Sonntag, 9. November 2014

Atomkraftwerk Belojarsk

Atomkraftwerk Belojarsk
Das russische Atomkraftwerk Belojarsk (russisch Белоярская АЭС, Abkürzung БАЭС, BAES) befindet sich östlich des Ural, 50 km von der Millionenstadt Jekaterinburg entfernt, bei Saretschny. Es war das erste kommerzielle zivile Atomkraftwerk der Sowjetunion und wird auch Atomkraftwerk Igor Kurtschatow nach dem Akademiemitglied Igor Wassiljewitsch Kurtschatow genannt. Seit der Inbetriebnahme hat das Kraftwerk fünfmal den Titel Bestes Kernkraftwerk Russlands gewonnen und 1980 den Orden des roten Banner der Arbeit erhalten.

Das AKW verfügt über 4 Blöcke. Es bezieht sein Kühlwasser aus der für das Atomkraftwerk an der Pyschma angelegten Belojarsker Talsperre, welche während des Baus der Blöcke 1 und 2 zwischen 1958 und 1961 entstand. Das Atomkraftwerk erzeugt ungefähr 10 % der elektrischen Energie für die Oblast Swerdlowsk.

Die Reaktoren 1 und 2, die mittlerweile stillgelegt sind, befinden sich in der Rückbauphase. Die kontaminierten Bauteile sollen nahe dem Kraftwerk langfristig eingelagert werden.

Reaktor 3 ist derzeit der weltgrößte in Betrieb befindliche Schnelle Brüter. Er ist der Nachfolger des BN-350 im Atomkraftwerk Aqtau (Kasachstan). Der Reaktor hat drei Kühlkreisläufe und eine Bruttoleistung von 600 MW und besitzt kein Containment. Die früher vom Betreiber Rosenergoatom geäußerte Werbeaussage, er sei einer der umweltfreundlichsten und sichersten Reaktoren der Welt, da er so gut wie keine krebserregenden Stoffe freisetze, wird mittlerweile nicht mehr aufrechterhalten. Diese Behauptung wurde auch schon seit längerem bestritten, u. a. von der Umweltschutzorganisation Bellona Foundation und der EU-Kommission.

Eigentümer und Betreiber ist Rosenergoatom.

Auf dem Gelände des Kraftwerkes befindet sich außerdem der Forschungsreaktor IWW-2M.

Geschichte

1. Juni 1958. Baubeginn Block 1. Er bekommt einen graphitmoderierten Druckröhrenreaktor vom Typ AMB-100 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 108 MWe und einer elektrischen Nettoleistung von 102 MWe. Dieser Reaktortyp ist einer der Vorgänger des RBMK.

1. Januar 1962. Baubeginn Block 2. Er bekommt einen graphitmoderierten Druckröhrenreaktor vom Typ AMB-200 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 160 MWe und einer elektrischen Nettoleistung von 146 MWe.

1. September 1963. Reaktor 1 wird erstmals kritisch.

1964. In Block 1 brennen Brennelemente durch. Die Reparaturen erfolgen unter einer unzulässig hohen Strahlendosis für die Arbeiter.

26. April 1964. Reaktor 1 wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert und geht am selben Tag noch in den kommerziellen Leistungsbetrieb.

10. Oktober 1967. Reaktor 2 wird erstmals kritisch.

29. Dezember 1967. Reaktor 2 wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.

1. Januar 1969. Baubeginn Block 3. Er bekommt einen Atomreaktor vom Typ Schneller Brüter BN-600 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 600 MWe und einer elektrischen Nettoleistung von 560 MWe. Der Reaktor hat eine thermische Leistung von 1470 MWth.
Der einzige biologische Schild des Reaktors ist eine 10 mm Stahlkonstruktion um den Reaktordruckbehälter. Als Brennstoff verwendet der Reaktor hochangereichertes Uran mit einem Anreicherungsgrad von 17 bis 21 %. Die aktive Zone des Reaktors ist einen Meter hoch und hat einen Durchmesser von zwei Metern. Der Reaktor hat drei Kühlkreisläufe und der Kühlmitteldurchsatz des Reaktors beträgt 25.000 t pro Stunde. Das Natrium verlässt den Reaktor mit bis zu 550 °C und überträgt die Wärme über sechs Wärmetauscher in den Sekundärkreislauf. Das Wasser wird auf 260 °C erwärmt und durch die 600 MW-Turbine geleitet.
Wie viel Strom ein Atomreaktor produziert, hängt unter anderem auch von der Verfügbarkeit und Betriebszeit des Reaktors ab. Reaktor 3 könnte, wenn er eine Verfügbarkeit von 100 % hätte, 5,25 Milliarden Kilowattstunden brutto Strom produzieren. Möglich ist dies aber nicht, da der Reaktor unter anderem für die Revision oder außerplanmäßige Störungen abgeschaltet oder heruntergefahren werden muss.

