Freitag, 25. September 2015

Paul Harteck

Paul Harteck
Der österreichische Physikochemiker Paul Karl Josef Maria Harteck wurde am 20. Juli 1902 in Wien geboren († 22. Januar 1985 in Santa Barbara, Kalifornien).

Paul Harteck arbeitete unter anderem am deutschen Uranprojekt zur Entwicklung einer Atombombe mit. Zudem hat er in den 1950er Jahren offenbar für das Atomwaffenprogramm von Brasilien zwei Ultrazentrifugen für die Urananreicherung gebaut.

Leben

20. Juli 1902. Paul Karl Josef Maria Harteck wird in Wien geboren. Er studiert in Wien und Berlin Chemie.

1926. Er promoviert bei Max Bodenstein über die Photokinetik des Kohlenoxychlorides (Phosgen). Danach arbeitet er Arnold Eucken in Breslau.

1928 bis 1933. Er ist Assistent bei Fritz Haber am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie in Berlin-Dahlem.

1929. Er entdeckt er zusammen mit Karl Friedrich Bonhoeffer die Wasserstoffmodifikationen Ortho- und Parawasserstoff. 

1933 bis 1934. Er hält sich zu einem einjährigen Forschungsaufenthalt bei Ernest Rutherford in Cambridge auf und entdeckt im Jahr 1934 zusammen mit Rutherford und Mark Oliphant das Wasserstoffisotop Tritium.

1934. Er wird Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an der Universität Hamburg.

24. April 1939. Paul Harteck (Physikochemiker in Hamburg) und sein Assistent Wilhelm Groth schreiben an das Oberkommando des Heeres dass mit den neuesten Entwicklungen aus der Atomphysik möglicherweise ein Sprengstoff hergestellt werden könnte, der die Wirkung konventioneller Sprengstoffe um das Vielfache übertreffen könnte. Kurt Diebner (Fachmann des Heeres für Sprengstoffe und Atomphysik) fordert daraufhin umgehend Mittel beim Heer an um in Kummersdorf im Süden Berlins ein Versuchslaber einrichten zu lassen. Diebner wird daraufhin Leiter einer neu eingerichteten Atomforschungsabteilung im Heereswaffenamt ernannt. Die Heeresleitung befielt gleichzeitig der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt in Berlin die Einstellung der Uranforschungsversuche. Äußerungen zu Uranreaktoren und Uranwaffen gelten ab sofort als geheim.

Anfang 1940. Neben Werner Heisenberg am Kaiser-Wilhelm-Institut in Berlin und Kurt Diebner in Berlin-Kummersdorf arbeitet auch Paul Harteck an der Universität Hamburg an einem Uranreaktor. Es findet ein Kampf um die stark begrenzten Ressourcen statt.
Es werden in Deutschland Versuche zur Erzielung einer atomaren Kettenreaktion mit Platten in einer Schichtanordnung gemacht in der abwechselnd Uran als spaltbares Material und Moderatoren zum Abbremsen der Neutronen gestapelt wurden. Als Moderatoren wurden Grafit, Trockeneis und Parafin genutzt.

April 1940. Heisenberg bittet Kurt Diebner um 500 bis 1000 Kg Uranoxid. Diebner schreibt zurück dass er sich mit Paul Harteck einigen sollte. Der hat offenbar gerade wegen 100 bis 300 Kilogramm angefragt.

Ende Mai 1940. Harteck möchte in einem Versuchsreaktor im Keller des Instituts  Uranoxid in festes Kohlendioxid (Trockeneis) einbetten, welches er aus den Leunawerken der I.G. Farben aus Merseburg bekommen soll. Weil der Kohlendioxidblock nur gut eine Woche hält bittet er Heisenberg um die Überlassung von Uranoxid bis zum Ende seines Versuchs. Es treffen jedoch nur 50 Kilogramm Uranoxid in Hamburg ein. Viel weniger als von Harteck erhofft. Zusammen mit einer Lieferung der Auergesellschaft hat er insgesamt für den Versuch nur 185 Kilogramm Uranoxid und damit viel zu wenig um eine atomare Kettenreaktion herbeizuführen.

11. bis 12. Februar 1944. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie wird von einer schweren Bombe getroffen, sodass eine konstruktive Forschungsarbeit kaum mehr weitergeführt werden kann. An seinen Bruder Heiner in Frankfurt am Main schreibt Otto Hahn:

"Mein Institut hat einen Volltreffer, der wohl gerade in meinem Direktorenzimmer explodiert ist. Die Hälfte des schönen Instituts wurde damit restlos zerstört. Alle meine Dokumente, Sonderdrucke, Manuskripte, Briefwechsel etc. sind atomisiert! Wertvolle und jetzt nicht wiederherstellbare Apparaturen, die im Frieden viele Tausende kosteten, sind dahin."

