Samstag, 11. Oktober 2014

Atomkraft in Großbritannien

Atomkraftwerk Hinkley Point A
Etwa ein Fünftel des elektrischen Stroms wird in Großbritannien mit Atomkraftwerken erzeugt. 27,5% liefert die Verbrennung von Erdgas. 40% stammt aus Kohlekraftwerken, etwa 15% werden mit Erneuerbaren Energien erzeugt.

Daneben ist Großbritannien einer der Staaten die über Atomwaffen verfügen. Insgesamt soll Großbritannien über etwa 200 Atomsprengköpfe verfügen, davon rund 185 Sprengköpfe in Einsatzbereitschaft.

Mit Sizewell B ist im Jahr 1995 das vorerst letzte Atomkraftwerk in Großbritannien ans Netz gegangen. Es war ein finanzielles Debakel. Daher sind die derzeit 18 Atomreaktoren in 9 Atomkraftwerken am Stromnetz (wie fast überall auf der Welt) in Großbritannien völlig veraltet. Im Winter muss man (wie im Atomstromland Frankreich auch) laufend mit Stromausfällen rechnen.

Bis 2020 müssen in Großbritannien mehrere veraltete Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Das älteste soll spätestens 2015 vom Netz genommen werden. Auch mehrere Kohlekraftwerke müssen wegen strengeren Umweltrichtlinien vom Netz genommen werden. Bis 2030 will Großbritannien offiziell deshalb an 8 Standorten neue Atomreaktoren bauen. Inoffiziell dürfte der Bau deshalb forciert werden um Personal für das Atomwaffenprogramm des Landes zu halten.

Geschichte

3. Oktober 1952. Großbritannien zündet bei der Operation Hurricane vor der Küste Australiens seine erste Atombombe.

1956. Großbritannien bringt das erste westeuropäische Atomkraftwerk, Calder Hall, ans Netz.

15. Mai 1957.Großbritannien zündet vor der Küste Australiens seine erste Wasserstoffbombe.

März 1970. Deutschland, die Niederlande und Großbritannien unterzeichnen den „Vertrag von Almelo“. Dieser bildet die Grundlage für eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung und dem industriellen Einsatz des Zentrifugenverfahrens zur Urananreicherung.
In der westlichen Welt gibt es insgesamt nur 4 Urankonversionsanlagen: Pierrelatte/Malvési in Frankreich (Betreiber Areva / Comurhex), Springfields in Großbritannien (Betreiber Cameco), Metropolis in Illinois in den USA (Betreiber Honeywell/Converdyn und Blind River/Port Hope in Ontario in Kanada (Betreiber Cameco).

1978. Gronau wird nach Almelo in den Niederlanden und Capenhurst in Großbritannien als Standort für die dritte Urananreicherungsanlage von Urenco ausgewählt. Der Standort wurde bereits damals für 5.000 Tonnen Urantrennarbeit ausgelegt.

25. März 2009. E.on und EdF erklären der britischen Regierung dass sie die Pläne zum Neubau von AKWs aufgeben würden wenn es im Land zu einem massiven Ausbau der Erneuerbaren Energien kommen würde. Windenergie würde dafür sorgen dass Atomreaktoren in Zeiten starken Windes immer wieder heruntergeregelt werden müssten so dass die Wirtschaftlichkeit der Anlagen beeinträchtigt wäre.

31. August 2009. Cuxhafen, Umschlagplatz für Atomtransporte aus Sellafield.

13. Oktober 2009. Aus der Atomanlage Majak gelangten mehrmals große Mengen radioaktiver Abwässer in die Tetscha. 50 Jahre lang bis zu einem internationalen Abkommen 1993 wurden von Großbritannien, den USA, Russland, Frankreich, Japan ... ganz legal etwa 100.000 Tonnen nukleare Abfällen in den Ozeanen verklappt. Da der Vertrag von 1993 nur verbietet dass Fässer mit Atommüll im Meer versenkt werden kann die Wiederaufbereitungsanlage von La Hague ganz legal bis heute jeden Tag 400 Kubikmeter radioaktives Abwasser in den Ärmelkanal einleiten und macht das auch.

10. November 2009. Großbritannien beschleunigt die Genehmigung von AKWs mit dem Ziel Atomenergie auf einen Anteil von 25% zu bringen. *grusel*.

