Mittwoch, 21. Oktober 2015

Nikolaus Riehl

Zeitungsanzeige der Meteor-AG
Der russisch-deutsche Physiker und Chemiker Nikolaus Riehl wurde 24. Mai 1901 in Sankt Petersburg geboren († 2. August 1990 in München).

Nikolaus Riehl versorgte das deutsche Uranprojekt als Mitarbeiter der Auergesellschaft mit Uran und veröffentlichte Artikel in den streng geheimen Kernphysikalischen Forschungsberichten

Er arbeitete nach dem zweiten Weltkrieg an der Entwicklung der sowjetischen Atombombe mit.

Riehl und seine Frau Ilse hatten zwei Töchter Ingeborg, Irene und einen Sohn.

Leben

24. Mai 1901. Nikolaus Riehl wird in Sankt Petersburg geboren. Sein Vater Wilhelm Riehl ist bis 1917 Ingenieur in den Russischen Elektrotechnischen Werken von Siemens & Halske in Sankt Petersburg. Seine Mutter, Helene Kagan, entstammt einer jüdisch-russischen Ärztefamilie. Nikolaus Riehl spricht fließend russisch und deutsch. Er besucht in Sankt Petersburg die Schule.

1918. Die Familie übersiedelt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nach Berlin.

1920 bis 1927. Im Rahmen der deutsch-sowjetischen Militärkooperation studiert Riehl Physik und Atomchemie an der Staatlichen Polytechnischen Universität Sankt Petersburg und der Friedrich-Wilhelm-Universität zu Berlin. Hier macht er Bekanntschaft mit dem Forscherteam um Lise Meitner in der Abteilung für Radioaktivität des Kaiser-Wilhelm-Instituts in Berlin-Dahlem.

1927. Er promoviert er über einen Geigerzähler für Beta-Strahlen-Spektroskopie.

Nach Abschluss seiner Dissertation findet Nikolaus Riehl eine Anstellung bei der Auergesellschaft, die zum Phoebuskartell gehört. Hier wird er Leiter der wissenschaftlichen Laboratorien dieser Gesellschaft und ist mit der Akquisition der vielfältigen Produkte wie Glühlampen (mit Glühfäden aus Wolfram), Röntgenartikel, radioaktive Stoffe und bald auch Gasmasken befasst. Im Rahmen dieser Aufgaben hat Riehl Kontakt mit Hans-Joachim Born, Alexander Catsch und Karl Günter Zimmer, welche im Institut für Experimentelle Genetik der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft in Berlin-Buch unter Nikolai Timofejew-Ressowski forschen. Mit Paul Max Wolf, einem Mitarbeiter der wissenschaftlichen Laboratorien der Auergesellschaft, und Karl Zimmer (1911–1988) werden Forschungen mit Röntgen-Bestrahlung in der Genetik durchgeführt. Als Ergebnis veröffentlichen Nikolai Timofejew-Ressowski, Max Delbrück, Zimmer und Riehl 1935 die interdisziplinäre Studie Über die Natur der Genmutation und Genstruktur. In dieser Studie wird die Treffertheorie der biologischen Strahlenwirkung postuliert. In der Zeit seines Einsatzes für Auer erwirbt sich Riehl einen Ruf als Spezialist für Lumineszenz und entwickelt maßgeblich die Leuchtstofflampe mit, die von der Auergesellschaft 1935 auf den Markt gebracht wird.

9. September 1939. Riehl wird Leiter der Uranproduktion der Auergesellschaft. Paul Max Wolf wird Leiter der radiologischen Abteilung der Gesellschaft. Hans-Joachim Born vom Chemischen Laboratorium Philipp Hoernes ist Fabrikleiter des Werkes Seltene Erden in Oranienburg der Auergesellschaft. 

1945. Bis kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelingt es den Forschern unter Riehl, Reinsturan-Metall zu erschmelzen, das Ausgangsprodukt für die Atomspaltung ist. Wegen der nahenden Fronten werden Laboratorien in das Brandenburger Umland verlegt, fertige Uranmetallwürfel an geheimen Orten eingelagert. Obwohl sämtliche Arbeiten strengster Geheimhaltung unterliegen, sind Gerüchte über die Arbeiten bis in die USA und in die Sowjetunion bekannt geworden. Beide Seiten starten eine Jagd auf die Materialien und auf die deutschen Spezialisten. Denn beide Seiten arbeiten fieberhaft an eigenen Atomprogrammen. Riehl zieht sich mit seiner Familie auf seinen Sommersitz bei Kagar zurück, wo er weiterhin unter primitiven Bedingungen seine Gießversuche in einer Scheune durchführt.

21. April 1945. Sowjetische Experten untersuchen den durch gezielte US-amerikanische Bombardements fast vollständig zerstörten Betrieb der Auergesellschaft in Oranienburg. Riehl wird, wie andere leitende Mitarbeiter, dorthin mitgenommen und von den Physikern Georgi Fljorow und Lew Arzimowitsch befragt. Patente, Dokumente, Laborausrüstung und Schwermetalle werden beschlagnahmt, darunter 900 Tonnen Monazitsand, 125 Tonnen Thoriumverbindungen, etwa 100 Tonnen Zirkon. Etwa 40 der knapp 100 russischen Wissenschaftler des sowjetischen Atombombenprojektes im Labor 2 suchen in den von der Roten Armee besetzten Gebieten nach weiteren Wissenschaftlern und nach Uran. Die bereits von der Sowjetarmee erfassten deutschen Forscher werden unter "leichtem Druck" aufgefordert, ihr Wissen der Siegermacht zur Verfügung zu stellen. 

