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Seeheim-Jugenheim, im Vordergrund Bickenbach |
Die Seeheimer in der SPD (Seeheimer Kreis) sind ein Zusammenschluss von Bundestagsabgeordneten der SPD. Sie sind neben der Parlamentarischen Linken und dem Netzwerk Berlin eine der drei politischen Strömungen innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion. Die Seeheimer selbst nennen sich undogmatisch und pragmatisch, in der politischen Berichterstattung werden sie zumeist als rechter oder konservativer Flügel der SPD-Fraktion bezeichnet.
Die Seeheimer beschreiben ihre politische Ausrichtung selbst als „pragmatisch“ und lösungsorientiert. Sie veröffentlichen auf Ihrem Webauftritt regelmäßig Positionspapiere.
Sie treten für die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro und die Anpassung der Einkommenssteuersätze ein.
Sie setzen unter anderem einen industrie- und wirtschaftspolitischen Schwerpunkt und verbinden diesen mit Arbeits- und Umweltpolitik: Die Seeheimer fordern beispielsweise stärkere Unterstützung der industriellen Wertschöpfung vor Ort durch den Aufbau besserer Transportverbindungen und digitaler Infrastruktur, eine angemessene Steuer- und Abgabenquote und die steuerliche Förderung klimaneutraler Produktion.
Der Seeheimer Kreis spricht sich für einen starken Multilateralismus aus und setzt sich außenpolitisch für Dialog und Kooperation in den internationalen Organisationen ein.
Der Kreis hat sich nach seinem langjährigen Tagungsort Seeheim an der Bergstraße (Südhessen) benannt.
Der Seeheimer Kreis veranstaltet mit der seit 1961 stattfindenden Spargelfahrt und dem 2011 gestarteten Gartenfest jährlich mehrere Festlichkeiten für Partei- und Fraktionsmitglieder.
Sprecher des Seeheimer Kreises sind: Dagmar Ziegler, Dirk Wiese und Siemtje Möller.
Weitere Mitglieder des Seeheimer Kreises sind die Bundestagsabgeordneten: Doris Barnett, Karl-Heinz Brunner, Daniela De Ridder, Edgar Franke, Dagmar Freitag, Caren Marks, Dennis Rohde, Mahmut Özdemir, Ulla Schmidt, Stefan Zierke, Martin Schulz, Wolfgang Hellmich, Lars Klingbeil.
Ehemalige Mitglieder des Seeheimer Kreises sind: Gerd Andres, Hans Apel, Marion Caspers-Merk, Garrelt Duin, Karin Evers-Meyer, Karl Hermann Haack, Stephan Hilsberg, Petra Hinz, Sigmar Gabriel, Wolfgang Tiefensee, Florian Gerster, Klaas Hübner, Matthias Ilgen, Johannes Kahrs, Susanne Kastner, Fritz-Rudolf Körper, Johannes Pflug, Albert Weiler, Reinhold Robbe, Carsten Schneider, Rolf Schwanitz, Brigitte Zypries, Peer Steinbrück, Klaus Lennartz, Thomas Oppermann.
Geschichte
Ab 1950er Jahre. Es gibt innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion eine informelle Gruppierung unter dem Namen „Kanalarbeiter“, die konservativ-traditionell eingestellt ist und dem rechten Flügel der SPD zugeordnet wird. Sie ist eine der mächtigsten Gruppen innerhalb der Gesamtpartei.
Prominenteste Köpfe sind Egon Franke (1913–1995) und Annemarie Renger (1919–2008). Über Annemarie Renger stehen die Seeheimer in der Traditionslinie eines nationalen Flügels der SPD, der von ihrem Chef Kurt Schumacher (1895–1952) über dessen Doktorvater Johann Plenge (1874–1963) bis hin zur Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe während des Ersten Weltkrieges reicht.
Ab 1969. Parallel zu den Kanalarbeiter-Strukturen gibt es in der Bundestagsfraktion einen nach dem Initiator Günther Metzger (1933–2013) benannten „Metzger-Kreis“.
