![]() |
| Farm Hall |
Der englische Landsitz Farm Hall befindet sich in der Nähe des Dorfes Godmanchester 16 km nordwestlich von Cambridge.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Farm Hall vom britischen Geheimdienst zur Ausbildung von Agenten genutzt.
Vom 3. Juli 1945 bis zum 3. Januar 1946 waren auf Farm Hall zehn deutsche Atomphysiker interniert. Die Maßnahme trug den Codenamen Operation Epsilon und war Teil der Alsos-Mission.
Ziel war, durch versteckte Abhöreinrichtungen herauszufinden, wie weit das deutsche Uranprojekt zur Entwicklung einer Atombombe fortgeschritten war, welche Rolle die internierten Wissenschaftler hatten, und wie die Kooperationsbereitschaft den Alliierten gegenüber einzuschätzen war. Dies war insbesondere für Großbritannien interessant, das zu diesem Zeitpunkt noch keine Atommacht war.
Geschichte
23. April 1945. Alliierte Spezialeinheiten der Alsos-III-Mission entdecken in Haigerloch die Anlage in der die deutsche Entwicklung zum Bau einer Atombombe unter Werner Heisenberg stattfand. Der Reaktor wird zerstört und alle Materialien und Forschungsberichte beschlagnahmt und zur Analyse in die USA geschafft. Die deutschen Wissenschaftler des Uranprojekts werden verhaftet. Erich Bagge, Carl Friedrich von Weizssäcker und Karl Wirtz werden in Hechingen gefasst, Werner Heisenberg in seiner Heimat Urfeld, Walther Gerlach und Kurt Diebner in München und Paul Harteck in Hamburg. In Teilfingen (heute: Albstadt) werden die Chemiker Otto Hahn, Horst Korsching und Max von Laue aufgegriffen.
Über kurze Zwischenaufenthalten in Reims, Versailles und Huy werden sie nach England in das Landhaus Farm Hall, in Godmanchester nahe Cambridge (Südengland) gebracht.
3. Juli 1945 bis zum 3. Januar 1946. Die führenden Wissenschaftler des Uranprojekts sind in Farm Hall in England interniert. Die Gespräche der Wissenschaftler werden durch das englische Militär abgehört und aufgezeichnet.
Eine Gruppe von insgesamt acht Personen, darunter Peter Ganz, unter Leitung von Major Th. H. Rittner ist für das Abhören, Aufnehmen, Abschreiben und Übersetzen verantwortlich (sog. Farm-Hall-Transkripte). Nur relevante technische oder politische Informationen, etwa zehn Prozent aller abgehörten Worte, werden aufgezeichnet, transkribiert und übersetzt. Die Aufzeichnungen erfolgen mit sechs bis acht Maschinen auf Schellack-überzogene Metallscheiben. Nach Transkription werden die Scheiben gelöscht und erneut verwendet. Die schriftlich fixierten Transkripte werden dem militärischen Leiter des US-amerikanischen Manhattan-Projekts zur Entwicklung der Atombombe, General Leslie R. Groves, in Form von 24 Berichten auf mehr als 250 Seiten nach Washington übermittelt.
Walther Gerlach schreibt später:
"Alle hatten in irgendeiner Weise in dem Uran-Verein an der Entwicklung eines Uranreaktors gearbeitet – außer Hahn selbst und Max von Laue. – Warum man sie holte, war und blieb so unklar wie ihr Status – ob gefangen, interniert, in Schutzhaft, sichergestellt: Hahn erfand das Wort die Detainten, die als guests of His Majesty, at the pleasure of His Majesty zu einem, abgesehen von Radio und Zeitungen, weltabgeschlossenen Leben gezwungen waren. Von Anfang an war er ganz selbstverständlich der Doyen der Gruppe; schnelle Erfassung einer Situation, klares Urteil, Menschlichkeit, Humor, Schlagfertigkeit und Standhaftigkeit, alle Register standen ihm für die Verhandlungen mit den ‚Betreuern‘, für die Regelung von Schwierigkeiten zur Verfügung."
6. August 1945. Major Terence H. Rittner (Diensthabender Offizier des Internierungslagers "Farm Hall") erhält aus London den Befehl dass die Gefangenen um 18 Uhr Radio hören sollen. Ritter soll die Reaktionen der Wissenschaftler auf die Meldungen verfolgen. Hahn, Heisenberg und Wirtz hören die Nachricht der BBC von der US-amerikanischen Atombombe die auf die japanische Stadt Hiroshima abgeworfen worden ist. Die Reaktionen der drei Wissenschaftler sind unterschiedlich:
- Wirtz äußert dass er froh ist dass sie nicht selbst die Bombe hatten.