1. Dezember 1969. Block 2 geht in den kommerziellen Leistungsbetrieb.

1977. In Block 2 wird die Hälfte der Brennstäbe in der aktiven Zone zerstört.

30./31. Dezember 1978. Die Temperatur in der Gegend sinkt auf bis zu –50 °C. In der darauffolgenden Silvesternacht kommt es durch die niedrigen Temperaturen zu einem schweren Zwischenfall, der sich fast zu einem GAU ausgedehnt hätte. Das Dach der Turbinenhalle stürzt aufgrund von Materialermüdung ein. Teile fallen auf den Generator und es kommt zu einem Kurzschluss, der einen Brand in der Turbinenhalle auslöst. Messleitungen zum Reaktor werden zum Teil zerstört. Brennendes Öl erschwert es den Feuerwehrleuten, den Brand unter Kontrolle zu bringen. Um einen GAU zu verhindern, muss der Reaktor heruntergefahren werden. Dichter Rauch gelangt in die Schaltwarte, sodass das Bedienpersonal die Schaltwarte zeitweilig verlassen muss und nur für eine kurze Zeit diese zwischenzeitlich wieder betreten konnte, um einige Schaltungen durchzuführen. In den ersten Stunden macht man sich aus Sorge vor Konsequenzen daran, die nahe gelegene Arbeiterstadt Saretschny zu evakuieren. Man versucht bereits, in der Oblast Swerdlowsk viele Busse und Züge für die Evakuierung zu organisieren.
Acht Menschen werden schwer radioaktiv verstrahlt, knapp zwei Dutzend sind zeitweise durch das Rauchgas bewusstlos, aber nach einigen Stunden sind die Reaktoren wieder unter Kontrolle. In Jekaterinburg bricht eine Panik aus, weil Gerüchte von dem brennenden Atomkraftwerk in Belojarsk umgehen. Nach dem Vorfall verleiht der damalige Ministerpräsident der UdSSR, Alexei Nikolajewitsch Kossygin, allen Operatoren und Feuerwehrleuten, die eine Katastrophe verhindert haben, eine Ehrenmedaille. 

1979. In Block 1 brennen wieder Brennelemente durch. Die Reparaturen erfolgen wieder unter einer unzulässig hohen Strahlendosis für die Arbeiter.

8. April 1980. Reaktor 3 wird erstmals mit dem Stromnetz synchronisiert.

1980er Jahre. Baubeginn eines vierten Blocks mit einem Atomreaktor vom Typ BN-800.

1. November 1981. Block 3 geht in den kommerziellen Leistungsbetrieb. Mit der Inbetriebnahme des BN-600 ist der Standort Belojarsk gesichert.

1982. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 2771,0 Mio. KWh. Block 3 war in diesem Jahr 5555 Stunden am Netz.

1983. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3545,2 Mio. KWh.

1. Januar 1983. Block 1 wird endgültig abgeschaltet.

1984. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3584,1 Mio. KWh.

1985. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3561,8 Mio. KWh.

1986. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3500,7 Mio. KWh.

26. April 1986. Beginn der Katastrophe von Tschernobyl. Die ersten Maßnahmen danach sind die gleichen wie in Belojarsk im Jahr 1978, weil man die Erfahrungen, die man damals hier gesammelt hat, auch dort verwenden kann. Der Leiter bei den Maßnahmen in Belojarsk, Wladimir Sacharow, ist in Tschernobyl der stellvertretende Leiter der ersten Gruppe, die erste Maßnahmen nach der Katastrophe leitetet.

1986. Wegen der Katastrophe von Tschernobyl wird der Bau von Block 4 eingefroren.

1987. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 2 beträgt 1028,0 Mio. KWh., die von Block 3 beträgt 3894,9 Mio. KWh. Block 2 war in diesem Jahr 6966 Stunden am Netz.
Im selben Jahr wird die aktive Zone von Block 3 modernisiert. Dadurch kann der Abbrand der Brennelemente von 6,9 % auf 6,5 % gesenkt werden.

1988. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 2 beträgt 874,1 Mio. KWh., die von Block 3 beträgt 3762,1 Mio. KWh.

1989. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 2 beträgt 771,5 Mio. KWh., die von Block 3 beträgt 3694,4 Mio. KWh. Block 2 war in diesem Jahr 5263 Stunden am Netz.

1990. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3198,0 Mio. KWh.

1. Januar 1990. Block 2 wird endgültig abgeschaltet weil er die neuen Sicherheitsvorgaben nach der Katastrophe von Tschernobyl nicht erfüllt. Insgesamt hat er 22.008,717 Gigawattstunden Strom produziert.

1991. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3393,9 Mio. KWh.

1991 bis 1993. Die aktive Zone von Block 3 wird erneut modernisiert. Dadurch kann der Abbrand weiter auf 6,0 % gesenkt werden.

1992. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 4094,9 Mio. KWh. Block 3 war in diesem Jahr 7449 Stunden am Netz. Insgesamt hat der Reaktor nun 43.976 Gigawattstunden Strom produziert.

Dezember 1992. In Block 3 gelangt beim Umpumpen von radioaktiven Schlämmen radioaktiv kontaminiertes Wasser vom Abfallbecken in das Kühlwasserbecken. Dabei sickert das Wasser wegen eines undichten Sicherheitsfundaments in den Boden. Der Vorfall ist ein INES-1-Ereignis. 