1972. An die Stelle des „Metzger-Kreises“ tritt der „Arbeitskreis Linke Mitte“, der als organisierter Vorläufer des späteren Seeheimer Kreises gelten kann.
September 1969. Bei der Bundestagswahl kommt es zu einer knappen Mehrheit für eine SPD-FDP-Koalition. Willy Brandt, der zum dritten Mal für den Posten des Kanzlers kandidiert, wird Bundeskanzler.
Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre. Aus verschiedenen Gründen (zum Beispiel „Linkswende“ der Jusos ) erstarkt die Linke innerhalb der SPD sowohl inhaltlich als auch personell. Es bildet sich ein reformsozialistischer Flügel, für den Johano Strasser (* 1939), Karsten Voigt (* 1941) und Norbert Gansel (* 1940) stehen, ein „antirevisionistischer“ Flügel, und der Stamokap-Flügel, der die sozialdemokratische Regierung als Agentin des Monopolkapitals sieht.
Gerhard Schröder (* 1944, 1998–2005 Bundeskanzler) ist zeitweise der Wortführer des antirevisionistischen Flügels. Dem wollen Abgeordnete wie Hermann Buschfort, Heinz Ruhnau und Hans-Jochen Vogel etwas entgegenstellen, das über den Ansatz der Kanalarbeiter hinausgeht. Zusammen mit prominenten Sozialdemokraten wie Helmut Schmidt (1918–2015), Georg Leber (1920–2012) und Kurt Gscheidle (1924–2003) verstehen sie sich als „Godesberger Flügel“ der SPD. 'Godesberg' symbolisiert den Wandel der SPD von einer sozialistischen Arbeiterpartei hin zu einer Volkspartei).
Dezember 1974. Ein Treffen im Dorint-Hotel in Lahnstein gilt als das Gründungsdatum der Seeheimer. Schon im Vorjahr hat sich dort auf Einladung von Hans-Jochen Vogel zum ersten Mal ein Kreis von etwa 40 Sozialdemokraten getroffen, um gegenüber der Linken aus der „theoretischen und ideologischen Defensive“ herauszukommen. Zu den Gründungsmitgliedern gehören Hans Apel (1932–2011), Herbert Ehrenberg (1926–2018), Antje Huber (1924–2015), Richard Löwenthal (1908–1991), Annemarie Renger (1919–2008), Alexander Schwan (1931–1989) und Gesine Schwan (* 1943).
Die Seeheimer stellen den Anspruch an ihren Kreis, in der Grundwertediskussion der SPD eine intellektuell hervorragende Position zu besetzen. Der Kreis erzielt Erfolge in der Personalpolitik der SPD und bei der Durchsetzung von Fraktionsbeschlüssen. Sie treten erfolgreich in die Fußstapfen der Kanalarbeiter, deren Motto „ohne uns läuft nichts“ gelautet hat.
Mai 1974 bis Oktober 1982. In seiner Regierungszeit nimmt Bundeskanzler Helmut Schmidt einige Seeheimer in seine Kabinette auf. Sie sind ihm Rückhalt in innerparteilichen Auseinandersetzungen um den starken Ausbau der Atomenergie in Deutschland nach den Ölkrisen (1973 und 1979) und den NATO-Doppelbeschluss.
1978 bis 1984. Die zunächst als Lahnsteiner Kreis bekannt gewordene Gruppierung trifft sich im Lufthansa-Schulungszentrum in Seeheim an der Bergstraße. Hieraus entsteht die später gängige Bezeichnung „Seeheimer“.
1. Oktober 1982. Nach dem Ende von Helmut Schmidts Kanzlerschaft gehen die Kanalarbeiter, die eher die traditionellen nicht-akademischen Gewerkschafter repräsentieren, ganz im Seeheimer Kreis auf, der als vergleichsweise „intellektuell“ gilt.
