Samstag, 7. Juni 2014

Laufwellen-Reaktor

Numerische Simulation
eines Laufwellenreaktors
Der Laufwellen-Reaktor (engl. Traveling wave reactor, TWR) ist ein theoretisches Konzept eines Atomreaktortyps. Das Konzept gehört zur sogenannten "IV. Generation" von AKWs.

Der TWR soll sogenanntes Brutmaterial durch Transmutation in spaltbares Material umwandeln. Er unterscheidet sich vom Schnellen Brüter  dadurch, dass er theoretisch mit wenig oder gar keinem angereichertem Uran auskommt. Stattdessen soll er abgereichertes Uran, Roh-Uran, Thorium oder abgebrannte Brennelemente aus Leichtwasserreaktoren (LWR) sowie Kombinationen aus vorgenannten Stoffen verwenden die reichlich vorhanden sind. Der Name leitet sich daraus ab, dass die Atomspaltung nicht im gesamten Reaktor stattfinden würde, sondern nur in einer bestimmten Zone des Reaktors. Diese Atomspaltungszone würde langsam durch den Brennstoffkern wandern und das abgereicherte Uran in Plutonium-239 verwandeln welchges dass dann sofort wieder zur Energiegewinnung genutzt werden würde. Die dabei entstehende Wärme würde, wie in anderen Atomkraftwerken auch, mittels konventioneller Dampfturbinen in Elektrizität umgewandelt werden.

Der Reaktor

Zu Anfang würde der Kern mit Brutmaterial befüllt. An einem Ende des Reaktorkerns wird eine geringe Menge von Spaltmaterial hinzugefügt. Sobald der Reaktor in Betrieb genommen würde, wird der Kern in vier Zonen unterteilt:
  • Die aufgebrauchte Zone, welche hauptsächlich Spaltprodukte und übriggebliebenen Brennstoff enthält.
  • Die Spaltungszone, wo die Kernspaltung des erbrüteten Materials stattfindet.
  • Die Brutzone, wo durch Neutroneneinfang neues spaltbares Material entsteht.
  • Die „frische“ Zone, welche das unverbrauchte Brutmaterial enthält.
  • Die energieerzeugende Spaltungszone wandert mit der Zeit durch den Kern. Dabei wird das Brutmaterial auf der einen Seite verbraucht und auf der anderen Seite verbrauchter Brennstoff zurückgelassen. Die Wärme, die bei der Spaltung und der Brutreaktion entsteht, wird mit herkömmlichen Dampfturbinen in elektrische Energie umgewandelt.
Brennstoff

Theoretisch können TWRs anders als herkömmliche Atomreaktoren beim Bau mit genug abgereichertem Uran befüllt werden, um bei voller Leistung für über 60 Jahre oder länger Energie zu liefern. TWRs würden bezogen auf die elektritsche Leistung wesentlich weniger Uran als herkömmliche Atomreaktoren benötigen, da sie den Brennstoff effizienter abbrennen und einen besseren thermischen Wirkungsgrad aufweisen sollen. Im TWR würde theoretisch eine Wiederaufarbeitung im laufenden Betrieb stattfinden, ohne dass die für andere Brüterarten typische chemische Trennung stattfinden müsste. Diese Eigenschaften würden demnach die Brennstoff- und Abfallmengen erheblich reduzieren und die Proliferation erschweren.

Abgereichertes Uran wäre als Ausgangsbrennstoff reichlich verfügbar. Die Lagerbestände an abgereichertem Uran der Vereinigten Staaten bestehen gegenwärtig aus ca. 700.000 Tonnen. Es ist ein Abfallprodukt des Anreicherungsprozesses. TerraPower schätzt den Wert der damit erzeugbaren Elektrizität auf 100 Billionen USD. Wissenschaftler des Unternehmens haben außerdem errechnet, dass TWRs mit dem weltweit gelagerten abgereichertem Uran 80 % der Weltbevölkerung mit einem Pro-Kopf-­Stromverbrauch auf dem Niveau eines durchschnittlichen US-Bürgers über ein Jahrtausend lang versorgen könnten. Hinzu kommen noch ca. 4,5 Milliarden Tonnen Uran, welches sich in gelöster Form in Meerwasser befindet.

Prinzipiell könnten TWRs abgebrannte Brennelemente aus LWR verwenden. Dies ist möglich, da diese verbrauchten Brennelemente hauptsächlich aus abgereichertem Uran bestehen und weil die Absorption der schnellen Neutronen des TWR an Spaltprodukten um einige Größenordnungen kleiner ist als die der thermischen Neutronen im LWR.

