Freitag, 25. Januar 2019

Leó Szilárd

Leó Szilárd
Der ungarisch-deutsch-US-amerikanische Physiker und Molekularbiologe Leó Szilárd wurde am 11. Februar 1898 in Budapest geboren († 30. Mai 1964 in La Jolla, Kalifornien).

Szilárd ist vor allem bekannt durch seine Beteiligung an der Konstruktion der ersten US-amerikanischen Atombomben (Manhattan-Projekt). Allerdings riet er nach erfolgreicher technischer Konstruktion der Bombe entschieden von ihrem Einsatz im Krieg ab und versuchte ihn in Zusammenarbeit mit anderen Physikern zu verhindern. Den ersten Einsatz bei Hiroshima hielt er für einen Fehler, den zweiten bei Nagasaki für eine Grausamkeit. Szilárd war ein hochbegabter Theoretiker, ein ideenreicher rastloser Erfinder und Visionär und galt als originelle, zum Teil skurrile Persönlichkeit.

In seinen späteren Lebensjahren war er in der Bewegung für internationale Abrüstung aktiv und unter anderem Teilnehmer an mehreren Pugwash-Konferenzen. Er übte zum Teil heftige öffentliche Kritik an der Politik der US-Regierung.

Szilárd war auch ein brillanter Schriftsteller, der seine Gedanken auch in einigen wenigen Science-Fiction-Kurzgeschichten zu Papier brachte, die von Kennern der Materie als absolute Klassiker des Genres angesehen werden.

Nach Leó Szilárd sind ein Mondkrater und der Asteroid (38442) Szilárd benannt.

Sein Nachlass wird von der University of California, San Diego verwaltet.

Leben

11. Februar 1898. Leó Szilárd wird geboren. Er stammt aus einer Budapester großbürgerlichen jüdischen Familie, deren Vorfahren aus Galizien nach Ungarn eingewandert sind. Die Familie trägt väterlicherseits ursprünglich den Familienname Spitz, lässt diesen jedoch 1902 in das ungarischer klingende Szilárd (ungarisch für „fest“) ändern. Der Vater Lajos (1860–1955) ist Ingenieur und Inhaber einer Firma für Brücken- und Eisenbahnkonstruktionen. Die Mutter Thekla, geb. Vidor (1860–1939) entstammt einer Arztfamilie. Leó ist das älteste von drei Kindern und verlebt seine Kindheit noch in der alten österreich-ungarischen Monarchie der Vorkriegszeit.

1908 bis 1916. Bis zum Abschluss besucht er die Realoberschule in seiner Heimatstadt Budapest.

1916. Szilárd schreibt sich als Student für ein Elektrotechnik-Studium an der Technischen Hochschule Budapest (heute: Technische und Wirtschaftswissenschaftliche Universität Budapest) ein. 

1917. Er wird als Offizieranwärter in die k.u.k. Armee eingezogen.

1919. Er kann erst jetzt das Studium wieder aufnehmen. Wegen der ungünstigen wirtschaftlichen Bedingungen und der instabilen politischen Lage im Ungarn der Nachkriegszeit und auch aufgrund des zunehmenden Antisemitismus unter dem Horthy-Regime, der zu Restriktionen für jüdische Studenten an ungarischen Universitäten führt, verlässt er sein Heimatland in Richtung Deutschland.

Szilárd schreibt sich an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg als Ingenieursstudent ein. Nach kurzer Zeit wechselt er jedoch zur Physik an die Friedrich-Wilhelms-Universität, wo Größen wie Einstein, Planck und von Laue forschen und lehren. Von Letztgenanntem lässt er sich schon im ersten Semester ein Dissertationsthema aus der Relativitätstheorie geben, das er aber nie zu Ende bringt. Stattdessen löst er ein schwieriges Problem aus der statistischen Thermodynamik. Diese Arbeit unter dem Titel Über die thermodynamischen Schwankungserscheinungen veranlasst Albert Einstein zu höchstem Lob, wird prompt als vollwertige Doktorarbeit anerkannt und in den renommierten Annalen der Physik veröffentlicht.

1926. Er arbeitet gemeinsam mit Albert Einstein an der Konstruktion eines Kühlschranks ohne Verdichter oder andere bewegliche Teile.

