Samstag, 30. Oktober 2021

Osman Kavala

Osman Kavala beim Gedenken zum
100. Jahrestag des Völkermords an
den Armeniern 2015 am Taksim-Platz

Der türkische Unternehmer, Mäzen und Menschenrechtsaktivist Osman Kavala wurde am 2. Oktober 1957 in Paris geboren.

Er sitzt seit 2017 wegen seiner vermeintlichen Rolle bei regierungskritischen Protesten in der Türkei in Untersuchungshaft. Kurz nach seinem Freispruch 2020 wurde er erneut verhaftet. Im Oktober 2020 forderte die türkische Staatsanwaltschaft eine „verschärfte“ lebenslange Haftstrafe gegen Kavala und veröffentlichte in Istanbul eine Anklageschrift gegen ihn. Darin werden ihm eine Beteiligung am Putschversuch von 2016, der „versuchte Sturz der Regierung“ und „politische Spionage“ vorgeworfen.

Seine Ehefrau ist die Wirtschaftsprofessorin Ayşe Bugra.

Leben

2. Oktober 1957. Osman Kavala wird in Paris geboren.

Er besucht das Robert College in Istanbul und studiert an der University of Manchester Wirtschaftswissenschaft.

1982. Nach dem Tod seines Vaters übernimmt er das Familienunternehmen Kavala Companies.

Ab 2002. Er widmet sich vor allem der von ihm gegründeten Stiftung Anadolu Kültür, deren Vorsitzender er ist. Anadolu Kültür betreibt Kulturzentren in vernachlässigten Regionen der Türkei und fördert die kulturelle Zusammenarbeit mit Ländern der Europäischen Union. Kavala ist auch als Sponsor von Amnesty International bekannt. Er ist Gründungs- sowie Direktoriumsmitglied der Open-Society-Stiftung und unterstützt den ungarischstämmigen Philanthropen George Soros wegen seines Einsatzes für Bürgerrechte und seiner Einwanderungspolitik. Recep Tayyip Erdoğan nennt Kavala das „Soros-Überbleibsel der Türkei“, was eine Anspielung auf die vielen antisemitischen Verschwörungstheorien ist, die in der Türkei zirkulieren.

18. Oktober 2017. Kavala wird am Flughafen Istanbul ohne Nennung von Gründen festgenommen. Er hat sich zuvor in Gaziantep mit Mitarbeitern des Goethe-Instituts getroffen. Auch deutschsprachige Medien berichten ausführlich über seine Verhaftung. Die regierungsnahe Tageszeitung Daily Sabah bringt ihn einige Tage nach der Festnahme mit einer angeblichen „Gülenistischen Terrorgruppe“ namens FETÖ in Verbindung und behauptet, er sei Milliardär.

2018. Seine Untersuchungshaft wird offiziell damit begründet, er sei der Organisator der Proteste am Gezi-Park, an denen 2013 mehr als 3,5 Millionen Menschen teilnahmen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) nimmt sich seines Falles an und gibt bekannt, dass er ihn in einem beschleunigten Verfahren behandeln werde.

Juni 2019. Im Gerichtsgebäude der Strafvollzugsanstalten Silivri beginnt der Strafprozess gegen ihn und weitere 15 Angeklagte. Den Beschuldigten wird im Zusammenhang mit den Protesten ein Umsturzversuch vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft fordert „lebenslange Haft unter erschwerten Bedingungen“.

September 2019. Kavala erhält den European Archaeological Heritage Prize der Europäischen Vereinigung von Archäologen für seinen unermüdlichen Einsatz für die Erforschung, den Schutz und Erhalt der kulturellen Vielfalt der Türkei. Ausgezeichnet wird insbesondere das Engagement für das Kulturerbe von Minderheiten und der Einsatz für türkisch-armenische Projekte. Der Regisseur Fatih Akin und die Theatermacherin Shermin Langhoff starten die Kampagne ''What did Kavala do'', in der sich Prominente zu Kavalas Werk äußern.

Dezember 2019. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordert Kavalas Freilassung.

Februar 2020. Kavala wird mangels Beweisen überraschend freigesprochen.