TWRs wären zudem im Prinzip in der Lage, ihren eigenen Brennstoff wiederzuverwerten. Das abgebrannte Material aus dem TWR würde immer immer noch spaltbares Material enthalten. Durch Umformung und Neuverkapselung in neue Pellets könnte der Brennstoff theoretisch ohne chemische Wiederaufarbeitung wieder in TWRs verwendet werden. Damit würde die Notwendigkeit der Urananreicherung entfallen.

Umsetzungsprobleme

Bisher wurde nie ein Laufwellenreaktor gebaut. Auch bei Terrapower wurden derartige Reaktoren nur in Computersimulationen aufgebaut. Bei der Entwicklung eines derartigen Reaktors wären einige Probleme, teilweise ähnlich wie bei anderen Brutreaktoren, zu lösen:
  • Der Reaktor würde bei einer Temperatur von ca. 550 °C (ca. 820 K) mit relativ hohen Kerntemperaturen arbeiten. Zum Vergleich: Leichtwasserreaktoren arbeiten bei 330 °C. Dadurch würde sich die Lebensdauer der beteiligten Systeme deutlich verkürzen.
  • Durch den hohen Material- und Neutronenumsatz würde das Brennelement mechanisch sehr beansprucht werden.
  • Bauartbedingt würde die Erhitzung des Kerns nicht gleichmäßig erfolgen, sondern in einer begrenzten Zone, welche die komplette Leistung des Reaktors erzeugt.
  • Die geplante Natriumkühlung birgt ein inhärentes Sicherheitsrisiko. Daher ist zwischen dem Primärkreislauf und dem Wasser-Dampf-Kreislauf noch ein weiterer Natriumkreislauf zwischenzuschalten, damit im Fall einer Leckage nur nicht-radioaktives Natrium mit Wasser reagiert (siehe Brutreaktor). Ein Natriumbrand ist bis heute technisch nicht beherrschbar.
Fazit: Nette Idee - aber in der Praxis halt doch Kagge!

Geschichte

1950er Jahre. Die Idee eines Laufwellenreaktors kommt auf und wird seitdem immer wieder aufgegriffen und weiterentwickelt.

1958. Das Konzept eines Reaktors, der seinen eigenen Brennstoff erbrüten kann, wird erstmals von Saveli Feinberg erforscht. Feinberg spricht dabei vom Prinzip breed-and-burn (zu Deutsch erbrüten und verbrennen). 

1979. Michael Driscoll nimmt das Konzept wieder auf. Es gelingt ihm jedoch nicht, einen lauffähigen Laufwellenreaktor zu entwickeln.

1988. Lev Feoktistov nimmt das Konzept wieder auf. Es gelingt ihm jedoch nicht, einen lauffähigen Laufwellenreaktor zu entwickeln.

1995. Edward Teller & Lowell Wood  nimmt das Konzept wieder auf. Es gelingt ihm jedoch nicht, einen lauffähigen Laufwellenreaktor zu entwickeln.

2000. Hugo van Dam nimmt das Konzept wieder auf. Es gelingt ihm jedoch nicht, einen lauffähigen Laufwellenreaktor zu entwickeln.

2001. Hiroshi Sekimoto nimmt das Konzept wieder auf. Es gelingt ihm jedoch nicht, einen lauffähigen Laufwellenreaktor zu entwickeln.

2006. Die Firma Intellectual Ventures nimmt das Konzept wieder auf und gründet eine Schwestergessellschaft namens TerraPower mit dem Ziel, einen kommerziell einsatzfähigen TWR zu konzipieren und zu erbauen. Chef von TerraPower ist Nathan Myhrvold (Ex-Technologiechef von Microsoft).  TerraPower hat verschiedene Designs mit Ausgangsleistungen zwischen 300 MW und ≈1000 MW ausgearbeitet.

Artikel und Präsentationen zum TerraPower TWR beschreiben einen dem Schwimmbadreaktor ähnlichen Reaktor, der mit flüssigem Natrium gekühlt wird. Der Reaktor wird hauptsächlich mit abgereichertem Uran betrieben, benötigt aber eine geringe Menge von angereichertem Uran oder anderer spaltbarer Stoffe, um die Kernspaltung einzuleiten. Einige der schnellen Neutronen, die bei der Kernspaltung erzeugt werden, werden durch Neutroneneinfang im benachbarten Brutmaterial (z. B. nicht spaltbares abgereichertes Uran) durch eine anschließende Kernreaktion in Plutonium umgewandelt.

2010. Bill Gates (als Investor) und die Firma Toshiba kündigen Interesse an der Entwicklung eines Laufwellenreaktors an.

Bilder aus Wikimedia Commons
Numerische Simulation eines Laufwellenreaktors, Lizenz:  Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported , 2.5 generisch , 2.0 generisch und 1.0 generisch, Urheber: nbuechen

Quellen