Schema eines Flüssigsalzreaktors (hier der Single Fluid MSR) |
Der Dual Fluid Reaktor (DFR) ist ein Atomreaktor-Konzept des Instituts für Festkörper-Atomphysik (IFK) in Berlin. Der DFR hat das Ziel, die Vorteile des Flüssigsalzreaktors und der metallgekühlten Reaktoren (natriumgekühlter Reaktor, bleigekühlter Reaktor) zu kombinieren. Somit sollen die Nachhaltigkeits-, Sicherheits- und Wirtschaftlichkeitsziele der sogenannten „Generation IV“ erreicht werden.
Der konzipierte Reaktor hat einen flüssigen Kern (Atombrennstoff- und Brutstoff-Chlorsalze oder flüssiges Aktinoidenmetall) und Bleikühlung. Er soll ein hartes Neutronenspektrum haben.
Für eine kombinierte Online-Hochtemperaturwiederaufarbeitung soll er fraktionierte Rektifikation, auch Gegenstromdestillation genannt, nutzen. Das ist ein thermisches Trennverfahren zum Auftrennen einer homogenen Lösung aus zwei oder mehr Stoffen.
Als Brutreaktor soll der DFR, anders als die herkömmlichen Leichtwasserreaktoren (LWR), nicht nur Uran-235 (0,7 % des Natururans), sondern auch Uran-238 verwerten. Falls eine vollständige Umwandlung des gesamten Urans in Transurane mit nachfolgender Spaltung gelingt, könnte ein solcher Reaktor aus dem ungenutzten Uran-238 eines typischen abgebrannten LWR-Brennelements (ca. 1 Tonne) etwa 2,5 Jahre lang eine thermische Leistung von 1 Gigawatt gewinnen.
Der DFR soll auch Thorium nutzen können. Damit sollen die Atombrennstoffressourcen der Erde über tausende von Jahren ausreichen.
Das IFK bewirbt ihn mit herausragenden Sicherheitseigenschaften, extrem niedrigen Kosten sowie der Fähigkeit, Aktinide wie z. B. Plutonium oder abgebrannte Brennstäbe aus Leichtwasserreaktoren in kurzen Zeiträumen zu vernichten. Die übrig bleibenden Abfälle seien nur Spaltprodukte, die innerhalb von 300 Jahren auf eine Radiotoxizität unterhalb der von Natururan abklingen, sodass ein geologisches Atomendlager nicht notwendig sei.
Durch die hohe Wärmeleitfähigkeit der flüssigen Metalle soll beim DFR die Nachzerfallswärme vollständig passiv abgeführt werden, was in dieser Hinsicht eine sehr hohe inhärente Sicherheit bedeuten würde. Im Betrieb soll die Leistungsstabilität durch einen stark negativen Reaktivitätskoeffizienten gesichert sein.
Die neutronenphysikalische Funktionsfähigkeit des Konzepts wurde von Mitarbeitern der Technischen Universität München und E.On Kernkraft überprüft und validiert.
Atomwaffen
Wenn das Konzept funktionieren würde hatte man ein optimales System zur Herstellung von Waffenmaterial, insbesondere solchem (wie reinem Uran-233 aus Thorium), das anders als Plutonium, den ganz einfachen Bombenbau gestattet. Aufgrund der geringen Spontanspaltungen lässt sich ein sehr einfaches Bombendesign mittels Uran-233 verwirklichen.
Olle Kamellen
Bei dieser Art von Atomreaktoren handelt es sich um alles andere, als um etwas Neues. Flüssigsalzreaktoren gibt es im Konzept schon seit den 1960er Jahren. Versuchsanlagen lieferten jedoch immer wieder das selbe Ergebnis:
- Die hohen Temperaturen sind in Kombination mit Flüssigsalz oder sogar Flüssigmetall als Kühlmedium in einem Dauerbetrieb nicht möglich.
- 800-1000°C sind Bereiche in dem fast alle Materialien einen großen Teil ihrer Festigkeit verlieren und zu Reaktionen mit dem Kühlmedium neigen.