Daraufhin entschliesst sich Hahn, sein Institut nach Süddeutschland auszulagern, das von alliierten Bombenangriffen noch weitgehend verschont bleibt. In Tailfingen (Württemberg) können drei leerstehende Textilfabriken gefunden werden. In diese werden die noch intakten Reste des Instituts, insbesondere die stark aktiven Präparate und die Beryllium-Neutronenquellen, integriert werden. Otto Hahn und seine Frau beziehen zwei Zimmer in der Villa des Textil-Fabrikanten Julius Hakenmüller in der Panoramastraße 20, in denen sie bis zum Kriegsende untergebracht sind.
Diebner verlegt sein Labor nach Stadtilm in Thüringen, Harteck und Groth ziehen mit der neuen Ultrazentrifuge zuerst nach Freiburg, später nach Celle.
Mit Uranwürfeln werden im "Atomkeller" von Haigerloch offensichtlich Versuche zur Erzielung einer atomaren Kettenreaktion in einem mit schwerem Wasser gefüllten Becken unternommen.


23. April 1945. Alliierte Spezialeinheiten der Alsos-III-Mission entdecken in Haigerloch die Anlage in der die deutsche Entwicklung zum Bau einer Atombombe unter Werner Heisenberg stattfand. Der Reaktor wird zerstört und alle Materialien und Forschungsberichte beschlagnahmt und zur Analyse in die USA geschafft. Die deutschen Wissenschaftler des Uranprojekts werden verhaftet. Erich BaggeCarl Friedrich von Weizssäcker und Karl Wirtz werden in Hechingen gefasst, Werner Heisenberg in seiner Heimat Urfeld, Walther Gerlach und Kurt Diebner in München und Paul Harteck in Hamburg. In Teilfingen (heute: Albstadt) werden die Chemiker Otto Hahn, Horst Korsching und Max von Laue aufgegriffen.
Über kurze Zwischenaufenthalten in Reims, Versailles und Huy werden sie nach England in das Landhaus Farm Hall, in Godmanchester nahe Cambridge (Südengland) gebracht.

3. Juli 1945 bis zum 3. Januar 1946. Die führenden Wissenschaftler des Uranprojekts sind in Farm Hall in England interniert. Die Gespräche der Wissenschaftler werden durch das englische Militär abgehört und aufgezeichnet.
Eine Gruppe von insgesamt acht Personen, darunter Peter Ganz, unter Leitung von Major Th. H. Rittner ist für das Abhören, Aufnehmen, Abschreiben und Übersetzen verantwortlich (sog. Farm-Hall-Transkripte). Nur relevante technische oder politische Informationen, etwa zehn Prozent aller abgehörten Worte, werden aufgezeichnet, transkribiert und übersetzt. Die Aufzeichnungen erfolgen mit sechs bis acht Maschinen auf Schellack-überzogene Metallscheiben. Nach Transkription werden die Scheiben gelöscht und erneut verwendet. Die schriftlich fixierten Transkripte werden dem militärischen Leiter des US-amerikanischen Manhattan-Projekts zur Entwicklung der Atombombe, General Leslie R. Groves, in Form von 24 Berichten auf mehr als 250 Seiten nach Washington übermittelt.

Walther Gerlach schreibt später:

"Alle hatten in irgendeiner Weise in dem Uran-Verein an der Entwicklung eines Uranreaktors gearbeitet – außer Hahn selbst und Max von Laue. – Warum man sie holte, war und blieb so unklar wie ihr Status – ob gefangen, interniert, in Schutzhaft, sichergestellt: Hahn erfand das Wort die Detainten, die als guests of His Majesty, at the pleasure of His Majesty zu einem, abgesehen von Radio und Zeitungen, weltabgeschlossenen Leben gezwungen waren. Von Anfang an war er ganz selbstverständlich der Doyen der Gruppe; schnelle Erfassung einer Situation, klares Urteil, Menschlichkeit, Humor, Schlagfertigkeit und Standhaftigkeit, alle Register standen ihm für die Verhandlungen mit den ‚Betreuern‘, für die Regelung von Schwierigkeiten zur Verfügung."

6. August 1945. Major Terence H. Rittner (Diensthabender Offizier des Internierungslagers "Farm Hall") erhält aus London den Befehl dass die Gefangenen um 18 Uhr Radio hören sollen. Ritter soll die Reaktionen der Wissenschaftler auf die Meldungen verfolgen. Hahn, Heisenberg und Wirtz hören die Nachricht der BBC von der US-amerikanischen Atombombe die auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen worden ist. Die Reaktionen der drei Wissenschaftler sind unterschiedlich:
  • Wirtz äußert dass er froh  ist dass sie nicht selbst die Bombe hatten.
  • Heisenberg vermutet zunächst einen "Bluff" und vertritt später die Meinung dass es wohl der schnellste Weg war, den Krieg zu beenden. Er überdenkt dann schnell den wahrscheinlich von den US-Amerikanern eingeschlagenen Weg und die Größenordnung der kritischen Massen und hält am folgenden Tag ein Seminar darüber.
  • Hahn sieht sich in all seinen Befürchtungen bestätigt die ihn seit seiner Entdeckung der Atomspaltung im Dezember 1938 gequält haben. Er ist stark erschüttert, fühlt sich für den Tod von hunderttausenden japanischen Zivilisten verantwortlich und ist dem Suizid nahe. Er ist nur froh dass es den Deutschen nicht gelungen ist. In diesen schweren Stunden erwächst Hahns aktiver Pazifismus, der ihn in den nachfolgenden Jahren zu einem der engagiertesten und bedeutendsten Vorkämpfer für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung werden lässt.
  • Von Weizsäcker sagt dass es schrecklich sei was die Amerikaner getan haben und dass er die Aktion für Wahnsinn halte.
Carl Friedrich von Weizsäcker erinnert sich:

