Donnerstag, 8. April 2021

Udo Di Fabio

Udo Di Fabio auf der Frankfurter Buchmesse
(2018)

Der deutsche Jurist Udo Di Fabio wurde am 26. März 1954 in Walsum geboren.

Von 1999 bis Dezember 2011 war er Richter des Bundesverfassungsgerichts.

In seiner weit über Fragen der Rechtsordnung ausgreifenden Publikation „Die Kultur der Freiheit“ reflektiert Di Fabio den Status quo und die künftigen Entwicklungsperspektiven der bundesdeutschen Gesellschaft mit Blick auf die Leitwerte des Grundgesetzes einerseits und auf die Implikationen des Globalisierungsprozesses andererseits. Dabei setzt er auf das Fortbestehen unterschiedlicher Kulturen und die Pluralität der Nationalstaaten als identitätsstiftende Gemeinschaften. Der westliche Wertekanon, der im Aufklärungszeitalter aus seinen spezifischen antiken und jüdisch-christlichen Wurzeln erwachsen sei, rechtfertige keinen Absolutheitsanspruch und sei mit Behutsamkeit und Reflexionsbereitschaft an andere gewachsene Kulturen heranzutragen.

Aufgabe der an Selbsterhaltung und am Fortbestehen ihrer Leitwerte interessierten Nationalstaaten aber sei es, die Quellen ihrer Kultur nicht versiegen zu lassen. Zweierlei hält Di Fabio dazu für notwendig: zum einen die Neubelebung Bindung stiftender Kulturgüter und Institutionen, zum anderen und in Verbindung damit die Vorsorge für ausreichende Nachkommenschaft. Denn wo die künftigen Träger fehlen, können kulturbezogene Werte nicht überdauern. In der Konsequenz fordert Di Fabio eine gesellschaftliche Umorientierung weg von flachen, oft kurzatmigen Selbstverwirklichungsideen und -praktiken hin zu nachhaltigem Wirken und Aufgehobensein in sozialen, vor allem familiären Bindungen. In diesem Sinne finden auch Religionsgemeinschaften als Mittler von gewachsener Kultur und Bindung bei ihm positive Berücksichtigung.

Den kulturalen Hauptaspekten fügt Di Fabio einen gängigen Freiheitsbegriff (Gewährleistung körperlicher und persönlicher Integrität, Meinungs- und Bekenntnisfreiheit, Eigentum als Grundrecht und Institution, Marktwirtschaft) hinzu. Ergänzt wird das Leitbild durch Leistungsgerechtigkeit im Sinne des klassischen bürgerlichen Leistungsgedankens: „Jeder soll in den Bahnen des sittlichen Anstands und des Rechts selbst dafür sorgen, dass er das erreicht, was ihm zusteht, und es steht ihm zu, was er so rechtmäßig erreicht.“

Umstritten war das Buch vor allem wegen der Stellungnahme zugunsten der Familie mit Kindern als gesellschaftliches Leitbild. Während ein Teil der Kritiker darin einen konservativen Rückschritt in die Anfangszeit der Bundesrepublik Deutschland erblickte oder Di Fabios Etikettierung der deutschen Kultur des 19. Jahrhunderts als eine nicht-atlantische bzw. „nichtwestliche Kultur“ kritisierte, sahen andere Rezensenten in der Stellungnahme Di Fabios ein auf dem Autonomieverständnis der Moderne beruhendes Konzept, welches Kinder und Familie als Freiheitsgewinn auffasse.

Di Fabio ist Mitherausgeber der Fachzeitschrift Archiv des öffentlichen RECHTS.

Di Fabio ist römisch-katholisch. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und lebt mit seiner Familie in Bonn.

Leben

26. März 1954. Udo Di Fabio wird in Walsum geboren.

Di Fabio ist Nachkomme italienischer Einwanderer. Sein Großvater ist Stahlarbeiter bei Thyssen.

1970 bis 1980. Di Fabio ist als Verwaltungsbeamter im mittleren Dienst in Dinslaken tätig.

1985. Er absolviert das zweite juristische Staatsexamen.

1985 bis 1986. Er ist Richter am Sozialgericht Duisburg.

1986 bis 1990. Di Fabio ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn.

1987. Er wird an der Universität Bonn mit einer Arbeit über RECHTSschutz im parlamentarischen Untersuchungsverfahren zum Doktor der Rechte promoviert.

1990. Er wird in Duisburg mit einer Arbeit zum Thema Offener Diskurs und geschlossene Systeme im Fach Sozialwissenschaften promoviert.

1990 bis 1993. Er ist Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bonn.

1993. Di Fabio habilitiert sich in Bonn mit einer Arbeit über Risikoentscheidungen im ReECHTSstaat.

Mai 1993. Er nimmt einen Ruf auf eine Professur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an. 

November 1993. Er nimmt einen weiteren Ruf auf eine Professur an der Universität Trier an.