03. Juni 2010. Die Entsorgung des Atommülls in Großbritannien wird immer teurer was man natürlich gaaar nicht vorhersehen konnte.

01. Juli 2011. In Großbritannien wurde die Katastrophe von Fukushima offenbar systematisch heruntergespielt "um die Atomwirtschaft nicht zu gefährden.

06. Juli 2011. RWE und E.ON haben offenbar auch international keinen Bock mehr auf Atomenergie. Projekte in Großbritannien sind erst einmal auf Eis gelegt. 2009 hatten die beiden Unternehmen dort ein Joint Venture zum Bau von 5 bis 6 Atomreaktoren gegründet. Für die beiden Standorte wurde bereits ein dreistelliger Millionenbetrag investiert. Bereits 2020 wollte man den ersten Atomreaktor ans Netz bringen. Insgesamt sollten 17 Mrd. Euro investiert werden. Ein weiteres Problem ist dass die beiden EPR in Finnland und Frankreich jetzt schon doppelt so teuer wie geplant sind und sich auch die Bauzeit mindestens verdoppelt hat.

04. August 2011. Die Regierung von Großbritannien hat die Schließung der Mischoxid-Brennelementefabrik in der Atomanlage Sellafield beschlossen weil man "die Sicherheit neu überdacht" hat. Die Anlage hat nur rote Zahlen geschrieben und die britischen Steuerzahler seit ihrer Eröffnung rund 1,4 Mrd. Pfund gekostet und nun ist auch noch die Nachfrage aus Japan weggebrochen. Einer der Kunden war das Katastrophen AKW Fukushima I - Daiichi.
Mehr als 600 Mitarbeiter haben dort aus Plutonium- und Uranmüll neue Brennelemente - hauptsächlich für ausländische AKWs - produziert. Sie sollen nach der Schließung in anderen Teilen der Anlage eingesetzt werden. Die Gewerkschaften bezeichnen den Schritt als kurzsichtig. Ähnliche Fabriken gibt es auch in Frankreich und Belgien.

Jahr 2012. Die deutschen Atomkonzerne E.on und RWE geben bekannt dass sie aus dem Projekt Atomkraftwerke in Großbritannien abgesprungen sind. Deren 45 bis 50% sollen daraufhin von dem französischen Atomkonzern Électricité de France (EDF) übernommen werden. Verkauft wird dieses Trauerspiel z.B. von Matthias Thibaut als "Zusammenarbeit mit führerenden Atomnationen wie Frankreich und China als bessere Strategie ..." im Gegensatz zu Deutschland das mit Erneuerbaren Energien "nationale Eigenbrötelei" betreibt.

März 2013. Der Électricité de France (EdF) wird die Genehmigung für den Bau eines neuen Atomkraftwerks erteilt. Geplant sind zwei "Europäische Druckwasserreaktoren" (EPR) mit jeweils 1,6 Gigawatt im Westen des Landes in Hinkley bei Bridgwater in der Grafschaft Somerset.
Das Land ist jedoch weder technisch noch wirtschaftlich in der Lage die Anlage selbst zu bauen. Der britische Atomkonzern Westinghouse wurde im Jahr 2005 verkauft. Träger des Projekts ist EDF und die Technologie stammt zum Großteil aus Frankreich.
Da der Bau aufgrund der hohen Investitionskosten von umgerechnet 19 Mrd. Euro wirtschaftlich nicht rentabel ist, hat EdF als Bedingung für einen Bau staatliche Subventionen in Form eines garantierten Stromabnahmepreises verlangt, über den bis Oktober 2013 mit der Regierung verhandelt wurde. Laut BBC würde ein garantierter Mindestpreis unterhalb von 90 Pfund/MWh dazu führen, dass das Atomkraftwerk Verluste schreibt.
Das möglicherweise erste Atomkraftwerk Europas seit Beginn der Katastrophe von Fukushima wird von der Atomindustrie schon wieder als Anfang einer atomaren Wiederbelebung gefeiert und man hat auch schon andere Bauvorhaben ins Gespräch gebracht.
Interessant ist die Entscheidung für französische Technologie "Europäische Druckwasserreaktoren" (EPR) auch vor dem Hintergrund dass bei den bisherigen zwei EPR-Bauversuchen von Areva am AKW Olkiluoto (Finnland) und im französischen Flamanville die Kosten explosiv in die Höhe gingen während die Bauzeit gegen unendlich tendiert.