- Diese Erfahrung hat man auch mit dem „Superphénix“ in Frankreich gemacht. Da entwich immer wieder Natrium aus dem Kühlkreislauf und sorgte für Störungen.
Weitere Probleme
1. Bei einem Rohbruch oder Leck im Reaktorkern schwimmt der Kernbrennstoff im Kühlmittel auf. Blei und Salz mischen sich nicht. Dadurch kann sich Reaktorbrennstoff in der Kühlleitung an Punkten konzentrieren. Bildet sich dabei eine kritische Masse, kommt es zur Leistungsexkursion (Atomkatastrophe von Tschernobyl).
2. Bei einem Rohrburch oder Leck des Reaktrokreislaufs sammelt sich Kernbrennsoff außerhalb des Kreislaufs an. Beim erreichen einer kritischen Masse kommt es zur Leistungsexkursion (Atomkatastrophe von Tschernobyl).
3. Bei einem Kühlmittelverlust kann es dazu kommen, dass der Reaktor nicht mehr mit (genügend) Blei durchflossen wird. Fehlt das Blei, werden weniger Neutronen absorbiert und es kann zur Leistungsexkursion (Atomkatastrophe von Tschernobyl) kommen.
4. Die entstehenden Spaltprodukte geben extrem viel Wärme ab. Kann diese nicht abgeführt werden, hat man ein massives Problem.
5. Wenn die Anlage unter 327°C abkühlt, „friert“ das Blei ein und es kommt zum Totalschaden. Aus dem Konzept des Dual-Fluid Reaktor (DFR) gehen keine Gegenmaßnahmen hervor.
6. Bei den Atomreaktionen entstehen auch leicht flüchtige, gasförmige Stoffe wie radioaktives Xenon, Krypton oder Tritium. Das Konzept des DFR macht keinen Vorschlag, wie diese schwer zu handhabenden Spaltprodukte beherrscht werden können, auch nicht, wie ein Freisetzen sicher verhindert werden kann. Stand der Technik ist es, schwer zu handhabende Stoffe in die Umwelt freizusetzen.
7. Die Fertigung der komplexen Rohrsysteme bereitet extreme Probleme für die Fertigungstechnik und die Materialbeschaffenheit, insbesondere was die Herstellung der Rohre und die Verbindung der Rohre betrifft (Laserschweißen oder Löten). Es gibt ein hohes Risiko bezüglich der Versprödung der Materialien und der Festigkeit der Verbindungen. Die höhere Temperatur und die chemische Zusammensetzung des geschmolzenen Salzes stellen hohe Anforderungen an die Beständigkeit der verwendeten Materialien. Im Oak Ridge Testreaktor (MSRE) kam es zu erheblicher Korrosion an metallischen Komponenten durch das Spaltprodukt Tellur.
8. Im Reaktorkreislauf entsteht in der Nähe der Oberfläche der Rohre freies Chlor. An der Außenseite fließt flüssiges Blei. Die Temperaturen dürften hier etwa 1300°C betragen. Gleichzeitig soll das Material sehr dünn sein (16 mm Rohre mit 3 mm Wandstärke). Zudem ist das Material einem extrem hohen Neutronenfluss ausgesetzt. Das aufgrund der Vorschläge des DFR-Teams mögliche Material (z.B. gesintertes Molybdän) würde dem Blei nicht dauerhaft standhalten. Ein Material zu finden, dass den hohen Temperaturen, dem starken Neutronenfluss, dem Chlor, dem schnell fließenden Blei und auch entstehender Flusssäure widersteht, dürfte unmöglich sein.
9. Die sekundäre Kühlung soll entweder über einen superkrtischen Wasserkreislauf bei über 1000°C oder per Luftstrom erfolgen. Ein starker Luftstrom stellt ein erhebliches Risiko bei Bränden dar, da ein Feuer stets weiter angefacht wird, so man nicht auf die Kühlung verzichten möchte.