Nach dem Verlust der Regierungsbeteiligung der SPD im Jahr sinkt der Einfluss des Seeheimer Kreises. Dies führt zur Gründung der antikommunistisch ausgerichteten und der Extremismustheorie verpflichteten Kurt-Schumacher-Gesellschaft unter Führung Annemarie Rengers, in der Nachkriegszeit eine der engsten Vertrauten Kurt Schumachers.
Die Seeheimer sind im Richtungsstreit der SPD in ihrer Oppositionszeit Jahren Gegner des Bündnisses zwischen SPD und Grünen. Zudem stellen sie, anders als insbesondere der linke Flügel der SPD Ende der 1980er-Jahre, die Wiedervereinigung als Politikziel nicht in Abrede.
1990er Jahre. Nach der Wiedervereinigung treten Stephan Hilsberg (* 1956) und Markus Meckel (* 1952) dem Seeheimer Kreis bei. Hilsberg zählte im Oktober 1989 zu den Gründungsmitgliedern der SDP (Sozialdemokratische Partei der DDR), wird zum Ersten Sprecher gewählt und ist von Februar bis Juli 1990 Geschäftsführer der SPD in der DDR. Meckel ist vom 12. April bis zum 20. August 1990 Außenminister der DDR im Kabinett von Lothar de Maizière.
Herbst 1998 bis Herbst 2005. In der Regierungszeit von Gerhard Schröder unterstützt der Kreis dessen Agenda 2010, die zu Einschnitten bei vielen Sozialleistungen führt.
Daneben sind die beiden nachfolgenden SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier Teil der Seeheimer. „Steinmeier zählt aber, wie Peer Steinbrück, zum Herausgeberkreis der Berliner Republik, was seine Sympathien für die Netzwerker andeutet.“
13. November 2013. Der Seeheimer Kreis unterstützt vor dem Parteitag der SPD in Leipzig eine Annäherung an die Linkspartei. "Das ist ein vernünftiger Schritt", sagt der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs. "Damit signalisieren wir der Linkspartei: Werdet koalitionsfähig, dann seid ihr im Spiel. Und wir haben eine weitere Machtoption." Auch den Zeitpunkt des strategischen Schwenks begrüßt Kahrs. "Der Ansatz ist fair gegenüber all denen bei uns, die ein Linksbündnis nicht gut finden, weil man es vier Jahre vor der nächsten Wahl rechtzeitig sagt."
6. Dezember 2017. Der "Seeheimer Kreis" warnt Gegner einer möglichen Regierungsbeteiligung, sich vor Verantwortungen zu drücken. "Spätestens das Scheitern der Sondierungsverhandlungen für eine Jamaikakoalition hat gezeigt, dass wir bei aller Beschäftigung mit uns selbst nicht in eine Oppositionsromantik verfallen dürfen", heißt in einem 21-Thesen-Papier.
Die Partei müsse vorangehen, die richtigen Antworten geben und den eigenen Führungsanspruch deutlich machen. Unabhängig davon, was mögliche Gespräche mit CDU und CSU bringen, "müssen wir schon jetzt die nächste Bundestagswahl in den Blick nehmen" - egal, wann diese stattfinde. Um Vertrauen der Bürger zurückzugewinnen, müsse die SPD ihre Herzensthemen entschlossener angehen.
Das ist eine klare Ansage an den linken SPD-Flügel, der eine Neuauflage der Großen Koalition ablehnt. Richtig sei der Ruf nach gesellschaftlichen Zukunftsentwürfen wie eine Bürgerversicherung und ein Rentenkonzept. Die SPD sollte sich auf wenige Themen konzentrieren: "Wer gleichzeitig für alles steht und es allen recht machen möchte, steht am Ende für nichts."
2017. Auch der SPD-Vorsitzende und Kanzlerkandidat zur Bundestagswahl 2017 Martin Schulz gehört dem Seeheimer Kreis an.
Seeheim-Jugenheim, im Vordergrund Bickenbach, Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“, Urheber: Christos Vittoratos