Sonntag, 13. September 2015

Atomschiff Otto Hahn

Atomschiff Otto Hahn
Das deutsche frachtfahrende Atomschiff Otto Hahn wurde als drittes ziviles Schiff nach dem sowjetischen Eisbrecher Lenin und der US-amerikanischen Savannah von einem Atomreaktor angetrieben. Es wurde nach dem Atomchemiker und Nobelpreisträger Otto Hahn benannt, der beim Stapellauf 1964 persönlich anwesend war. Das Schiff war als Pilotprojekt für die maritime Nutzung der Atomenergie gedacht, blieb aber das einzige deutsche Schiff mit Atomenergieantrieb, im Volksmund auch das "Atomschiff" genannt. Ein zweites Frachtschiff mit dem Namen "Nukleares Container-Schiff 80" (NCS-80) war in Planung, wurde aber nie gebaut.

Das ehemalige Bugwappen der Otto Hahn ist heute auf einer Wiese hinter dem Freibad in Geesthacht zu finden. Die Schiffsglocke befindet sich beim Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung, früher Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH (GKSS), im Archiv. Der Schornstein, der mehr eine Zierfunktion hatte, steht auf dem Außengelände des Deutschen Schiffahrtsmuseums in Bremerhaven. Er wurde nur beim Einsatz der Hilfsmaschinen benötigt.

Daten

Schiffsname: Otto Hahn
Eigner: GKSS-Forschungszentrum Geesthacht GmbH
Bauwerft: Kieler Howaldtswerke AG (später HDW)
Baunummer: 1103
Schiffsklasse: + 100 A4E durch Germanischer Lloyd und Bureau Veritas
Schiffstyp: Erzschiff, Fahrgastschiff, Kernenergieschiff
Heimathafen: Hamburg
Unterscheidungssignal: DAOH
Kiellegung: 31. August 1963
Stapellauf: 13. Juni 1964
Fertigstellung: 1. Oktober 1968
BRT: 16.870
NRT: 7.257
LüA: 172,05 m
Lpp: 158,20 m
Breite auf Spanten: 23,40 m
T beladen: 9,22 m
Freibord: 5,33 m
Seitenhöhe bis Deck: 14,50 m
Tragfähigkeit (tdw): 14.079 ts
Leistung der Hauptmaschine: 7.355 kW
Besatzung: 63 Mann
Forschungspersonal: 36 Mann (max.)
Geschwindigkeit: 17 kn

Antrieb
Antriebsanlage normal/max: 10.000/11.000 PS
Drehzahl normal/max: 97/100/min
Dampfmenge Haupt-/Hilfsturbine: 48,8/5,7 t/h
Primärsystem Betriebsdruck: 63,5 bar
Ein-/Auslasstemperatur: 267/278 °C
Dampfsekundärsystem Speisewasser-Dampftemperatur: 185/273 °C
Dampfdruck: 31 bar

Reaktor
Thermische Leistung: 38 MW
Einsatzzeit bei Volllast: 900 d
Mittlerer Abbrand: 23.000 MWd/tU
Eingesetzte UO2-Menge: 1,7 t
Mittlere Anreicherung: 3,5/6,6 %
Mittlerer therm. Neutronenfluss: 1,1 × 1013 /cm2s1
Zahl der Brennelemente/Brennstäbe: 12/2810
Äquivalenter Kerndurchmesser: 1050 mm
Aktive Kernhöhe: 830 mm
Durchmesser der Brennstäbe: 11,4 mm
Wandstärke der Hüllrohre: 0,8 mm
Hüllrohrwerkstoff: Zirkalloy-4

Reaktordruckbehälter
Durchmesser/Höhe licht: 2360/8580 mm
Innenvolumen: 35 m³
Wand-/Plattierungsstärke: 50/8 mm
Auslegungs-Druck/Temperatur: 85 kp/cm²/300 °C

Geschichte

1960. Die Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt (GKSS) in Geesthacht macht eine Ausschreibung für ein atomar angetriebenes Handelsschiff mit der Betonung des Vorranges von Forschungsaufgaben.

1961. Deutsche Werften liefern Vorschläge für ein Schiff ab, das sich für den Einbau eines Atomantriebs eignen könnte. Ursprünglich ist ein Tanker vorgesehen, die GKSS erbittet jedoch auch Alternativen. Die Wahl fällt auf einen Erzfrachter, wie er von den Kieler Howaldtswerken wird. Als Reaktor ist zunächst ein Typ mit organischem Moderator und Kühlmittel (OMR) vorgesehen.

1962. Im Laufe des Jahres nimmt man vom OMR-Reaktor jedoch wieder Abstand, da technische Schwierigkeiten sein wirtschaftliches Potential zunichte machen. 