1927. Szilárd erhält die Lehrbefugnis als Privatdozent.

1928. Er meldet ein deutsches Patent für einen Linearbeschleuniger an.

1929. Er veröffentlicht seine Habilitationsschrift Über die Entropieverminderung in einem thermodynamischen System bei Eingriffen intelligenter Wesen. Darin verknüpft er erstmals die Konzepte Intelligenz, Gedächtnis, Entropie und Information. Sie wird nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der Grundlagen der mathematischen Informationstheorie. 
In diesem Jahr meldet er ein deutsches Patent für ein Zyklotron an.

1932. Nach der Entdeckung des Neutrons wechselt Szilárd ganz zur Atomphysik. Seine schon geplanten Experimente im Labor von Lise Meitner realisiert er aber aufgrund der Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht mehr in Deutschland. Er muss sich nach dem Reichstagsbrand 1933 erst nach Wien und dann nach England begeben.

12. September 1933. Szilárds liest laut eigenen Angaben einen Artikel der Times, in dem Ernest Rutherford mit den Worten zitiert wird: “anyone who looked for a source of power in the transformation of the atoms was talking moonshine”. Während er daraufhin beim Gang durch die Londoner Straßen über diesen Artikel nachdenkt, kommt ihm beim Warten auf die Ampel an der Ecke Southampton Row in Bloomsbury die entscheidende Idee zu einer atomaren Kettenreaktion durch freigesetzte Neutronen.

Daraufhin beginnt er nach Isotopen zu suchen, mit denen eine solche Kettenreaktion in Gang zu setzen wäre. Erste Kandidaten sind Isotope von Beryllium, später von Indium. Bei seiner Arbeit in der Strahlenabteilung am Londoner St Bartholomew’s Hospital entdeckt er dabei den so genannten Szilárd-Chalmers-Effekt zur Trennung chemisch identischer Isotope.

März und 28. Juni 1934. Er reicht zwei Patentschriften zu den möglichen Effekten von Neutronenbombardements von Atomkernen unter einem Titel ein: Verbesserungen bei der Umwandlung chemischer Elemente (Improvements in or relating to the transmutation of chemical elements). Im ersten Teil beschreibt er unter anderem die Möglichkeit von Radionuklidbatterien, wie sie später in Satelliten zum Einsatz kommen, und umreisst die Mechanismen der Kernfusion, ohne dabei schon den Begriff zu prägen. Im zweiten Teil beschreibt er als erster Forscher die atomare Kettenreaktion bei Überschreitung einer kritischen Masse – das heißt, die Grundzüge der Atomenergie und der Atomwaffen.

Szilárd, der ein feines Gespür für politische Vorgänge hat (es wird ihm nachgesagt, dass er beide Weltkriege und deren Ausgang klar vorausgesagt hat), sorgt dafür, dass das Patent der britischen Admiralität übereignet und daher nicht veröffentlicht wird, weil er die mögliche militärische Nutzbarkeit erkennt. Später meint er dazu:

"Dies war wohl das erste Mal, dass das Konzept der kritischen Masse entwickelt und eine Kettenreaktion ernsthaft diskutiert wurde. Ich wusste, was das bedeutete (ich hatte H. G. Wells gelesen), und daher wollte ich vermeiden, dass dieses Patent veröffentlicht wurde. Die einzige Möglichkeit, das zu tun, war, es der Regierung zu übereignen. Und so trat ich die Patentrechte an die britische Admiralität ab."

Zu einer experimentellen Überprüfung seiner Hypothesen kommt es allerdings noch nicht. Einerseits mangelt es an Geld für die als Neutronenmultiplikatoren infrage kommenden chemischen Elemente, andererseits liegt es an Szilárds Unrast, die auch nach seiner Einstellung am Clarendon Laboratory in Oxford anhält.

1938. Nach dem Münchner Abkommen verlässt er aufgrund von Kriegsahnungen Europa in Richtung USA. Im selben Jahr gelingt es Otto Hahn und Fritz Straßmann in Berlin, Uran durch Neutronenbeschuss in Barium umzuwandeln, was von Lise Meitner und ihrem Neffen Otto Frisch korrekt als Atomspaltung interpretiert wird. Szilárd erfährt davon über seinen Freund Eugene Wigner in Princeton,

3. März 1939. Szilárds eigenes Experiment findet in den Met Labs der Columbia University statt. Zusammen mit Walter Zinn beobachtet Szilárd die bei der Atomspaltung durch freigewordene Neutronen hervorgerufenen Lichtblitze auf einer Fernsehröhre. Als Quelle für die anregenden Neutronen dient eine mit geliehenem Geld besorgte Radiumquelle.

