukunft wird eine ohne Kernenergie sein. Niemand will das mehr als wir. Und niemand hat mehr dafür getan. Aber der Wille eines Landes allein kann keine Kernkraftewerke aus der Welt schaffen. Grundlegende politische und gesetzgeberische Veränderungen in Bonn müssen dazukommen. Sonst wird, beim besten Willen, unser Zeitplan zu eng. Wir schaffen ein Energiesparprogramm für alle öffentlichen Gebäude. Regenerative Energien werden weiter ausgebaut. Wer heute sein Haus mit geschlossenen Kreisläufen und optimaler Energieeinsparung baut, wird verstärkt gefördert werden: Wir wollen nicht nur für den Ausstieg stehen - wir wollen auch zeigen, dass es ohne Kernenergie geht."

Juli 1992. In Block 2 kommt es zu einem ernsten Störfall. Beim Wiederanfahren des Reaktors nach einer Revision entsteht ein Leck im Kühlkreislauf. Dabei werden durch das ausströmende Wasser etwa 200 Kilogramm faseriges Isoliermaterial von den benachbarten Rohren gerissen. Weil das ausströmende Wasser vom Reaktorsumpf wieder hochgepumpt wird, kommt es in den Sieben vor den Notpumpen zu Verstopfungen und mit der Zeit versagt das Pumpsystem. Durch eine zeitweise Umkehrung der Pumprichtung kann die Verstopfungen nach einigen Stunden wieder gelöst werden. Danach können die Pumpen wieder mit voller Leistung arbeiten. Weil der Reaktor erst in der Hochlaufphase ist, entsteht in dieser Zeit kaum Nachzerfallswärme.

Ursache für die Beinahekatastrophe ist eine besondere Konstruktion bei Druckwasserreaktoren. In Deutschland könnte es in acht AKWs (GrohndeUnterweserEmslandNeckarwestheimPhilippsburgIsar 2Grafenrheinfeld und Brokdorf) zu ähnlichen Vorfällen kommen.

Das Kühlmittel wird in einem geschlossenen System, dem Hauptkühlmittelkreislauf geführt. Von den Hauptkühlpumpen wird es im Reaktordruckbehälter von unten nach oben durch den Reaktorkern gepresst. Das Kühlmittel heizt sich dabei auf bis zu 320°C auf. Wegen dem Druck von ca. 160 bar im Reaktordruckbehälter siedet das Wasser jedoch nicht. Es gelangt durch Rohrleitungen zu den Dampferzeugern. Dort geht die Wärme auf das Wasser des Sekundärkreislaufs über. Dort ist der Druck nicht so hoch. Daher kocht dort das Wasser und der Dampf treibt schließlich die Turbine zur Stromerzeugung an.
Wenn durch einen Schaden (z.B. ein Leck) Wasser aus dem Primärkreislauf austritt verringert sich die Kühlung und der Reaktorkern kann überhitzen. Nach etwa 35 Minuten fängt der Kern an zu schmelzen. Nach ungefähr 1 Stunde haben sich 80% des Kernmaterials verflüssigt und auf dem Boden des Druckbehälters angesammelt. Danach ist es nur noch eine Frage der Zeit ist bis sich die Kernschmelze durch den Boden frisst und an die Umwelt gelangt.
Notkühlsysteme sollten daher bei einem derartigen Störfall die Kernschmelze verhindern. Dazu gehören Druckspeicher. Aus denen wird passiv Wasser in den Kühlkreislauf gepresst, sobald der Druck darin unter einen bestimmten Wert fällt. Auch das eigentliche Notkühlsystem gehört dazu. Dieses soll das durch das Leck aussträmende Wasser im Reaktorkern nachliefern. Um die Kühlung über längere Zeit aufrechterhalten muss das Kühlmittel im Reis geführt werden. Daher wird das Wasser welches sich am Grund des Sicherheitsbehälters, dem sogenannten Reaktorsumpf, ansammelt von Pumpen zurück nach oben befördert.
Wenn nun Wasser mit hohem Druck durch ein Leck schießt, kann es Isoliermatterial (z.B. Mineralwolle) welches zur Isolation von Rohrleitungen dient zerfetzen. Im Sicherheitsbehälter gibt es einige Rohre die getroffen werden können. Die Bruchstücke des Isoliermaterials wird daraufhin vom ablaufenden Wasser in den Reaktorsumpf gespült. Von dort aus geht es in den Kühlkreislauf. Dort können größere Teile und Bruchstücke der Leitungsrohre die Kühlpumpen beschädigen. Daher sollen Siebe im Reaktorsumpf solche Trümmer zurückhalten. Siebe können jedoch verstopfen und der Kühlkreislauf ist unterbrochen.

