Samstag, 30. August 2014

Atomkraftwerk Tschernobyl

Das stillgelegte ukrainische Atomkraftwerk Tschernobyl ukrainisch Чорно́бильська АЕС, russisch Чернобыльская АЭС им. В. И. Ленина, übersetzt „Tschernobyler Atomkraftwerk namens W. I. Lenin“) befindet sich im Norden der Ukraine nahe der ukrainisch-weißrussischen Grenze. Es ist etwa vier Kilometer von der Stadt Prypjat und 18 Kilometer von Tschernobyl entfernt. Die Katastrophe von Tschernobyl, bei der 1986 der Reaktor des Blocks 4 explodierte, galt bis zu Beginn der Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011 als bisher weltweit schwerster Unfall in einem Atomkraftwerk. Das Kraftwerk galt in der Sowjetunion in den 1980er-Jahren als Musteranlage.


Atomkraftwerk Tschernobyl
Bei den für Tschernobyl eingesetzten und geplanten Atomreaktoren handelte es sich um solche des Typs RBMK-1000 der ersten (Blöcke 1 und 2) und zweiten Generation (Blöcke 3 bis 4). Diese graphitmoderierten Reaktoren weisen eklatante Sicherheitsmängel auf. Jedem Reaktor waren zwei Generatoren zugeteilt, die in einer für alle vier Blöcke gemeinsamen Turbinenhalle mit einer Länge von fast 800 Metern untergebracht waren. Die Atomreaktoren hatten eine elektrische Bruttoleistung von insgesamt 3.800 Megawatt. Das Kraftwerk verfügte zwischen 1983 und 1986 über eine Maximalleistung von 12.800 Megawatt thermisch.

Geschichte

Das Kraftwerk wurde ursprünglich mit einer Kapazität von 2000 MW geplant. Zur Auswahl standen drei verschiedene Reaktortypen; zwei RK-1000, vier WWER-440 oder zwei RBMK-1000. Später wird der Ausbau auf bis zu sechs Blöcke genehmigt.

Ende der 1960er/Anfang 1970er Jahre. Es wird ein Kühlsee für das Atomkraftwerk Tschernobyl angelegt. Für die Blöcke 5 und 6 wird dieser später erweitert.

19. Juni 1969/14. Dezember 1970. Die Minister der Sowjetunion fassen nach genauer Planung des Projekts Tschernobyl "aufgrund der Wirtschaftlichkeit" den Beschluss zum Bau von Atomreaktoren des Typs RBMK. Tschernobyl wird damit die dritte Anlage mit Reaktoren des Typs RBMK-1000.

1. März 1970. Baubeginn Block 1. Er bekommt einen Atomreaktor vom Typ RBMK-1000 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 800 MW, einer elektrischen Nettoleistung von 740 MW und einer Thermischen Leistung von 3200 MW.

1. Februar 1973. Baubeginn Block 2. Er bekommt einen Atomreaktor vom Typ RBMK-1000 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1000 MW, einer elektrischen Nettoleistung von 925 MW und einer Thermischen Leistung von 3200 MW. Während längerer Zeit bestand ein Leck im Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente. Der Austritt geringer Mengen an Radioaktivität wird vermutet.

1. März 1976. Baubeginn Block 3. Er bildet mit Block 4 und dem dazwischenliegenden Hilfsanlagengebäude einen Doppelblock und bekommt einen Atomreaktor vom Typ RBMK-1000 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1000 MW, einer elektrischen Nettoleistung von 925 MW und einer Thermischen Leistung von 3200 MW.

26. September 1977. Reaktor 1 wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.

27. Mai 1978. Block 1 geht in den kommerziellen Leistungsbetrieb.

21. Dezember 1978. Reaktor 2 wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.

1. April 1979. Baubeginn Block 4. Er bildet mit Block 3 und dem dazwischenliegenden Hilfsanlagengebäude einen Doppelblock und bekommt einen Atomreaktor vom Typ RBMK-1000 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1000 MW, einer elektrischen Nettoleistung von 925 MW und einer Thermischen Leistung von 3200 MW.

25. Mai 1979. Block 2 geht in den kommerziellen Leistungsbetrieb.

1. Dezember 1981. Baubeginn Block 5. Er bekommt einen Atomreaktor vom Typ RBMK-1000 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1000 MW, einer elektrischen Nettoleistung von 950 MW und einer Thermischen Leistung von 3200 MW.