Dezember 2013. Die britische Zeitung The Guardian schreibt, dass EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia wegen der garantierten Einspeisevergütung eine Untersuchung einleiten wolle. Neben der generellen Überprüfung, ob es sich bei der ausgehandelten Förderung um eine unzulässige Subvention handelt, soll überprüft werden, ob die Förderungsbedingungen verhältnismäßig und alternativlos waren.

14. Dezember 2013. Es wird bekannt, dass Günther Oettinger (EU-Kommissar für Energie) in einem Papier der eigenen Generaldirektion nachlesen muss dass Kohle- und Gaskraftwerke sowie die Atombranche deutlich mehr Geld als Erneuerbare Energien bekommen. Diese Passage wird dann gestrichen damit das Volk dumm bleibt.
2011 wurde demnach in den 27 Ländern der Europäischen Union die Erneuerbaren Energien mit 30 Mrd. Euro an Steuergeldern gefördert. Für Atomanlagen gab es 35 Mrd. Euro und für fossile Kraftwerke 26 Mrd. Indirekt wurde Kohle und Gas mit weiteren 40 Mrd. Euro gefördert "um gesundheitliche Folgen abzudecken". Insgesamt wird die Energiebranche laut dieser Rechnung mit mehr als 130 Mrd. Euro jährlich gefördert wobei Haftpflichtversicherungen für AKWs und so manches andere noch nicht einberechnet wurde.

18. Juni 2014. David Cameron (Premierminister von Großbritannien) und Li Kequiang (Premierminister von China) unterschreiben das Abkommen zur Finanzierung von Atomkraftwerken. Firmen aus China dürfen nun auch Atomanlagen in Großbritannien mehrheitlich besitzen. Auch chinesische Atomtechniker dürfen in Großbritannien ausgebildet werden.

Oktober 2014. Es wird bekannt, dass die EU-Kommission plant, die von der britischen Regierung geplanten Vergütungszusagen für rechtens zu erklären. Dem waren Gespräche zwischen der britischen Regierung und Kommissar Almunia vorangegangen.

Atommüll Großbritannien

Da am Ende immer die Müllfrage kommt muss natürlich auch erwähnt werden, dass es weltweit, also auch in Großbritannien, kein funktionierendes Endlager für hochradioaktive Stoffe gibt. Formal ist angedacht dass Frankreich den radioaktiven Müll aus Großbritannien übernimmt. Aber auch da gibt es kein Endlager.

Weitere Kommentare zum Thema Energie in Großbritannien
Atomendlager Drigg
Atomkomplex Sellafield
Windscale Pile 1 und Pile 2
Nuclear Decommissioning Authority (NDA)
Richard Wakeford (Gutachter von IAEO und WHO bei Atomunfällen)

Bilder aus Wikimedia Commons
Atomkraftwerk Hinkley Point A, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 2.0 Generic, Urheber: Richard Baker