Danach wurde von AKW-Betreibern und Aufsichtsbehörden versucht, das Problem mit konstruktiven Änderungen an den Sumpfsieben in den Griff zu bekommen. Diese wurden in Deutschland u.a. vergrößert und die Maschenweite zugleich verringert. Experimente die vom französischen Atomkonzern Areva auf einem Teststand des früheren Partners Siemens in Erlangen durchgeführt wurden lassen eine neue Gefahr erkennen. Dämmstoff-Fasern können sich zusammen mit Korissionsprodukten an den Halterungen für die Brennelemente ablagern, eine Art Filz bilden und dann die Kühlung des Kerns behindern.

Bei den Versuchen wurde festgestellt, dass ein technischer Trick das Problem lösen könnte. Bei einer Verstopfung der Siebe müsste die Pumprichtung "kurzfristig" (*grübel* bei dem Schadensfall in Barsebäck dauerte "kurzfristig" mehrere Stunden und die Kernschmelze beginnt nach 35 Minuten) umgekehrt werden um die Fasern mit dem rückwärts laufenden Kühlwasserstrom vom Sieb spülen. Dabei muss jedoch "möglicherweise" die aktive Kühlung des Reaktorkerns "kurzfristig" unterbrochen werden.

Nun gibt es zwar 4 Kühlkreisläufe. Doch diesen müssen, wie die Praxis (z.B. die Katastrophe von Harrisburg) gezeigt hat, bestimmte Ausfälle unterstellt werden. Eine Pumpe kann z.B. unbemerkt kaputtgehen wärend eine zweite zu dem Zeitpunkt gewartet wird. Dann könnte es passieren dass beide restlichen Kühlkreisläufe zugleich zur Rückspülung verwendet werden müssten und die Kühlung des Kerns unterbrochen wäre.

2000. Die rot-grüne Bundesregierung handelt mit der Atomindustrie einen Atomausstieg aus. Aufgrund der kurzen Laufzeit des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich wird für dieses Kraftwerk eine Sonderregelung getroffen: Dem Kraftwerk wird eine Reststrommenge von 107,25 TWh zugestanden, die nur auf die Kraftwerke Emsland, Neckarwestheim 2, Isar 2, Brokdorf, Gundremmingen B und C (alle mit einer genehmigten Restlaufzeit über 2015 hinaus) sowie bis zu einer Elektrizitätsmenge von 21,45 TWh auf Biblis B übertragen werden darf (siehe § 7 Abs. 1d bzw. Anlage 3). Die beiden Energiekonzerne RWE und Vattenfall versuchen später eine Übertragung auf die zum Zeitpunkt der Anträge ältesten noch aktiven Kraftwerke Biblis A und Brunsbüttel zu erreichen, für die eine Abschaltung bevorstand. Rechnerisch ging es bei dieser Regelung um einen Gesamtzeitraum von etwa 10 Jahren.

Dezember 2001. Die rot-grüne Mehrheit im Bundestag beschließt den Ausstieg aus der Atomenergie. Demnach soll das AKW Brokdorf 2018 vom Netz gehen.

2005. Mit einer Bruttostromerzeugung von knapp unter zwölf Milliarden Kilowattstunden erzeugt der Reaktor in diesem Jahr weltweit die größte Strommenge.

5. März 2007. Am AKW Brokdorf geht ein Zwischenlager für abgebrannte Kernelemente mit einem Schwermetallgewicht von 1.000 Tonnen in Betrieb. Für 100 Lagerplätze gibt es Castor-Behälter. Die genehmigte Laufzeit beträgt maximal 40 Jahre.

