Sonntag, 14. Februar 2016

Max Steenbeck

Max Steenbeck (vorne rechts) 1970 zusammen mit
Hermann Klare, dem damaligen Präsidenten
 der Akademie der Wissenschaften der DDR
Der deutsche Physiker Max Christian Theodor Steenbeck wurde am 21. März 1904 in Kiel geboren († 15. Dezember 1981 in Ost-Berlin).

Steenbeck leistete Pionierarbeit in der Physik der Gasentladungen und der Plasmen. Davon zeugen neben vielen anderen Veröffentlichungen die zusammen mit Alfred von Engel verfasste zweibändige Monographie "Elektrische Gasentladungen, ihre Physik und Technik" (1932/34) und der mit Robert Rompe geschriebene umfangreiche Artikel "Der Plasmazustand der Gase" (1939).

E konstruierte 1935 das erste funktionierende Betatron. Er entwickelte 1947 in der Sowjetunion eine Gaszentrifuge zur Trennung von Uran-Isotopen und war seit 1957 maßgeblich am Aufbau von Atomforschung und Atomtechnik in der DDR beteiligt. Er war einer der Begründer der Elektrodynamik der mittleren Felder, die sich als Grundlage für das Verständnis der Magnetfelder der Sonne, der Planeten und anderer kosmischer Körper erwiesen und große Bedeutung in Astro- und Geophysik erlangt hat.

Steenbeck hatte zwar verschiedene Möglichkeiten erwogen, zu einer Hochschultätigkeit zu wechseln, letztlich jedoch keine davon wahrgenommen.

Steenbeck entfaltete vielfältige Aktivitäten in hochrangigen wissenschaftlichen Gremien. Er war auch Mitglied des Wissenschaftlichen Rates für die friedliche Anwendung der Atomenergie. 

Steenbeck äußerte sich in zahlreichen Schriften zu wissenschaftspolitischen Themen, z.B. zur Bedeutung der Grundlagenforschung, zur Verantwortung eines Wissenschaftlers in der Gesellschaft usw. Die traurigen Erfahrungen seines Lebens veranlassten ihn, immer wieder auch politisch aktiv zu werden. Er hatte sich nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion für eine Tätigkeit in der DDR entschieden, weil er glaubte, dort mehr als anderswo in Deutschland für eine bessere, friedliche und menschenwürdige Welt tun zu können. Er war Mitglied des Präsidiums des Friedensrates der DDR.

Ein Gymnasium mit erweiterter mathematisch-naturwissenschaftlich-technischer Ausbildung in Cottbus trägt seinen Namen.

Leben

21. März 1904. Max Steenbeck wird in einer Lehrerfamilie in Kiel geboren.

1922. Er legt in Kiel das Abitur ab.

1922 bis 1929. Er studiert an der Universität zunächst Chemie und dann Physik. Wesentliche akademische Lehrer sind Hans Geiger, Christian Gerthsen und Walther Kossel, bei dem er Anfang 1929 mit einer Arbeit zur absoluten Intensitätsmessung von Röntgenstrahlen promoviert. Im gleichen Jahr heiratet er Martha Witt (geb. 1902 in Kiel). Aus der Ehe gehen drei Kinder hervor.

1927 bis 1945. Nach dem Abschluss des experimentellen Teils seiner Doktorarbeit tritt Steenbeck als Laborleiter in die Wissenschaftliche Abteilung der Siemens-Schuckert-Werke in Berlin-Siemensstadt ein, wo er dann ohne Unterbrechung bis 1945 arbeitet.
Während seiner Tätigkeit bei Siemens & Schuckert konstruierte Steenbeck auch eine Anlage zur Beschleunigung von Elektronen, das Betatron, die 1935 erstmals erfolgreich arbeitet. Die erreichten Energien der Elektronen liegen allerdings mit 1.8 MeV unter den Erwartungen. Andere Schwerpunkte der Arbeit verhindern weitere Entwicklungen auf diesem Gebiet. Im übrigen wird die Arbeit am Betatron als firmengeheim eingestuft. So werden zwar mehrere Patente angemeldet, aber eine Veröffentlichung von Ergebnissen in einer wissenschaftlichen Zeitschrift kommt erst 1943 mit einem Aufsatz in den "Naturwissenschaften" zustande. Eine spezielle Leistung von Steenbeck besteht in der Formulierung einer Bedingung für den räumlichen Verlauf des Magnetfeldes im Betatron, der die Stabilität der Elektronenbahnen garantiert.
Die ersten Ideen zu einem Beschleuniger vom Betatron-Typ werden bereits 1928 von Rolf Wideröe formuliert. Später, 1940, konstruiert auch Donald William Kerst an der University of Illinois ein Betatron. Er erwähnt in seinen Veröffentlichungen Wideröe, nicht aber Steenbeck, obgleich dessen Patent von 1937 bekannt gewesen sein müsste. Unmittelbar vor dem japanischen Überfall auf Pearl Harbor im Dezember 1941 erteilt Siemens eine Betatron-Lizenz an General Electrics in den USA, die Kersts Patente halten.
Eine Motivation für den Bau von Betatrons sind Anwendungen in der Medizin, insbesondere Bestrahlungen zur Krebstherapie. Nach Bekanntwerden von Kersts Erfolg baut Konrad Gund in Erlangen auf Steenbecks Anregung ab 1942 ein neues Betatron, das 1946 in Göttingen für medizinische Zwecke in Betrieb genommen wird.