1993. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3914,9 Mio. KWh.

7. Oktober 1993. In Block 3 kommt es zu einem Natrium-Leck in einer Leitung der Hilfssysteme. Dabei kommt es zum Austritt von etwa 1000 Litern Natrium und zur Freisetzung geringer Mengen Radioaktivität. Der Reaktor wird heruntergefahren. Es bricht ein kleines Feuer in einem der Stromkreisläufe der Primärkühlung aus. Der Vorfall wird auf der INES mit der Stufe 1 eingestuft.

November 1993. Nur kurze Zeit nach dem Natrium-Leck, wird Block 3 wegen erhöhter Strahlenwerte in der Abluftanlage heruntergefahren. Dies ist auf das Leck im Oktober zurückzuführen. Der Vorfall ist ebenfalls ein INES-1-Ereignis.

1994. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3810,6 Mio. KWh.

Mai 1994. Bei einer Generalüberholung bricht in Block 3 ein Feuer aus, nachdem Natrium in den Sekundärkreislauf lief und mit Wasser reagiert. Dabei wird jedoch keine Radioaktivität in die Umwelt freigesetzt. Das Ereignis wird mit INES 1 klassifiziert.

1995. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3413,2 Mio. KWh.

Juli 1995. Es kommt zu einem Natriumleck in Block 3. Der Reaktor muss für zwei Wochen heruntergefahren werden.

15. Dezember 1995. Es kommt in einem der Kreisläufe von Block 3 zu einem veränderten Heliumdruck. Der Reaktor wird heruntergefahren.

1996. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3722,3 Mio. KWh.

25. März 1996. Nahe der Entsorgungseinrichtung von Block 3 kommt es zu einem Kurzschluss. Der Reaktor bleibt weiterhin in Betrieb.

1997. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3545,8 Mio. KWh. Es wird beschlossen, den Bau von Block 4 wieder aufzunehmen.

1998. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 2335,3 Mio. KWh.

1999. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3720,9 Mio. KWh.

2000. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3565,8 Mio. KWh.

9. September 2000. In der Region und im Kraftwerk kommt es zu einem Stromausfall. Dabei sollen laut einer Darstellung die Notstrom-Dieselaggregate in Block 3 versagt haben. Nach 36 Minuten sollen sie repariert gewesen sein. Laut einer anderen Darstellung haben die Diesel deutlich früher funktioniert, weil nach einer halben Stunde ohne Strom bereits eine "Explosion" im Reaktorsystem zu erwarten wäre.

2001. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3891,1 Mio. KWh.

2002. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3774,4 Mio. KWh. Insgesamt hat der Reaktor nun 79.670 Gigawattstunden Strom produziert.

2003. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3693,2 Mio. KWh.

2004. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3927,6 Mio. KWh.

2005. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3802,7 Mio. KWh.

2006. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3844,9 Mio. KWh.

18. Juli 2006. Wiederaufnahme des Baus von Block 4. Er bekommt einen Atomreaktor vom Typ BN-800 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 864 MWe und einer elektrischen Nettoleistung von 789 MWe. Die thermische Leistung soll 2100 MWth betragen.
Man erwartet sich von dem Bau einen Brennstoffkreislauf in Russland. Dadurch sollen auch die abbauschwachen Uranminen in Russland geschont werden. Der BN-800 soll als Prototyp für den BN-1800 dienen, dessen Errichtung ebenfalls in Belojarsk geplant ist. Der Bau des BN-800 wird über den föderalen Haushalt sowie von Rosatom finanziert. Es handelt sich um den ersten Reaktor dieses Typs, da der 1986 begonnene Bau desKernkraftwerks Süd-Ural aufgrund finanzieller Probleme eingestellt wurde.

2007. Die jährliche Nettostromerzeugung von Block 3 beträgt 3798,4 Mio. KWh.

10. Juli 2007. In der Nähe des Kraftwerks schlägt ein Blitz in eine Hochspannungsleitung ein. Danach liefert der Generator nur noch eine Leistung von 400 MW statt 600 MW. Die Techniker können den Reaktor nur mit Mühe wieder auf volle Leistung bringen.

Dezember 2007. Die ersten beiden Natriumtanks von Block 4 werden installiert und befüllt. Sie haben eine Länge von 15 Metern, einen Durchmesser von 4 Metern und wiegen 54 Tonnen.

2008. Im AKW sind derzeit rund 2000 Menschen angestellt.

2010. Ursprünglich geplante Abschaltung von Reaktor 3. Der Reaktor wird jedoch aufgerüstet und modernisiert, um die Betriebszeit um 15 Jahre zu verlängern.

Juni 2014. Reaktor 4 nimmt den Testbetrieb auf.

Oktober 2014. Geplante Inbetriebnahme Block 4.

2015. Geplanter Baubeginn Block 5. Er soll einen Atomreaktor vom Typ BN-1200 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1220 MWe und einer elektrischen Nettoleistung von 1130 MWe bekommen.

2021 oder 2025. Block 3 wird vielleicht, eventuell, möglicherweise abgeschaltet.

Atomkraftwerke in Russland

Quellen