Dezember 2008. Die deutsche Reaktor-Sicherheitskommission stellt fest, dass im Bezug auf das Störfallszenario, welches im Juli 1992 im zwischenzeitlich stillgelegten schwedischen Atomkraftwerk Barsebäck vorgekommen ist, der erforderliche Nachweis der Störfallbeherrschung in den acht deutschen Atomkraftwerken GrohndeUnterweserEmslandNeckarwestheimPhilippsburg 2Isar 2Grafenrheinfeld und Brokdorf nicht gegeben ist.

2010. Das Atomkraftwerk gehört nun den Unternehmen E.ON (80 %) und Vattenfall (20 %).

24. April 2010. Zwischen den AKWs BrunsbüttelBrokdorf und Krümmel demonstriert eine Kette von mehr als 100.000 Menschen gegen Atomenergie.


10. Mai 2010. Auf eine parlamentarische Anfrage von Sylvia Kotting-Uhl (Atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag legt das Bundesumweltministeriums (BMU) für die Jahre 1993 bis 2008 eine Statistik zur Pannenhäufigkeit der 17 laufenden Atomkraftwerke in Deutschland vor:
Es gibt (wie bei allen technischen Geräten) um so mehr Pannen, je älter AKWs werden. In Deutschland ist Krümmel mit 82 Defekten am misserabelsten, danach kommt gleich Brunsbüttel mit 80 Defekten. Biblis B und A kommen auf 78 bzw. 66 Defekte. Unterweser 49, Brokdorf 48Grohnde 47, Neckarwestheim I 47, Isar I 44, Grafenrheinfeld 41, Philippsburg I 39, Gundremmingen B 32, Philippsburg II 31, Gundremmingen C 26, Emsland 25, Isar II 20, Neckarwestheim II 19.
Seit 1994 hat Reaktorblock Philippsburg 2  den stärksten Anstieg technischer Fehler.

Norbert Röttgen (Umweltminister) bietet den Betreibern der AKWs nun längere Laufzeiten gegen technische Nachrüstungen an. Dokumente aus dem Jahr 2007 stellen jedoch fest, dass "durch die höhere Anzahl an Nachrüstmaßnahmen mit all ihren Rückwirkungen auf die Anlage die Fehleranfälligkeit gestiegen ist".

Herbst 2010. Der Bundestag beschließt mit dem Stimmen der schwarzgelden Regierungsmehrheit eine Laufzeitverlängerung für deutsche AKWs. Demnach soll Brokdorf bis etwa 2036 am Netz bleiben.

11. März 2011. Beginn der Atomkatastrophe von Fukushima.

Mai 2011. Die Bundesregeirung beschließt den kompletten Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022. Das AKW Brokdorf soll nun noch bis 2021 Strom liefern.

18. Juni 2011. Am AKW Brokdorf blockieren etwa 200 Demonstranten die Zufahrt am Tor 2 des AKWs um die Revision zu verzögern. Um 15:56 Uhr fordert die Polizei zum letzten Mal auf die Blockade zu räumen. Die Demonstranten denken jedoch nicht daran dieser Aufforderung zu folgen. Anstatt mit Wasserwerfern und Gummiknüppeln gehen die Beamten mit einem herzlichen "Moin, wir würden Sie jetzt gern aufheben" auf die Demonstranten zu. Die Demonstranten lassen sich daraufhin zu den Polizisten wegtragen. Dort werden ihre Personalien aufgenommen, sie werden fotografiert und hinter der Polizeikette wieder laufen lassen. Nach etwa einer Stunde, pünktlich zum Schichtwechsel  ist das Tor frei. Mehr als 20 Busse mit der Spätschicht des AKWs fahren durchs Tor. Die Arbeiter drin haben ihre Handys gezückt, um ihren spektakulären Einzug ins Kraftwerk im Foto oder Video festzuhalten.
Weitere AKW Gegner harren am Tor 1 aus. Dort wird nicht geräumt, weil dort niemand rein oder raus möchte.