1927/28. Steenbeck hat auch die Idee für das Zyklotron (und für das Synchro-Zyklotron) und bereitet nach Drängen von Kollegen eine Veröffentlichung darüber vor, zu der es aber aufgrund eines Missverständnisses nicht kommt.

1937. Im Zusammenhang mit Arbeiten zu Hochspannungsgleichrichtern entwickelt Steenbeck das Röntgenblitzlichtrohr, das die bildliche Darstellung sehr schnell ablaufender Vorgänge erlaubt. Zu den bemerkenswerten Erkenntnissen dieser Schaffensperiode zählt auch das von Steenbeck gefundene Minimumprinzip in der Physik des Lichtbogens.

1939 bis 1945. Während des Zweiten Weltkrieges befasst sich Steenbeck auch mit dem Aufspüren und der Entschärfung magnetischer Seeminen.

Anfang 1944. Er wird technischer Leiter und bald darauf Direktor des Stromrichterwerkes.

April 1945. Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Berlin wird Steenbeck verhaftet und als Zivilgefanger zunächst in ein Lager in Posen (Polen) gebracht, wo er unter schrecklichen Bedingungen leben muss und bald dem Hungertod nahe ist. 

August 1945. Nach dem Abwurf der amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki im beschließt die sowjetische Regierung, ihr Atomprogramm mit allen Mitteln voranzutreiben, auch mit Hilfe von Wissenschaftlern aus dem besiegten Deutschland. So wird er zunächst nach Moskau gebracht, kann sich dort etwas erholen und kommt dann nach Suchumi am Schwarzen Meer, wo bereits etwa 100 deutsche Spezialisten unter verhältnismäßig guten Bedingungen leben und arbeiten, darunter auch der Nobelpreisträger Gustav Hertz und Manfred von Ardenne. Einige von ihnen haben ihre Familien dort. Auch Steenbecks Familie kommt Anfang 1946 zu ihm. Steenbeck stellt eine Gruppe von Mitarbeitern zusammen, die sich mit Verfahren zur Trennung von Uran-Isotopen befasst.

Ende 1947. Steenbeck verfolgt die Idee einer Gaszentrifuge und entwickelt, zunächst in Suchumi und später in Leningrad (dem heutigen St. Petersburg), eine sehr erfolgreiche Version derselben. So kommt die Sowjetunion in den Besitz der damals modernsten Technologie zur Isotopentrennung.

1953. Nach der Tätigkeit im Atomprogramm lässt man die deutschen Spezialisten einige Jahre an anderen Orten der Sowjetunion an anderen Themen arbeiten, so dass sie bei einer Rückkehr nach Deutschland nicht mehr die neuesten Entwicklungen im Atomprogramm kennen, was ein Sicherheitsrisiko bedeuten würde.

Herbst 1953. Steenbeck arbeitet am Physikalischen Institut der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Kiew an Problemen von Halbleitern.

Sommer 1956. Steenbeck und seine Kollegen kehren nach Deutschland zurück. Frei in seiner Entscheidung, sich in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) oder in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) niederzulassen, wählt er auch aus politischen Erwägungen heraus Jena in der DDR als neuen Wohnsitz für sich und seine Familie.
Einer der Mitarbeiter Steenbecks beim Zentrifugenprojekt ist der Österreicher Gernot Zippe. Ursprünglich Kriegsgefangener in der Sowjetunion, kommt er im Sommer 1946 in diese Gruppe. Er geht 1956 in die Bundesrepublik Deutschland und verbreitet später die Ideen zur Zentrifuge in der westlichen Welt. Die von ihm weiterentwickelte Anlage wird zur Grundlage einer 1970 begonnenen britisch-niederländisch-deutsche Kooperation bei der Trennung von Uran-Isotopen.

Ab 1956. Er hat eine Professur für Plasmaphysik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena inne und wird in diesem Jahr Ordentliches Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften (der späteren Akademie der Wissenschaften der DDR).

1956 bis 1960. Von seiner Rückkehr an leitet Steenbeck das Institut für magnetische Werkstoffe in Jena. Aus diesem spaltet sich 1959 auf seine Initiative das Institut für Magnetohydrodynamik ab, in dem es anfänglich um Beiträge zur (damals nahe geglaubten) Energiegewinnung durch Wasserstofffusion und zu den sogenannten magnetohydrodynamischen Generatoren geht. 