27. November 1962. Im Hamburger Hotel Atlantic wird der Werftbauvertrag unterzeichnet. Die Leitung der Entwicklung und des Baus des atomar angetriebenen Schiffes werden dem deutschen Atomphysiker Erich Bagge (Kiel, Geesthacht) anvertraut.

1963. Aus den Angeboten verschiedener Reaktorbauer wird der Antrieb festgelegt.

1963 bis 1968. Das Schiff wird bei der Kieler Howaldtswerke AG mit Baukosten von 56 Millionen DM gebaut. Daran beteiligt sich die Euratom mit 16 Millionen DM. Die Arbeiten am atomaren Antrieb beanspruchen den größten Teil der Bauzeit.
Als Energiequelle dient ein Druckwasserreaktor (DWR/PWR) von der Firma Interatom in Bensberg mit Wasser als Kühlflüssigkeit und Moderator im Primärkreislauf, der von der Deutsche Babcock & Wilcox Dampfkessel-Werke AG in Friedrichsfeld (Niederrhein) gebaut wird. Im Sekundärkreislauf wird der Antriebsdampf für die konventionelle Dampfturbine erzeugt. Heute lagert nur noch der Druckbehälter bei der GKSS in Geesthacht.
Fortschrittlich bei diesem Reaktortyp im Vergleich zu den konventionellen Druckwasserreaktoren ist die Verlagerung von bisher außerhalb des Reaktordruckbehälters angeordneten Komponenten in den Reaktordruckbehälter hinein. Tragkonstruktionen für die Komponenten sowie die verbindenden Rohrleitungen können entfallen.
Der Sekundärdampferzeuger und der Druckhalter für den Primärkreislauf sind beim fortschrittlichen Druckwasserreaktor Teil der Druckbehältereinbauten. Die Druckhaltung im Primärsystem erfolgt durch das Dampfpolster im oberen Teil des Reaktordruckbehälters. Die Temperatur des Primärwassers am Reaktorkernaustritt bestimmt hierbei den Dampfdruck des Dampfpolsters. Die Umwälzung des Primärwassers erfolgt mit drei freistehenden Primärumwälzpumpen, die mit kurzen Rohrkrümmern am Boden des Druckbehälters angebracht sind. Im Innenrohr des Krümmers erfolgt der Rückfluss zum Reaktorkern. Durch das Dampfpolster, die statische Höhe des Primärsystems und die Abkühlung des Primärwassers am Sekundärdampferzeuger wird der erforderliche Zulaufdruck für die Primärumwälzpumpen auch bei stärkerem Seegang gewährleistet.
Die Reaktorabschirmungen außerhalb des Reaktordruckbehälters werden durch die kompakte Bauweise des fortschrittlichen Druckwasserreaktors vereinfacht.

Sommer 1964. Die Schiffshülle wird im Beisein ihres Namensgebers Otto Hahn getauft.

1960er Jahre. International gültige Richtlinien für die Betreiber von Atomenergieschiffen kommen trotz zahlreichen Seerechtskonferenzen nie zustande.

11. Oktober 1968. Das atomar angetriebene Schiff absolviert seine erste Probefahrt. Die Otto Hahn war ein Forschungsschiff, die Verwendung als Frachtschiff war sekundär. Das zeigt auch ihr ungewöhnliches Aussehen mit der bugseitigen Brücke und den umfangreichen heckseitigen Aufbauten, die neben den Kabinen für bis zu 36 Forscher, einem Besprechungsraum und zwei Laboren auch zwei Salons sowie diverse Messen und Empfangsräume für Repräsentationszwecke umfassen. Man möchte mit diesem Schiff Erfahrungen für zukünftige Atomschiffsanlagen sammeln, es jedoch gleichzeitig bereits im quasi-kommerziellen Einsatz als Erzschiff verwenden.

1969 bis 1974. Heinrich Lehmann-Willenbrock ist Kapitän der Otto Hahn.

1970er Jahre. Für die ebenfalls geplanten Containerschiffe NCS 80 und NCS 240 findet sich kein Reeder, der trotz zugesagter staatlicher Förderung ein solches Schiff selbst in Auftrag geben möchte.

1974 bis 1979. Ralf Matheisel ist Kapitän der Otto Hahn.

1979. Da die Otto Hahn als Atomschiff ausländische Häfen nicht in gewünschtem Umfang anlaufen darf, wird das Experiment nach insgesamt 650.000 Seemeilen schließlich eingestellt. Die Atomanlage wird im Hamburger Hafen ausgebaut.
Bis zur Stilllegung des Atomantriebs hat das Schiff 33 Häfen in 22 Staaten angelaufen. Während ihrer Betriebszeit darf die Otto Hahn fast nur Häfen in Südamerika und Afrika anlaufen, viele davon nur einmal durch eine Ausnahmegenehmigung. Eine Passage durch den Suez- oder den Panamakanal wird ihr stets verwehrt. 
Die letzte Reise des Schiffes nach Durban ist in dem Roman Der Abschied von Lothar-Günther Buchheim beschrieben.