20. Juli 2011. Das AKW Brokdorf geht nach einer fünfwöchigen Jahresrevision wieder ans Netz. Die Arbeiten dauerten 2 Wochen länger als geplant. Auch das Notfallkonzept soll dabei auf Herz und Nieren getestet worden sein. Von den 193 Brennelementen wurden 48 ausgetauscht. Die Revision kostete laut E.ON 30 Mio Euro. Es wurden dabei offenbar 1400 externe Fachkräfte eingesetzt.
Während "Sonderprüfungen" kam es zu zwei meldepflichtigen Ereignissen die jedoch laut E.ON unterhalb der INES-Skala gelegen haben. Bei der Durchführung von Fallzeitmessungen der Steuerelemente sollen vereinzelte Abweichungen vom spezifizierten Zustand festgestellt worden sein. daher wurden alle 193 Brennelemente gesondert inspiziert und vermessen  worden. Ausserdem wurden alle Steuerelemente einer Gängigkeitsprüfung unterzogen. Die Abschaltsicherheit soll damit gewährleistet sein. Ausserdem wurden noch "nicht spezifikationsgerecht eingesetzte Sicherungen" ausgetauscht.
Überwacht wurden die Revisionsarbeiten von der schleswig-holsteinischen Atomaufsicht, vom TÜV Nord, Energie-Systeme Nord, Germanischer Lloyd und Bausachverständigen.

7. August 2011. Im AKW Brokdorf kommt es zu einer  Turbinenschnellabschaltung (TUSA)  weil sich die Transformatoren über die der Strom des AWKs ins Netz eingespeist wird. Offenbar hat ein Messfühler in der Nähe des Maschinentrafos Schadgase registriert und daraufhin die Abschaltung eingeleitet. Es wird auf ein Reservenetz umgeschaltet. Danach wird der Reaktor von E.ON heruntergefahren.

24. August 2011. E.ON möchte das AKW Brokdorf mit nur einem Trafo wieder auf halber Kraft hochfahren und sagt die Festlichkeiten zum 25. Jahrestag des Betriebs des Atomkraftwerks Brokdorf am 1. September ab. Ursprünglich wollte rund 80 Gäste aus Politik und Wirtschaft in das Atomkraftwerk Brokdorf einladen. Den Festvortrag sollte der Vorstandsvorsitzende der Eon AG, Johannes Teyssen, halten. Auch eine Podiumsdiskussion war vorgesehen.
Petra Uhlmann (Sprecherin von E.ON) sagt: "Angesichts der wirtschaftlichen Situation und der damit verbundenen strukturellen Veränderungen im Konzern halten wir einen solchen Festakt nicht für angemessen". Derzeit plant E.ON 11.000 Jobs weltweit abzubauen, nachdem der Konzern wegen Firmenkäufen und dem Atomdesaster von Fukushima einen Schuldenberg von 30 Milliarden Euro aufgebaut hat. 6.000 Jobs stehen allein in Deutschland zu Disposition.
Marianne Kolter (Anti Atom-Initiative Pinneberg) sagt dazu: "Angesichts der fortdauernden Katastrophe in Fukushima und 25 Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl wäre es geschmacklos gewesen, im AKW Brokdorf eine Feier zum 25-jährigen Betriebsjubiläum auszurichten".

25. August 2011. Das Kieler Justizministerium genehmigt heute die Zustimmung des AKW Brokdorf mit nur einem der beiden Transformatoren mit maximal halber Leistung. Nach Auffassung der Atomaufsicht bestehen dafür keine sicherheitstechnischen Bedenken. Offenbar wird auch das AKW Unterweser, mit nur einem Transformator betrieben. Ende September soll der defekte Trafo ausgetauscht sein und das AKW wieder mit voller Kraft arbeiten.

22. Dezember 2011. 25 Jahre Atomkraftwerk Brokdorf sind kein Grund zum feiern.

2012. Den Widerstand der Bevölkerung sowie das Vorgehen der Staatsmacht gegen den Protest  von 1981 porträtiert unter anderem der in diesem Jahr veröffentlichte Film Das Ding am Deich.