Ab 1957. Er ist Mitglied des Forschungsrates der DDR,

1957 bis 1962. Er ist Leiter des Wissenschaftlich-Technischen Büros für Reaktorbau in Berlin, einer Einrichtung, die auch Aufbau und Betrieb des ersten Atomkraftwerkes der DDR in Rheinsberg begleitet.

1959. Steenbeck erhält den DDR-Nationalpreis erster Klasse für Wissenschaft und Technik für die Erfindung des Betatrons und Beiträge zur Plasmaphysik.

1959 bis 1969. Bis zu seiner Emeritierung ist Steenbeck Direktor des Instituts für Magnetohydrodynamik.

Ab 1960. Steenbeck arbeitet im Institut für Magnetohydrodynamik mit einem sehr kleinen Kreis jüngerer Mitarbeiter auch daran, die elektromagnetischen Vorgänge zu verstehen, die beispielsweise im Erdinneren ablaufen und das Magnetfeld der Erde aufrechterhalten oder die in der Sonne stattfinden und für den Sonnenfleckenzyklus verantwortlich sind, der deutlich mit magnetischen Erscheinungen verknüpft ist. 
In diesem Zusammenhang entsteht die auf der klassischen Physik fußende Elektrodynamik der mittleren Felder in turbulent bewegten elektrisch leitenden Medien, die später als Grundlage für die Erklärung magnetischer Erscheinungen in kosmischen Objekten allgemein anerkannt wird und viele Anwendungen in Astro- und Geophysik findet. Eine zentrale Erkenntnis besteht darin, dass turbulente Bewegungen eines elektrisch leitenden Mediums auf einem rotierenden Körper unter gewissen Bedingungen zur Entstehung von Magnetfeldern nach dem in der Technik wohlbekannten Prinzip des selbsterregten Dynamos führen.
Die beschriebenen Entwicklungen, die der Grundlagenforschung zuzuordnen sind, bringen auch Ergebnisse von großer praktischer Bedeutung hervor. Sie machen die bis dahin übersehene Gefahr der Selbsterregung von Magnetfeldern in den großen Flüssigmetallkreisläufen eines Typs von Atomreaktoren, der schnellen Brüter, samt möglicher katastrophaler Folgen deutlich und zeigen Wege zu deren Vermeidung. Steenbeck macht in einem Memorandum an die Sowjetische Akademie der Wissenschaften 1971 auf diese Gefahr aufmerksam und löst damit weitere Untersuchungen zu dieser Problematik aus.

1962 bis 1966. Er ist Vizepräsident der Deutschen Akademie der Wissenschaften (der späteren Akademie der Wissenschaften der DDR).

1964. Steenbeck wird die Ehrendoktorwürde der Friedrich-Schiller-Universität Jena verliehen,

Ab 1965. Er ist Vorsitzender des Forschungsrates der DDR.

1966. Eine erste Darstellung von Grundgedanken der Elektrodynamik der mittleren Felder in turbulent bewegten elektrisch leitenden Medien wird veröffentlicht. In diesem Jahr wird er auch Auswärtiges Mitglied der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften.

1967. Durch ein in Riga (Lettland) durchgeführtes Laborexperiment mit flüssigem Natrium wird eine wesentliche Aussage der Elektrodynamik der mittleren Felder belegt.

1969. Es werden erste  Dynamomodelle für Sonne und Planeten vorgestellt. In diesem Jahr wird er auch Ehrenbürger der Stadt Jena.

1971. Steenbeck erhält den DDR-Nationalpreis erster Klasse für Wissenschaft und Technik ein zweites Mal, zusammen mit drei jüngeren Wissenschaftlern, für die Arbeiten über die Entstehung kosmischer Magnetfelder. 

Ab 1970. Er wirkt als Präsident des DDR-Komitees für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und nimmt in dieser Eigenschaft an den Konferenzen zu dieser Thematik in Helsinki teil. 

1972. Die Sowjetische Akademie der Wissenschaften ehrt ihn  mit der Lomonossow-Medaille in Gold.

1977. Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich um Energieprobleme verdient gemacht hat, darunter auch Steenbeck und Zippe, wird mit dem Alfried-Krupp-von-Bohlen-und-Halbach-Preis für Energieforschung ausgezeichnet.

Ab 1978. Er ist Ehrenvorsitzender des Forschungsrates der DDR.

15. Dezember 1981. Max Steenbeck stirbt in Ost-Berlin.

1999. Zwei Großexperimente in Riga und in Karlsruhe (Deutschland), in denen ein Dynamo in einer Strömung flüssigen Natriums nachgewiesen werden kann, sind leider erst jetzt, lange nach Steenbecks Tod erfolgreich.

Bilder aus Wikimedia Commons
Max Steenbeck, Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“, Namensnennung: Bundesarchiv, Bild 183-J0312-0025-001 / Junge, Peter Heinz / CC-BY-SA 3.0

Quellen