"Otto Hahns Reaktion auf Hiroshima war schrecklich. Denn Hahn war von früh an ein entschlossener Gegner des Nationalsozialismus. Er war ein guter, klassischer Liberaler. Seine ganze Hoffnung hatte er auf einen Sieg des Westens gesetzt, also auf einen Sieg Amerikas. Und nun erfuhr er, dass die Leute, auf die er seine Hoffnung gesetzt hatte, diese Waffe entwickelt und auch tatsächlich eingesetzt hatten. Das hat ihn erschüttert.

Diese Erschütterung von Otto Hahn am Tage von Hiroshima hat ihn mir noch einmal ein ganz großes Stück menschlich nähergebracht, gerade weil evident war, dass er sich für etwas verantwortlich fühlte, das er nach jeder normalen Regel nicht zu verantworten hatte. Denn Otto Hahn war ein wirklich moralischer und reifer Mensch, und so waren die Toten von Hiroshima für sein Empfinden auf seinem Gewissen. Und für dieses Empfinden habe ich ihn verehrt."

Werner Heisenberg schreibt in seinen Erinnerungen:

"Am tiefsten getroffen war begreiflicherweise Otto Hahn. Die Uranspaltung war seine bedeutendste wissenschaftliche Entdeckung, sie war der entscheidende und von niemandem vorhergesehene Schritt in die Atomtechnik gewesen. Und dieser Schritt hatte jetzt einer Großstadt und ihrer Bevölkerung, unbewaffneten Menschen, von denen die meisten sich am Kriege unschuldig fühlten, ein schreckliches Ende bereitet. Hahn zog sich erschüttert und verstört in sein Zimmer zurück, und wir waren ernstlich in Sorge, dass er sich etwas antun könnte."

Der Wissenschaftshistoriker Friedrich Herneck fasst in einer historischen Analyse die wesentlichen Punkte zusammen:

"Dass die von Hahn erschlossene Einsicht zunächst nicht zum Nutzen der Menschheit, sondern zu ihrem Verderben, zur Schaffung von Massenvernichtungsmitteln, ausgewertet wurde, ist den politischen Verhältnissen zuzuschreiben, in die diese Entdeckung zeitlich fiel. Den Gelehrten trifft daran keine Schuld. Aber gerade durch diese tragische Verkettung von Wissenschaft und Gesellschaft wurde Otto Hahn zu einer einzigartigen weltgeschichtlichen Gestalt, zu einem jener Naturforscher, die in ihrer Bedeutung hoch hinausragen über den Bereich ihres fachwissenschaftlichen Sondergebietes, wie – auf andere Weise – Galilei oder Darwin."

Die Interpretation der Farm-Hall-Protokolle ist umstritten, da einige der inhaftierten Physiker ahnten, dass sie abgehört wurden.

9. August 1945. Über Nagasaki wird die zweite US-amerikanische Atombombe abgeworfen.

1948 bis 1950. Harteck ist Rektor der Universität Hamburg.

1951. Er emigriert in die USA, wo er am Rensselaer Polytechnic Institute in Troy/New York arbeitet.

1952. Mit einer chiffrierten Überweisung der Dresdner Bank über 80.000 US-Dollar werden von Paul Harteck und Wilhelm Groth (Physiker aus Adolf Hitlers Uranprojekt) im Geheimauftrag des brasilianischen Admirals Álvaro Alberto zwei Ultrazentrifugen für die Urananreicherung gebaut. Diese werden von den Alliierten beschlagnahmt und erst 1954 verschifft. Wichtig ist das für das militärische Interesse an Atomwaffen daher weil das sogenannte Trenndüsenverfahren vor allem für Anreicherungsstufen über 20% der effektiveste und schnellste Weg zu hoch angereichertem und damit atomwaffenfähigen Uran ist.

1956. Er wird von der Max-Planck-Gesellschaft zum Auswärtigen Wissenschaftlichen Mitglied am Fritz-Haber-Institut berufen.

Bilder aus Wikimedia Commons
Paul Harteck, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany, Herkunft: Bundesarchiv, Bild 183-2005-0331-501 / CC-BY-SA 3.0

Quellen