9. Juli 1945. Nach Gesprächen mit dem russischen Physiker Juli Borissowitsch Chariton in Berlin wird eine Reihe deutscher Wissenschaftler mit ihren Familien in die UdSSR ausgeflogen, auch Nikolaus Riehl. Zusätzlich „rekrutiert“ der NKWD unter anderem Manfred von Ardenne, Gustav Hertz, Peter Adolf Thiessen und Max Volmer für Forschungsaufgaben in der Sowjetunion. Die Rote Armee stellt in Neustadt / Glewe schließlich annähernd 100 Tonnen Uranoxid sicher, das etwa 25–40 Prozent des Urans aus dem gesamten Gebiet des Deutschen Reiches und Tschechiens entspricht. Sie waren dort möglicherweise für den Transport per U-Boot über Penang zu Dr. Bunsaku Arakatsu in Hungnam / Konan im von 1910 bis 1945 japanischen Nordkorea vorgesehen, der bereits im Dezember 1943 ab Kiel begonnen hat und nach anderthalb Jahren mit U-234 (dessen Zwischenziel zum Nachtanken und für Auswanderer wie General Ulrich Kessler Argentinien gewesen sein dürfte, weil sowohl die Milchkuh-U-Boote bei den Azoren als auch die Tankschiffe im südlichen Indischen Ozean nicht mehr existieren) endet, eine alternative Nutzung der Nordostpassage im Sommer 1944 kann nur vermutet werden. Chariton schätzt den durch das gefundene und in die Sowjetunion abtransportierte Uran erzielten Zeitgewinn bei der Förderung und Anreicherung von Uran zum Erstellen der ersten sowjetischen Bombe auf etwa ein Jahr ein.

1945 bis 1950. Nikolaus Riehl leitet die Uran-Produktion im Werk Nr. 12 in Elektrostal. Unter seiner Leitung arbeiten hier die folgenden deutschen Wissenschaftler: A. Baroni, Hans-Joachim Born, Alexander Catsch, Werner Kirst, H. E. Ortmann, Przybilla, Herbert Schmitz, Walter Sommerfeldt, Herbert Thieme, Tobein, Günter Wirths und Karl Günter Zimmer

Ab viertes Quartal 1946. Das Werk 12 in Elektrostal liefert pro Woche etwa drei Tonnen metallisches Uran an das Labor Nr. 2. 

29. August 1949. Die erste sowjetische Atombombe wird gezündet.

1949. Für seine Arbeiten am sowjetischen Atomforschungsprojekt erhält Riehl den Stalinpreis, den Leninorden und den Titel Held der sozialistischen Arbeit. Zu den Preisen gehört auch eine Datscha westlich von Moskau, welche Riehl jedoch nicht nutzt.

Ab 1950. Die Produktion von Uranmetall wird auf etwa eine Tonne pro Tag gesteigert, wobei das Werk nicht die einzige Anreicherungsstätte für Uran ist. Nach der Zündung der ersten sowjetischen Atombombe ist Riehl im Werk 12 nicht mehr erforderlich. Man übertrug ihm daher die Leitung des Instituts Labor B in Sungul (Objekt 0211). 

Instituts Labor B in Sungul sind im Jahr 1947 bereits Hans-Joachim Born, Alexander Catsch und Karl Zimmer versetzt worden. Mit Riehl kommen nun Ortmann, Baroni und Schmitz nach. In Sungul sind nie mehr als 26 Deutsche, bei insgesamt 95 Mitarbeitern 1946 und 451 im Jahr 1955. Reaktoren im Institut Sungul erzeugen radioaktive Stoffe und die Mitarbeiter verarbeiten sie und forschen auf den Gebieten Radiobiologie, Radiochemie und Dosimetrie. In diesem Institut arbeiten neben anderen folgende Deutsche: Renata von Ardenne (die Schwester von Manfred von Ardenne), Wilhelm Menke, Willi Lange, Joachim Pani, Kurt Rintelen, Werner Czulius, Hans Jürgen von Oertzen, Ernst Rexer und Carl Friedrich Weiss. Das Institut wird vom 9. Direktorat des Innenministeriums (MWD) überwacht.

1952. Riehl äußert den Wunsch, nach Deutschland zurückzukehren. Daraufhin wird ihm auferlegt, noch drei Jahre (1952–1954) für die Sowjetunion in einem Atomforschungsinstitut, in dem auch andere deutsche Wissenschaftler tätig sind, in Agudzera im Distrikt Gulripsch bei Sochumi/Abchasien (Georgien) zu verbringen.

4. April 1955. Riehl wird mit seiner Familie in die DDR ausgeflogen.

Anfang Juli 1955. Die Familie kann in die Bundesrepublik Deutschland weiterreisen. Riehl geht an das Institut für Physik der Technischen Universität München, wo er bei Heinz Maier-Leibnitz arbeitet.

1957. Er ist am Bau des Forschungsreaktors in Garching beteiligt.

1961. Er erhält eine ordentliche Professur für Physik mit der Spezialisierung auf Festkörperphysik, insbesondere auf die Physik von Eis und die Spektroskopie von Festkörpern.

2. August 1990. Nikolaus Riehl stirbt in München.

Bilder aus Wikimedia Commons
Zeitungsanzeige der Meteor-AG, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, Urheber: Lantus

Quellen