1997. Er übernimmt er eine Professur an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

1999. Di Fabio wird auf Vorschlag der CDU vom Bundesrat in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gewählt.

16. Dezember 1999 bis zum 19. Dezember 2011. Er gehört als Nachfolger Paul Kirchhofs dem Bundesverfassungsgericht an. Ihm folgt Peter Müller.

Sein Dezernat umfasst vor allem das Völkerrecht, das Europarecht und das Parlamentsrecht. In diesen Bereichen bereitet er als Berichterstatter wichtige Urteile seines Senats vor, darunter die Entscheidungen zur Bundestagsauflösung 2005 und zum Lissabon-Vertrag 2009.

2003. Er übernimmt eine Professur an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er danach am Institut für Öffentliches Recht (Abteilung Staatsrecht) lehrt.

2005. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) kürt zusammen mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung jährlich den „Reformer des Jahres“. Dabei sollen Personen ausgezeichnet werden, die sich im betreffenden Jahr in besonderer Weise für „marktwirtschaftliche Reformen“ in Deutschland eingesetzt haben.

Mit dem Titel wird 2005 der Verfassungsrichter Udo di Fabio ausgezeichnet, 2004 der CDU-Politiker Friedrich Merz und 2003 das spätere CDU-Kompetenzteam-Mitglied Paul Kirchhof. In den Jahren 2004 und 2003 wird zusätzlich mit dem IG-Metall-Vorsitzenden Jürgen Peters und dem SPD-Präsidiumsmitglied Andrea Nahles auch je ein „Blockierer des Jahres“ ernannt.

27. November 2005. Alexander Gauland attestiert dem sozialdemokratischen Altbundeskanzler Gerhard Schröder einen aufstiegsorientierten Karrierismus, ohne dabei ein Gesellschaftskonzept angeboten zu haben. Der Politologe und Publizist Albrecht von Lucke kommentiert: „Eine erstaunliche Allianz vom konservativen Publizisten Alexander Gauland bis zum sozialdemokratischen Professor Franz Walter empfiehlt […] der SPD, sich auf ihre Tradition als Staatspartei zu besinnen“.

Den ehemaligen Bundesverfassungsrichter und Publizisten Udo Di Fabio bezeichnet Gauland als „Wendephilosophen“, dessen „geistige Standortbestimmung für die Ausgangslage der Großen Koalition […] kaum zu überschätzen“ sei. Dem hält der Wirtschaftsjournalist und -publizist Rainer Hank entgegen, dass wohl nur „Menschen in Deutschland, die auf einen Ausweg aus der Stagnation“ hofften, Di Fabio als „Chefdenker“ begreifen würden.

2006 bis 2007. Gemeinsam mit Klaus Ness (Generalsekretär der SPD Brandenburg und Mitglied des Landtages Brandenburg), Ute Samtleben (Galeristin aus Potsdam) und Jens Schneider (Hauptstadtkorrespondent der Süddeutschen Zeitung) ist Alexander Gauland Gastgeber des vom Landesbüro Brandenburg der Friedrich-Ebert-Stiftung veranstalteten Politischen Salons in Potsdam. Er stellt über Jahre hinweg Bücher von u. a. Udo Di Fabio (Die Kultur der Freiheit), Joachim Fest (Ich nicht), Konrad Adam (Die alten Griechen), Karl Schlögel (Terror und Traum. Moskau 1937) und Günter Müchler (1813: Napoleon, Metternich und das weltgeschichtliche Duell von Dresden) vor.

Ab 2007. Er ist Kuratoriumsmitglied der Bürgerstiftung Rheinviertel sowie des Bonner RECHTSjournals.

2009. Di Fabio erregt durch einen Beitrag für den Festakt anlässlich des zweihundertjährigen Bestehens des Solinger Tageblatts Aufmerksamkeit, indem er fordert, die zu weitreichende Anonymisierung im Netz zu beenden und dass insbesondere Urheber von öffentlichen Informationsquellen im Internet für deren Konsumenten identifizierbar sein müssten.

2011. Er wird mit der Mercator-Professur der Universität Duisburg-Essen geehrt und erhält das Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband der Bundesrepublik Deutschland.

Dezember 2011. Nach dem Ende der maximal zwölfjährigen Zeit als Verfassungsrichter übernimmt Di Fabio den Mercator-Lehrstuhl an der Universität Duisburg-Essen. Außerdem ist er Professor im Institut für Öffentliches Recht (Abteilung Staatsrecht) an der Universität Bonn.

2012. Er wird mit der Frank-Loeb-Gastprofessur der Universität Koblenz-Landau geehrt und ist Preisträger der Arthur-Burckhardt-Stiftung für Wissenschaftsförderung.

2013. Di Fabio ist Gründungsmitglied des ins Leben gerufenen Wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Familienunternehmen. Di Fabio untersucht im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen die juristischen Grenzen einer Wirtschafts- und Währungsunion.