Quellen
09.10.2014, Telepolis, EU-Gelder für AKW Hinkley Point: "eklatante Fehlentscheidung"
08.10.2014, Zeit, ENERGIEPOLITIK, EU-Kommission billigt umstrittene AKW-Finanzierung
08.10.2014, taz, Neubau steht bevor, Milliarden-Subvention für Briten-AKW
08.10.2014, taz, Kommentar Atom-Subventionen, Rational nicht zu erklären
08.10.2014, Spiegel, Hinkley Point C: EU billigt Milliardenhilfen für britisches Atomkraftwerk
08.10.2014, Telepolis, EU-Kommission setzt auf Atomenergie
08.10.2014, Zeit, ENERGIEPOLITIK, Atomkraft, um jeden Preis
08.10.2014, Tagesschau, AKW-Neubau in Großbritannien, Tolle Werbung für die deutsche Energiewende
08.10.2014, Tagesschau, Genehmigung durch EU-Kommission, Briten dürfen umstrittenes AKW bauen
08.10.2014, Sueddeutsche, Neue Atomkraftwerke für Europa, Garantiert unrentabel
02.10.2014, taz, Kommentar EU-Atomsubventionen, Dr. Seltsams letzte Tat
01.10.2014, Spiegel, Beihilfen, Brüssels Milliardengeschenk an die Atomlobby
01.10.2014, taz, Neues Atomkraftwerk in England, Mit freundlicher Unterstützung der EU
23.09.2014, taz, EU genehmigt Beihilfe für britisches AKW, Ohne Subvention lohnt sich das nicht
17.09.2014, Sueddeutsche, Referendum in Schottland, Es geht um mehr als Unabhängigkeit
16.09.2014, FAZ, Atom-U-Boote, Schottische Unabhängigkeit gefährdet Status als Atommacht
16.09.2014, Sueddeutsche, Schottlands Unabhängigkeits-Referendum, Kuwait, nur mit mehr Regen
26.08.2014, taz, Folgen des Referendums in Schottland, Nachhaltiger Klima-Kilt
30.03.2014, taz, AKW-Neubauten, Einspruch gegen Briten-Meiler
23.03.2014, Telepolis, Bankrotterklärung der Atomlobby
05.02.2014, taz, Subventionen für neue Atomkraftwerke, God save BP
22.12.2013, Tagesspiegel, Nach Fukushima, Großbritannien setzt auf Atomkraft
04.12.2013, FAZ, Kernkraft, Briten kündigen nächstes neues Atomkraftwerk an
18.06.2013, Welt, MILLIARDENPROJEKTE, Weg frei für chinesische Atomkraftwerke in England
30.10.2013, Focus,  Großbritanniens atomarer Irrweg, Die Mär vom günstigen und sauberen Atomstrom
25.10.2013, Handelsblatt, STROMVERSORGUNG, Wo Atomkraft noch Zukunft hat
25.10.2013, Tagesspiegel, Comeback der Atomkraft, Die Briten finden die deutsche Energiewende falsch
23.10.2013, Telepolis, Atomstrom teurer als Solarstrom
22.10.2013, FAZ, Neue Atomkraftwerke, Britische Energiewende
22.10.2013, FAZ,  Energiepolitik, Kritik an britischen Atomplänen
21.10.2013, Tagesschau, Internationale Investoren finanzieren zwei Meiler, Großbritannien baut wieder AKW
21.10.2013, taz, Großbritannien setzt auf Atomstrom, Zwei Meiler in der Mache
21.10.2013, FAZ, 19-Milliarden-Euro-Projekt, Frankreich und China bauen Atomkraftwerk in Großbritannien
21.10.2013, Spiegel, Kooperation mit China, Großbritannien baut erstes Atomkraftwerk seit Jahrzehnten
21.10.2013, Sueddeutsche, Kernenergie, Frankreich und China bauen Atomkraftwerk in Großbritannien
21.10.2013, Telepolis, Der Blankoscheck ist ausgestellt
21.10.2013, Welt, Atomkraft, Großbritannien treibt die Kernenergie voran
21.10.2013, Zeit, KERNKRAFT, China will britisches Atomkraftwerk mitbauen
21.10.2013, Tagesspiegel, Franzosen und Chinesen bauen, Briten zahlen 19 Milliarden Euro für Atomkraftwerk
14.10.2013, Sueddeutsche, Förderung der Energiebranche, Oettinger schönt Subventionsbericht
01.07.2013, Telepolis, AKW-Bau nur mit Staatsknete
15.05.2013, Telepolis, Ein AKW um jeden Preis
12.04.2013, FAZ, Neue Filmaufnahmen, Radioaktive Altlasten im Ärmelkanal entdeckt
11.04.2013, Spiegel, Hurd Deep: Atommüllfässer in Ärmelkanal entdeckt
20.03.2013, Telepolis, Atomenergie: Renaissance oder teurer Ladenhüter
19.03.2013, Sueddeutsche, Erstmals seit 1995, Großbritannien will neues Atomkraftwerk bauen
06.07.2011, Telepolis, Ende für die atomare Renaissance in Großbritannien schon vor Beginn?
04.07.2011, Sueddeutsche, Großbritannien und die Atomkonzerne, Fukushima? Kein Problem!
01.07.2011, Sueddeutsche, Britische Regierung, Kampf den Atom-Kritikern
29.09.2010, Atomtransporte: Vom Yellow Cake bis zum Brennelement (PDF-Datei)
13.10.2009, taz, Dokumentation über Atommüll, Und ständig wächst der Abfallberg
Wikipedia, Liste der Kernreaktoren in Großbritannien