Januar 2012. In den Jahren 1998 bis 2007 sind die Menschen in Wewelsfleth um fast 50 Prozent häufiger an Krebs erkrankt als im schleswig-holsteinischen Durchschnitt. Wie eine Auswertung des Krebsregisters ergeben hat, sind in dieser Zeit 128 Menschen in Wewelsfleth an Krebs erkrankt. Bezogen auf den statistischen Durchschnitt hätten es nur 88 sein dürfen.
Viele Menschen im dem 1.500-Einwohner-Dorf im Kreis Steinburg sind beunruhigt wegen der vielen Krebsfälle unter ihren Angehörigen und Nachbarn. Die Initiative „Brokdorf akut“ übergibt daher dem Kieler Gesundheitsministerium 1.900 Unterschriften weil die Ursache für die erhöhte Krebsrate endlich aufgeklärt werden müsste.
Das Ministerium kommt dieser Forderung entgegen und auch wieder nicht. Eine weitere Studie werde unterstützt, „wenn dafür ein wissenschaftlicher Ansatz gefunden wird“. Dies sei jedoch bisher nicht der Fall. „Krebsursachen in einer Studie zu finden, ist in einer kleinen Bevölkerungsgruppe nahezu unmöglich“

27. Februar 2012. Im Brennelemente-Zwischenlager hat es laut Justizministerium Kiel eine Panne gegeben. Die Brandmeldeanlage sei am vergangenen Mittwoch ausgefallen. Bis die Meldeanlage wieder uneingeschränkt zur Verfügung stand, soll vorsorglich eine Brandwache abgestellt worden sein. Der Ausfall der Anlage sei der Atomaufsichtsbehörde vom Betreiber des Zwischenlagers Brokdorf fristgerecht gemeldet worden. Zur weiteren Ursachenklärung hat die Atomaufsichtsbehörde den Angaben zufolge unabhängige Sachverständige hinzugezogen.

11. März 2012. Am ersten Jahrestag des Beginns der Katastrophe von Fukushima finden 6 Großdemos in Deutschland (Braunschweiger Land, Brokdorf, Gronau, Gundremmingen, Hannover und Neckarwestheim) statt.  Am AKW Neckarwestheim sind zwischen 1000 und 5000 Menschen dabei. Das AKW Brokdorf und das AKW Brunsbüttel mit den löchrigen Fässern mit radioaktivem Atommüll werden von 2300 bis 3000 Demonstranten umringt.

18. März 2012. Die Bremer Messstelle für Arbeits- und Umweltschutz (Maus) untermauert die Forderung nach einer Untersuchung der Häufung von Krebsfällen in der Gemeinde Wewelsfleth an der Unterelbe durch eine unabhängige Kommission. Der Verweis darauf, dass das nahe gelegene Atomkraftwerk Brokdorf nur wenig strahle und die Zahl der Betroffenen nicht ausreiche, um wissenschaftliche Schlussfolgerungen zu ziehen, rechtfertige nicht die Untätigkeit der Behörden.

1. April 2012. Nachdem das AKW Brokdorf  abgenippelt ist kommt es offenbar im Zusammenwirken mit dem Ausfall des Umspannwerkes Helmstedt an der Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Niedersachsen in Norddeutschland in der letzten Woche fast zu einem Netzzusammenbruch weil nach einer relativen Flaute auf einmal viel Windstrom zur Verfügung steht, die Solarmodule aber nach 16 GW Lieferung am Tag pünktlich gegen 18 Uhr 30 (was man ja alles so gar nicht voraussehen kann) die Produktion eingestellt haben.

10. April 2012. Das AKW Brokdorf wird wegen gebrochener Niederhalte-Federn an Brennelementen komplett vom Netz genommen. Die für August 2012 geplante Revision soll vorgezogen werden. Stromengpässe gibt es keine.