1981. Der Druckbehälter und die Atombrennstäbe werden im Helmholtz-Zentrum Geesthacht eingelagert.

Sommer 1982. Die Otto Hahn wird an den Hamburger Reeder Harm Vellguth (Projex Reederei) verkauft. Dieser nennt es in Trophy um und lässt es für 40 Millionen DM bis zum November 1983 bei der Bremerhavener Rickmers Werft zu einem Containerschiff mit Dieselantrieb und drei 35-Tonnen-Bordkränen umbauen. Ihr vorheriges Aussehen geht dabei verloren. Die ursprünglich mittschiffs gelegene Brücke wird entfernt und auf die heckseitigen Aufbauten aufgesetzt.

Ab 1983. Es fährt unter dem Namen Norasia Susan für Projex.

1985. Es fährt kurze Zeit unter dem Namen Norasia Helga für Projex.

Ab 1985. Es fährt unter dem Namen Carmen für Projex.

1989 bis 1998. Sie wechselt als Hua Kang He in den Besitz der chinesischen Reederei COSCO. Danach wird sie für neue griechische Eigner noch einmal zum Mehrzweckfrachter umgebaut.

Bis 2009. Sie bleibt als Anais, Tal und Madre bis 2009, mit dem Rufzeichen „A8GI9“ IMO-Nummer 6416770, unter der Flagge Liberias im Dienst.

Ende 2009. Nach einer mehrwöchigen Aufliegezeit in Abu Dhabi wird das Schiff von seiner letzten Reederei, der griechischen Alon Maritime Corporation für 2,45 Millionen US-Dollar zum Abbruch nach Bangladesch verkauft.

15. Juni 2010. Die Brennstäbe des früheren Atomschiffes "Otto Hahn" sollen vom Transportunternehmen "Nuclear Cargo + Service" (NCS) mit dem Spezialbehälter TN72 in der nächsten Woche auf der Strasse vom Atomforschungszentrum GKSS in Geestnacht nach Frankreich ins Kernforschungszentrum Cardarache bei Marseille gefahren werden.

13. Juli 2010. Der TÜV stoppt einen Atomtransport mit 52 abgebrannten Brennstäben des Atomfrachters "Otto Hahn" weil der Unterdruck im Castor-Behälter nicht gehalten werden kann.

Dezember 2010. Das behandelte Atommaterial wird aus dem Atomforschungszentrum Cadarache in das Zwischenlager Nord in Lubmin bei Greifswald überführt.

16. Dezember 2010. Ein Castortransport mit vier Behältern die 2500 Brennstäbe aus Frankreich beinhalten trifft nach zweitägiger Reise und relativ wenig Protesten in Lubmin.ein. Das Lager in Lubmin war ursprünglich nur für Atommüll aus den beiden stillgelegten AKWs der neuen Bundesländer vorgesehen. Die angelieferten Brennstäbe stammen jedoch aus dem Atomforschungszentrum Karlsruhe und von dem atomgetriebenen Forschungsfrachter Otto Hahn.
Vor dem Transport hat die Polizei in der Region Informationsveranstaltungen abgehalten. Die Einsatzgruppe "Öffentlichkeitsarbeit" hat bei diesen "Dorfverantstaltungen" vor Horden von Schwarzvermummten gewarnt die nichts anderes tun wollten als die Gartenzäune in der Region als Barrikaden zu missbrauchen.
Mehrere hundert Demonstranten campen bei eisiger Kälte und Tiefschnee. Von einigen werden auch die Gleise blockiert, besetzt und Schotter entfernt. Die Polizei nimmt nach eigenen Angaben 100 Menschen fest.

6. Mai 2012. Die Strahlsunder Staatsanwaltschaft verlangt 3600 Euro von Sarah Lappmann weil sie am 16. Dezember 2010 von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machte und den Castor-Transport mit ca. 2500 Brennstäben vom Atomforschungszentrum Karlsruhe und vom Atomschiff "Otto Hahn" wenige hundert Meter vor dem Ziel 6 Stunden lang, mit Armen in einem Betonklotz dem mit Meißeln und Presslufthämmern nicht beizukommen war, aufgehalten hat.

Bilder aus Wikimedia Commons
Atomschiff Otto Hahn, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany, Urheber: Bundesarchiv, B 145 Bild-F031999-0006 / Engelbert Reineke / CC-BY-SA 3.0

Quellen