2. Juni 2013. Die FAZ schreibt: „Wenn die Europäische Zentralbank (EZB) das Verbot der Staatsfinanzierung verletzt, muss das Bundesverfassungsgericht im äußersten Fall Bundesregierung und Bundestag zum Austritt aus der Währungsunion verpflichten. […] Das Karlsruher Gericht besitze zwar „keinen prozessualen Hebel“, um der EZB Vorgaben zu machen […]. Daher müsse es den Fall aber auch nicht dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, sondern dürfe bei ersichtlichen Kompetenzüberschreitungen selbst entscheiden. Dann könnten die Karlsruher Richter den Verstoß immerhin „deklaratorisch feststellen“.“

Mitte 2013. Di Fabio schreibt das Vorwort zu einem Buch des Historikers Dominik Geppert mit dem Titel Ein Europa, das es nicht gibt. Die fatale Sprengkraft des Euro.

2014. Er wird zum Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirates der EKD für das Reformationsjubiläum 2017 gewählt.

2015. Ihm wird der Hanns Martin Schleyer-Preises verliehen und er bekommt den Preis für Publizistik der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung.

September 2015. Di Fabio veröffentlicht ein Buch mit dem Titel Schwankender Westen: Wie sich ein Gesellschaftsmodell neu erfinden muss.

Verleihung des Europäischen Handwerkspreises
an Udo Di Fabio (2. von links)

2016. Er erhält den Europäischen Handwerkspreis.

Januar 2016. Das RECHTSgutachten Migrationskrise als föderales Verfassungsproblem wird veröffentlicht, das Di Fabio im Auftrag der CSU-geführten bayerischen Staatsregierung erstellte. Mit Bezug auf die Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015 schreibt er darin unter anderem:

„Der Bund ist aus verfassungsrechtlichen Gründen […] verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist […] Das Grundgesetz garantiert nicht den Schutz aller Menschen weltweit durch faktische oder rechtliche Einreiseerlaubnis. Eine solche unbegrenzte Rechtspflicht besteht auch weder europarechtlich noch völkerrechtlich.“

Das Gutachten findet politische und mediale Beachtung, da es das Nicht-Schließen der Grenzen, welches 2015 dann doch teilweise erfolgte, durch die deutsche Bundesregierung während der Flüchtlingskrise in Deutschland ab 2015 als Verstoß gegen geltendes Recht einordnet. Damit räumt Di Fabios Gutachten dem Freistaat Erfolgsaussichten bei einem möglichen Bund-Länder-Streit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Bundesregierung ein, der erreichen will, dass an den bayerischen Außengrenzen „wieder rechtlich geordnete Verhältnisse herzustellen“ seien. Mehrfach wird dieser Auffassung jedoch juristisch widersprochen.

April 2020. Di Fabio wird Mitglied des von Ministerpräsident Armin Laschet einberufenen 12-köpfigen „Expertenrats Corona“. Das Gremium aus zwölf renommierten Experten aus unterschiedlichen Disziplinen soll gemeinsam mit der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen Strategien für die Zeit nach der Corona-Krise erarbeiten.

Ab November 2020. Er betreibt im „Forschungskolleg normative Gesellschaftsgrundlagen“ den Podcast Auf den Grund, in dem er mit Vertretern anderer wissenschaftlicher Disziplinen über aktuelle politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Themen diskutiert.

5. April 2021. Armin Laschet fordert einem „kurzen, einheitlichen Lockdown“ in Deutschland.

8. April 2021. Udo Di Fabio warnt, obwohl die Belegung der Intensivbetten durch Corona-Patienten stark ansteigt, in der Düsseldorfer „Rheinischen Post “vor allzu scharfen Grundrechtseinschränkungen wie etwa Ausgangssperren. „Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn solche weitreichenden Grundrechtseinschränkungen verfügt werden“.

Zwar dürfe der Staat „sehr weitreichend in Grundrechte eingreifen“, wenn das medizinische Versorgungssystem vor dem Kollaps stehe. Zu den dann möglichen Maßnahmen gehörten auch Ausgangssperren. Doch seien dies Maßnahmen, „die man nur verhängen darf, wenn schonendere Mittel nicht mehr greifen“.

Er hält es auch nicht für statthaft, die Bewegungsfreiheit von Corona-Geimpften weiterhin einzuschränken: „Wenn feststeht, dass von einem Menschen keine Übertragungsgefahr ausgeht, darf er dem Grunde nach nicht mehr in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden.“

Bilder aus Wikimedia Commons
Udo Di Fabio auf der Frankfurter Buchmesse 2018, Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“, Urheber: Heike Huslage-Koch
Verleihung des Europäischen Handwerkspreises an Udo Di Fabio (2. von links), Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international“, Urheber: Raimond Spekking

Quellen