10. Die Spaltprodukte geben unheimlich viel Wärme ab. Das Material müsste sehr zuverlässig gekühlt werden. Aktuelle Versuchsanlagen behandeln Material, dass über 5 bis 10 Jahre mit Wasser gekühlt wurde. Dass eine Wiederaufbereitung bei derartigen Temperaturen möglich ist, ist nur schwer vorstellbar. Fällt die Kühlung aus, ist mit der Freisetzung von radioaktivem Material zu rechnen.
11. Nimmt man die Kostenrechnung unter die Lupe, kommt man auf Kosten von knapp 10 Mrd. € pro Reaktor. Das DFR-Team rechnet hingegen nur mit Kosten von 1 Mrd €.
Geschichte
2012. Für das DFR-Konzept wird ein Patentantrag eingereicht. Die Patenterteilung wird in den USA, Kanada, vom Europäischen Patentamt und von der Weltorganisation für geistiges Eigentum angenommen.
7. August 2013. 2008 wurde von den Ingenieuren Marco Voigt und Sven Krüger unter dem Namen "Clean Tech Media Awards" die GreenTec-Awards ins Leben gerufen. Sie sind nach eigenen Angaben die "größten und wichtigsten Umwelt- und Wirtschaftspreise" in Deutschland.
Doch in der Kategorie Energie wird die Publikumsnominierung nicht in die Runde der letzten Drei aufgenommen: Dort hat sich eine Mehrheit der Online-Teilnehmer den Dual-Fluid-Reaktor (DFR) entschieden.
Die DFR-Macher von der Berliner gGmbH Institut für Festkörper-Kernphysik (IFK) kritisieren diese Nichtaufnahme als Regelbruch und eine von der GreenTec Communications GmbH nachgeschobene Erklärung, dass die "Auswahl der Nominierten und Preisträger […] letztendlich unabhängig durch die Jury" erfolge, als nachträgliche Änderung der Teilnahmebedingungen. GreenTec-Initiator Marco Voigt spricht dagegen von einem bloß "ergänzenden Zusatz", der nichts am "Regelwerk" geändert habe.
Diese Erklärung stellt die IFK-gGmbH so wenig zufrieden, dass sie trotz eines Ausschlusses des Rechtsweges in den Teilnahmebedingungen mit dem Rechtsanwalt Matthias Graebel vor das Berliner Landgericht zieht, um die Endausscheidungsteilnahme am 30. August über den Erlass einer Einstweiligen Verfügung zu erzwingen. Als das Landgericht diesen Erlass verweigert, wendet sich der Rechtsanwalt an das Kammergericht. Das legt in einem jetzt bekannt gewordenen Beschluss vom 4. Juli unter dem Aktenzeichen 25 W 22/13 eine andere Rechtsauffassung an den Tag und stellt fest, dass der Dual-Fluid-Reaktor durch den Gewinn der Online-Abstimmung in der Kategorie "Galileo Wissenspreis" nominiert ist. Deshalb ordnet es an, die IFK-gGmbH zur Preisverleihung zulassen und es ihr zu erlauben, das Projekt im Rahmen der Veranstaltung "kostenfrei zu präsentieren".
Bei der GreenTec Communications GmbH heißt es dazu auf Anfrage von Telepolis, dass man gegen den Beschluss Widerspruch eingelegt habe und dass die Einstweilige Verfügung ohne eine mündliche Verhandlung und ohne rechtliches Gehör erlassen wurde. Dies ist ein vor allem am Landgericht Hamburg gängiges Verfahren, das noch nicht zur Rechtswidrigkeit einer Einstweiligen Verfügung führt.
2017. Aufgrund der Anmeldung wird das Europäische Patent EP 2 758 965 erteilt und unter anderem in Deutschland nationalisiert. Das entsprechende Deutsche Patent hat die Nummer DE 50 2012 010 710.
Bilder aus Wikimedia Commons
Schema eines Flüssigsalzreaktors (hier der Single Fluid MSR), Lizenz: Public Domain, Urheber: US Department of Energy Nuclear Energy Research Advisory Committee
Quellen
07.08.2013, Telepolis, Umweltpreisposse: Dual-Fluid-Reaktor-Bewerber erwirken Einstweilige Verfügung