Wenige Stunden später erlässt die Staatsanwaltschaft Istanbul einen neuen Haftbefehl gegen Kavala, aber nicht gegen die anderen Freigesprochenen. Sie behauptet, Kavala hätte sich am Putschversuch in der Türkei 2016 beteiligt. Kavala bleibt weiterhin inhaftiert.

Gegen die Richter, die Kavala freigesprochen haben, wird ermittelt. Ohne Beweise für nachrichtendienstliche Aktivitäten Kavalas zu nennen, wirft die Staatsanwaltschaft ihm vor, in Istanbul eine Repräsentanz der internationalen Open-Society-Organisation des Milliardärs und Demokratieförderers George Soros eröffnet zu haben. Welchen Straftatbestand das genau erfüllt haben soll, teilt die ermittelnde Staatsanwaltschaft nicht mit.

Mehrere Stiftungen und Institutionen verfassen daraufhin eine „Stellungnahme europäischer Stiftungen und Kulturvermittler zur fortgesetzten Inhaftierung von Osman Kavala“. In der vom Generalsekretär des Goethe-Instituts, dem Präsidenten der Robert-Bosch-Stiftung, dem Geschäftsführer der Stiftung Mercator, der Präsidentin der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Direktor der europäischen Kulturstiftung unterzeichneten Erklärung wird der Vorwurf, die Institutionen spionierten in der Türkei „in aller Deutlichkeit zurück[gewiesen]“.

Dezember 2020. Der zweite Gerichtsprozess gegen ihn beginnt. Die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft wegen angeblicher Beteiligung an dem Putschversuch 2016 sowie zusätzlich 20 Jahre Gefängnis wegen des Spionagevorwurfs.

Januar 2021. Ein Berufungsgericht in der Türkei (die für Vergehen gegen die Verfassung zuständige 3. Strafkammer des Landgerichts Istanbul) hebt den im Februar 2020 erlassenen Freispruch für Kavala auf. Die Richter entscheiden einstimmig, dass der Fall erneut von dem zuständigen Gericht geprüft werden solle. Auch der Freispruch für acht Mitangeklagte wird aufgehoben.

19. Oktober 2021. Das türkische Außenministerium lädt die Botschafter der Vereinigten Staaten, von Frankreich, Kanada, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Finnland und Neuseeland vor, weil sie in einem gemeinsamen Appell die sofortige Freilassung von Kavala gefordert haben:

»Die anhaltenden Verzögerungen in Kavalas Prozess, einschließlich der Zusammenlegung verschiedener Fälle und der Schaffung neuer Anschuldigungen nach einem Freispruch, werfen einen Schatten auf die Achtung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Transparenz im türkischen Justizsystem«, haben die Botschaften zuvor erklärt. Sie fordern eine gerechte und schnelle Lösung.

23. Oktober 2021. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan weist an, die Botschafter dieser Länder zu unerwünschten Personen zu erklären. 

24. Oktober 2021. Der Eklat wirkt sich nun auch auf die türkische Währung aus. Die Lira sinkt am Sonntagabend im frühen asiatischen Handel zum US-Dollar auf ein neues Rekordtief von 9,74 Lira ab. Vor fünf Jahren betrug das Verhältnis zum US-Dollar noch eins zu sechs.

Recep Tayyip Erdoğan kann sich trotz aller großen Worte einen eskalierenden Streit mit dem Westen vor allem wirtschaftlich nicht leisten. Die Wirtschaft seines Landes befindet sich nach Jahren des Wachstums in der Krise. Das liegt besonders an der Schwäche der türkischen Lira, die der Präsident bewusst hinzunehmen scheint. Offenbar auf seinen Druck hin senkte die türkische Zentralbank in der vergangenen Woche den Leitzins kräftig – statt ihn angesichts einer offiziellen Inflationsrate von über 19 Prozent zu erhöhen.

Ende Oktober 2021. Nach etlichen eindringlichen Telefonaten zwischen Ankara, Washington und Berlin sowie einem beruhigenden Tweet der US-Botschaft in Ankara lenkt Recep Tayyip Erdoğan ein: Die Ausweisung der Botschafter wird abgeblasen.

Bilder aus Wikimedia Commons
Osman Kavala beim Gedenken zum 100. Jahrestag des Völkermords an den Armeniern 2015 am Taksim-Platz, Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“, Urheber: Janbazian

Quellen