- Heisenberg vermutet zunächst einen "Bluff" und vertritt später die Meinung dass es wohl der schnellste Weg war, den Krieg zu beenden. Er überdenkt dann schnell den wahrscheinlich von den US-Amerikanern eingeschlagenen Weg und die Größenordnung der kritischen Massen und hält am folgenden Tag ein Seminar darüber.
- Hahn sieht sich in all seinen Befürchtungen bestätigt die ihn seit seiner Entdeckung der Atomspaltung im Dezember 1938 gequält haben. Er ist stark erschüttert, fühlt sich für den Tod von hunderttausenden japanischen Zivilisten verantwortlich und ist dem Suizid nahe. Er ist nur froh dass es den Deutschen nicht gelungen ist. In diesen schweren Stunden erwächst Hahns aktiver Pazifismus, der ihn in den nachfolgenden Jahren zu einem der engagiertesten und bedeutendsten Vorkämpfer für Frieden, Abrüstung und Völkerverständigung werden lässt.
- Von Weizsäcker sagt dass es schrecklich sei was die Amerikaner getan haben und dass er die Aktion für Wahnsinn halte.
"Otto Hahns Reaktion auf Hiroshima war schrecklich. Denn Hahn war von früh an ein entschlossener Gegner des Nationalsozialismus. Er war ein guter, klassischer Liberaler. Seine ganze Hoffnung hatte er auf einen Sieg des Westens gesetzt, also auf einen Sieg Amerikas. Und nun erfuhr er, dass die Leute, auf die er seine Hoffnung gesetzt hatte, diese Waffe entwickelt und auch tatsächlich eingesetzt hatten. Das hat ihn erschüttert.
Diese Erschütterung von Otto Hahn am Tage von Hiroshima hat ihn mir noch einmal ein ganz großes Stück menschlich nähergebracht, gerade weil evident war, dass er sich für etwas verantwortlich fühlte, das er nach jeder normalen Regel nicht zu verantworten hatte. Denn Otto Hahn war ein wirklich moralischer und reifer Mensch, und so waren die Toten von Hiroshima für sein Empfinden auf seinem Gewissen. Und für dieses Empfinden habe ich ihn verehrt."
Werner Heisenberg schreibt in seinen Erinnerungen:
"Am tiefsten getroffen war begreiflicherweise Otto Hahn. Die Uranspaltung war seine bedeutendste wissenschaftliche Entdeckung, sie war der entscheidende und von niemandem vorhergesehene Schritt in die Atomtechnik gewesen. Und dieser Schritt hatte jetzt einer Großstadt und ihrer Bevölkerung, unbewaffneten Menschen, von denen die meisten sich am Kriege unschuldig fühlten, ein schreckliches Ende bereitet. Hahn zog sich erschüttert und verstört in sein Zimmer zurück, und wir waren ernstlich in Sorge, dass er sich etwas antun könnte."
Der Wissenschaftshistoriker Friedrich Herneck fasst in einer historischen Analyse die wesentlichen Punkte zusammen:
"Dass die von Hahn erschlossene Einsicht zunächst nicht zum Nutzen der Menschheit, sondern zu ihrem Verderben, zur Schaffung von Massenvernichtungsmitteln, ausgewertet wurde, ist den politischen Verhältnissen zuzuschreiben, in die diese Entdeckung zeitlich fiel. Den Gelehrten trifft daran keine Schuld. Aber gerade durch diese tragische Verkettung von Wissenschaft und Gesellschaft wurde Otto Hahn zu einer einzigartigen weltgeschichtlichen Gestalt, zu einem jener Naturforscher, die in ihrer Bedeutung hoch hinausragen über den Bereich ihres fachwissenschaftlichen Sondergebietes, wie – auf andere Weise – Galilei oder Darwin."
Die Interpretation der Farm-Hall-Protokolle ist umstritten, da einige der inhaftierten Physiker ahnten, dass sie abgehört wurden.
9. August 1945. Über Nagasaki wird die zweite US-amerikanische Atombombe abgeworfen.
1962. Erst durch die jetzt erscheinende Monografie von Groves über das von ihm geleitete Projekt kommt anhand seiner ausführlichen Zitierungen – auch für die deutschen Physiker selbst – erstmals heraus, dass Transkriptionen ihrer persönlichen Gespräche in der Internierung existieren. Die Protokolle sind nur in ihrer englischen übersetzten Fassung erhalten.
1991. Die Protokolle werden erst jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, nachdem eine Reihe hochrangiger Wissenschaftler, unter anderem die Präsidenten der Royal Society und der British Academy sowie zum Beispiel Rudolf Peierls, sich an den britischen Lordkanzler gewandt haben.
Bilder aus Wikimedia Commons
Farm Hall, Lizenz: Public Domain, Urheber: National Archives, http://www.nara.gov
Quellen