3. Dezember 1981. Reaktor 3 wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.

8. Juni 1982. Block 3 geht in den kommerziellen Leistungsbetrieb.

1. September 1982. In Reaktor 1 wird ein zentrales Brennelement durch Überhitzung infolge eines Bedienungsfehlers zerstört. Erhebliche Mengen an Radioaktivität treten aus, die radioaktiven Gase gelangen bis nach Prypjat. Bei der Reparatur werden diverse Arbeiter einer deutlich überhöhten Strahlendosis ausgesetzt, der Unfall wird mit Kategorie INES 5 gelistet.

1. Dezember 1983. Baubeginn Block 6. Er bekommt einen Atomreaktor vom Typ RBMK-1000 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1000 MW, einer elektrischen Nettoleistung von 950 MW und einer Thermischen Leistung von 3200 MW.

22. Dezember 1983. Reaktor 4 wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.

26. März 1984. Block 4 geht in den kommerziellen Leistungsbetrieb.

Bis 1986. Die meisten Arbeiter kommen aus der eigens für das Kraftwerk erbauten Siedlung Prypjat.

26. April 1986. In Block 4 kommt es zu einer Kernschmelze und einer Explosion des Reaktorkerns. Die Katastrophe von Tschernobyl beginnt. Der Block wird vollständig zerstört. Große Teile des radioaktiven Inventars gelangen in die Umwelt. Das Graphit, mit dem der Reaktor moderiert wird, gerät in Brand und kann erst Tage später gelöscht werden. Der Landstrich um den Reaktor muss geräumt werden und ist bis heute (2014) unbewohnbar. Die mit dem Rauch in große Höhe gelangte Radioaktivität wurde nach Westen getrieben und bewirkte einen radioaktiven Niederschlag (Fallout) über Nord- und Mitteleuropa. Diese Havarie macht den Ortsnamen „Tschernobyl“ zum Synonym für Gefahren der Atomenergie und die unabsehbaren Folgen eines Super-GAU.
Das Kraftwerk hat eine für die Energieversorgung der UdSSR und vor allem für deren Nachfolgestaat Ukraine sehr hohe energiepolitische Bedeutung. Die Ukraine leidet deshalb besonders an dem fehlenden Strom aus dem AKW Tschernobyl. Das Atomkraftwerk liefert ungefähr ein Sechstel des in der Ukraine erzeugten Atomstroms, was etwa 4–10 % der Gesamtstrommenge entsprach. Nur dieser Hintergrund macht es erklärbar, weshalb das Kraftwerk noch 14 Jahre lang nach dem Super-GAU weiterbetrieben wird und weiterhin viele Menschen in diesem Gebiet arbeiteten.

Für den Ersatz der fehlenden Kapazität gibt es drei verschiedene Konzepte: die Vollendung von drei "sichereren" Reaktoren in der Ukraine, deren Bau bereits fortgeschritten ist, der Bau eines Gaskraftwerks mit 3.000 MW Leistung nahe der Stadt Slawutytsch, das einem Teil der Angestellten von Tschernobyl Arbeit geben könnte, oder die Modernisierung von einigen Kohlekraftwerken. Später stellt man die jeweils zu 80 % fertiggestellten Atomkraftwerksblöcke Chmelnyzkyj 2 und Riwne 4 vom Typ WWER-1000 fertig.

1986 bis 2000. Von der Reaktorkatastrophe bis zur Abschaltung des letzten Blocks im Jahre 2000 arbeiten bis zu 9000 Menschen im Kraftwerk.

Ab 1986. Weil Prypjat nach der Reaktorkatastrophe evakuiert wird, kommen danach die meisten Arbeiter aus Slawutytsch, der nach der Katastrophe erbauten Ersatzstadt für Prypjat. Die Arbeit ist – trotz sehr hoher Strahlenbelastung – vergleichsweise attraktiv: Einerseits durch eine äußerst gute Bezahlung, andererseits durch den Zwei-Wochen-Zyklus: zwei Wochen (normale) Arbeitszeit, zwei Wochen frei.

Herbst 1986. Block 5 sollte ursprünglich den Probebetrieb aufnehmen. Block 6 ist zur Hälfte fertiggestellt. Trotz des Super-GAUs in Block 4 wird zunächst an beiden Blöcken weitergebaut.

1. Januar 1988. Der Bau der Blöcke 5 und 6 muss wegen der hohen radioaktiven Belastung des Gebiets abgebrochen werden. Beide Blöcke werden mit einem Schutzanstrich vor Witterung und Alterung geschützt. Die Sowjetunion plant, die beiden Blöcke nach einem Absinken der Radioaktivität fertigzustellen. Die neue politische Lage in den 1990er Jahren macht die Durchführung dieses Plans unmöglich, weil die Ukraine als Nachfolgestaat auf diesem Gebiet weder den politischen Willen noch die finanziellen Mittel zur Fertigstellung hat.