1939. Beunruhigt über das Fehlen weiterer Publikationen der Forscher um Hahn zum Thema Atomspaltung (was er als Indiz dafür deutet, dass die deutsche Regierung das Thema als wichtig erkannt hat und nun in militärischer, geheimer Forschung Bedrohliches entwickelt) und die Erstarkung des Nationalsozialismus und Faschismus in Europa, überredet er gemeinsam mit anderen Forschern Albert Einstein, einen vorformulierten Brief an Präsident Roosevelt zu unterschreiben, in dem dieser dazu aufgefordert wird, eine Atombombe entwickeln zu lassen, um einer möglichen Entwicklung von Atomwaffen durch Nazi-Deutschland zuvorzukommen. Dieser Brief wird als ein entscheidendes Dokument für das Ingangkommen des Manhattan-Projektes zur Konstruktion der ersten Atomwaffen gesehen.

Drei andere am Manhattan-Projekt direkt oder indirekt beteiligte Personen haben fast parallele Lebensläufe zu dem von Szilárd: Edward Teller, John von Neumann und Eugene Wigner. Alle stammen aus Budapester jüdischen Familien mit deutschem kulturellem Hintergrund. Alle sind aus Ungarn nach Deutschland emigriert, haben dort studiert und intensiv wissenschaftlich gearbeitet, und alle mussten wegen des Nationalsozialismus 1933 erneut emigrieren. Szilárd spricht aufgrund dieser Parallelen gelegentlich ironisch von einer "ungarischen Konspiration". Die vier Ungarn werden von ihren US-amerikanischen Kollegen aufgrund ihrer scheinbar "außerirdischen" intellektuellen Fähigkeiten auch respektvoll Martians (Marsianer) genannt.

2. Dezember 1942 (15:25 Uhr). An der University of Chicago mit dem Atomreaktor Chicago Pile No. 1 gelingt Enrico Fermi erstmals eine kritische Atomspaltungs-Kettenreaktion in einem Reaktor und damit der Bau des ersten funktionierenden Atomreaktors. Eine Leistung, die auf der theoretischen Vorarbeit von Leó Szilárd fußt. Die wichtigsten Ergebnisse werden trotz Szilárds Drängen auf Geheimhaltung erst von Joliot und schließlich doch von allen Wissenschaftlern veröffentlicht.

1943. Seine Patentrechte an der Atomenergie muss Szilárd auf Druck der US-Regierung an diese verkaufen.

1945. Szilárd versucht vergeblich, den Einsatz der konstruierten Bomben in Gesprächen mit am Manhattan-Projekt beteiligten Physikern zu verhindern. Er ist auch einer der Mitunterzeichner des Franck-Reports. Vergeblich ersucht er um Gesprächstermine bei den Präsidenten Roosevelt und Truman. Er organisiert eine Petition an den Präsidenten, die 70 Wissenschaftler in Oak Ridge und Chicago unterschrieben, die aber Truman nie erreicht und erst 1961 öffentlich bekannt wird. Den späteren Einsatz der Atombombe bei Hiroshima und Nagasaki verurteilt er scharf.

1946. Unter dem Eindruck dieses "Sündenfalls" der modernen Physik, aber auch beeindruckt vom Fortschritt der Molekularbiologie, wendet sich Szilárd der Molekularbiologie zu. Hier forscht er vor allem an Bakteriophagen und Bakterien und widmet sich Fragen der theoretischen Biologie. 

1959. Die für ihn charakteristische Exzentrizität kommt noch einmal zum Vorschein, als er an Blasenkrebs erkrankt. Er unterzieht sich daraufhin einer selbstentworfenen Strahlentherapie am Memorial Hospital in New York City und wird tatsächlich geheilt. 

18. Mai 1960. Ihm wird zusammen mit Eugen Paul Wigner der Atoms for Peace Award verliehen.

30. Mai 1964. Er stirbt in La Jolla in Kalifornien.

Bilder aus Wikimedia Commons
Leó Szilárd, Lizenz: Public Domain, Urheber: U.S. Department of Energy

Quellen