29. Mai 2012. Das AKW Brokdorf wurde nach einer Revision wieder in Betrieb genommen. 

22. August 2012. Die Kinodoku "Das Ding am Deich" von Antje Hubert porträtiert den erbitterten Widerstand gegen das AKW Brokdorf. Während der Dreharbeiten hat die Katastrophe von Fukushima angefangen und unsere Schwarzgeldregierung ihren 4-fachen Rückwärtssalto in der Energiepolitik hingelegt.

5. Mai 2014. Im Jahr 2013 war Isar 2 laut E.on der produktivste Atomreaktor der Welt und hat mit 12 Mrd. KWh den ersten Platz der Weltrangliste aller AKWs angeführt. Auf Platz 2 kommt der US-amerikanische Atomreaktor Palo Verde-2, auf Platz 3 das AKW Brokdorf in Schleswig-Holstein. Die von Isar 2 erzeugte Strommenge soll laut E.on einem Anteil von ca. 13% an der gesamten bayerischen Stromerzeugung entsprechen. Etwa 3,5 Mio. 4-Personenhaushalte könnten mit dieser Strommenge versorgt werden. Laut einer Schätzung des bayerischen Wirtschaftsministeriums wären derzeit rund 4000 Windräder notwendig um diese Leistung zu erreichen.

21. April 2016. Karsten Hinrichsen (73-jähriger AKW-Gegner und Meteorologe) macht in einem Flugblatt die richtige Aussage: "Schon der Normalbetrieb macht krank, insbesondere Kinder." Uwe Jorden (Leiter des AKW Brokdorf) droht ihn deshalb wegen angeblich falscher Tatsachenbehauptungen über die Gefährlichkeit des dortigen AKWs zu verklagen. Dadurch werde "die Arbeit unserer Mitarbeiter in erheblichem Maße diskreditiert und der gesamten Region Schaden zugefügt." Hauke Rathjen (Kommunikationsreferent von Jorden) bestätigt dass diese Drohung ernst gemeint ist.
Der Demo-Flyer zum Tschernobyl-Gedenktag soll am Sonntag (24. April 2016) auf einer Protest- und Kulturmeile vor dem Atomkraftwerk Brokdorf verteilt werden. "Ab drei vor zwölf" informieren dort mehr als 20 Umweltgruppen und Parteien über ihre Forderung, „Brokdorf abzuschalten“ und die weitere Produktion von Atommüll zu verhindern.

2021. Laut dem schwarzgelden Atomausstieg von 2011 soll in diesem Jahr das AKW Brokdorf endgültig abgeschaltet werden.

Atomkraftwerke in Deutschland

Bilder aus Wikimedia Commons:
- Hans-Ulrich Klose (SPD),  Creative Commons-Lizenz Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland, Bundesarchiv, B 145 Bild-F055059-0030 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA, Schaack, Lothar

Quellen
21.04.2016, taz, Eon droht AKW-Gegnern, Neuer Kampf um Brokdorf
26.02.2016, WDR, 1981, Großdemo gegen AKW Brokdorf


22.08.2012, Spiegel, Anti-AKW-Doku "Das Ding am Deich", Wo der Wutbürger auf die Welt kam
29.05.2012, Hamburger Abendblatt, JAHRESREVISION BEENDET, Kernkraftwerk Brokdorf wieder in Betrieb
01.04.2012, Welt, ENERGIEVERSORGUNG, Stromnetz geht plötzlich auf Alarmstufe "gelb"
18.03.2012, taz, Angst vor Atom-Strahlung, Unsichtbare Zusammenhänge
27.02.2012, Telekom, Panne im Brennelemente-Zwischenlager Brokdorf gemeldet
18.06.2011, Stern, Sitzblockade vor AKW Brokdorf, "Moin, wir würden Sie gern aufheben"
21.05.2011, taz, 25 Jahre Atomkraftwerk Brokdorf, Vorweihnachtliche Bescherung
08.08.2011, Telepolis, AKW Brokdorf wegen Unfall abgeschaltet
08.08.2011, taz, Transformatoren schalteten sich ab, Brokdorf wieder vom Netz
24.08.2011, taz, Party fällt aus, Katerstimmung bei Eon
25.08.2011, Focus, AKW Brokdorf, Meiler darf nur mit einem Trafo wieder ans Netz