1990. Unter dem Eindruck der Katastrophe von Tschernobyl wird in der Ukraine ein Baustopp für neue Atomreaktoren erteilt.


11. Oktober 1991. In Block 2 kommt es nach einer Wasserstoffexplosion zu einem Großbrand in der Turbinenhalle, das Dach stürzt teilweise ein und einer der beiden Generatoren wurde schwer beschädigt. Da die manuelle Reaktorabschaltung gelingt, wird der Reaktor selbst nur minimal beschädigt und es tritt kaum Radioaktivität aus. Nach Kostenabschätzungen für eine mögliche Reparatur wird vorerst auf eine Reparatur verzichtet und abgewartet. 1991, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, beschliesst die ukrainische Regierung, Block 2 vorerst auf Warteposition zu halten.


Dezember 1991. Im Zuge der Auflösung der Sowjetunion erlangt die Ukraine nach einem Referendum mit 90,3% Zustimmung ihre staatliche Unabhängigkeit.


20. Oktober 1993. Die Betriebsdauer für Block 1 wird ein letztes Mal um drei Jahre verlängert. Die Betriebsdauer von Block 3 sogar um sieben Jahre. Gleichzeitig wird Block 2 die Betriebserlaubnis entzogen und der Reaktor endgültig stillgelegt.


30. November 1996. Block 1 wird stillgelegt.


15. Dezember 2000. Block 3 wird stillgelegt auch auf Druck und nach Ausgleichszahlungen der Europäischen Union vom Netz genommen.


2006. Im Kraftwerk sind noch ungefähr 3000 Personen mit Überwachungs- und Wartungsarbeiten beschäftigt. Das Kraftwerk, obwohl stillgelegt, ist somit bei weitem nicht verwaist.


23. April 2008. In der Zone am AKW nimmt die Atommüll-Verarbeitungsanlage Vektor den Betrieb auf. Dort soll begonnen werden, die kontaminierten Teile in der Zone zu verarbeiten, um diese für eine Endlagerung vorzubereiten.


2010. In den Reaktorblöcken 1 bis 3 werden die Brennstäbe entfernt. Diese Demontagearbeiten sollen wie geplant laufen. Im gesamten AKW soll es in diesem Jahr zu keinen Vorfällen gekommen sein. Aus dem Reaktorblock 3 wurden in diesem Jahr insgesamt 891 Brennstäbe zum Nasslager ISF-1 transportiert, 134 Brennstäbe verblieben (keine genauen Angaben) zunächst im Kühlwasser des Reaktors.


Bis September 2010. Es laufen diverse Reparaturarbeiten, um auf den Winter vorbereitet zu sein. Im Süden und Norden von Block vier werden bis September Fundamente für den neuen Sarkophag gebaut, der durch das Novarka-Konsortium entworfen wurde. Das Abfallbehandlungsgebäude für flüssige radioaktive Abfälle (englisch Liquid Radioactive Waste Treatment Plant, kurz LRTP) ist noch nicht fertiggestellt. Weiterhin werden im gesamten Kernkraftwerk kleinere Wartungsarbeiten und die Installation von weiteren Sicherheitseinrichtungen, wie zum Beispiel speziellen Türen oder Brandschutzanlagen, durchgeführt.


November 2011. Es wird damit begonnen, einen neuen Lüftungsturm für die zweite Ausbaustufe (Block 3 und 4) zu installieren. Der alte, mittlerweile stark korrodierte Turm wird in Kürze entfernt, da er nicht unter die neue Schutzhülle passen wird. Somit wird der Katastrophenreaktor sein charakteristisches Erscheinungsbild der letzten 25 Jahre bedeutend verändern.


26. April 2011. Zum 26. Jahrestag wird der Grundstein für den neuen Sarkophag von Reaktor 4 gelegt. Die neue Schutzhülle soll rund 1,5 Milliarden Euro kosten und bis 2015 fertiggestellt sein.


12. Februar 2013. Das Dach der Turbinenhalle stürzt etwa 70 Meter vom Sarkophag entfernt auf einer Fläche von 600 m² unter Schneelast partiell ein. Es soll aber weder Radioaktivität ausgetreten sein noch Verletzte gegeben haben.

Atomkraftwerke in der Ukraine


Bilder aus Wikimedia Commons
Atomkraftwerk Tschernobyl, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, Urheber: Ingmar Runge

Quellen