Stolperstein in Mannheim für Paul Locherer |
Die Unternehmerfamilie Reimann aus der Umgebung von Mannheim und Heidelberg ist eine der wohlhabendsten Familien Deutschlands. Im Jahr 2018 soll die Familie über ein Vermögen von 18 Mrd. Euro verfügt haben.
Die von der Familie kontrollierte JAB Holding hält indirekt einen Anteil von knapp sechs Prozent am börsennotierten Reinigungsmittelhersteller Reckitt Benckiser.
Aktionäre der JAB sind Renate Reimann-Haas (* 1951), Wolfgang Reimann (* 1952) sowie deren Cousins Matthias Reimann-Andersen (* 1965) und Stefan Reimann-Andersen (* 1963).
Heute liegt der Anteil bei 90 Prozent. Etwa 10 Prozent der Anteile an JAB sind mehrheitlich im Besitz der drei JAB Senior Partner Bart Becht, Peter Harf und Olivier Goudet – zu jeweils gleichen Anteilen. Sie führen die JAB und treffen alle Investmententscheidungen einvernehmlich.
Der Familienzweig Reimann-Dubbers mit vier Geschwistern trennte sich in den 1990er Jahren von seinen Anteilen an Reckitt-Benckiser und operiert heute eigenständig. Zu Reimann-Dubbers gehören das Family Office Reimann Investors, die Deutsche Kontor Privatbank (Vermögensverwaltung) sowie deren im Jahr 2010 begründete Marke Sofort Bank (Online-Zahlungssystem).
Renate Reimann-Haas, Matthias Reimann-Andersen, Stefan Reimann-Andersen und Wolfgang Reimann sind Mitglieder im Stiftungsrat der gemeinnützigen Benckiser Stiftung Zukunft.
Volker Reimann-Dubbers gründete 1997 die gemeinnützige VRD Stiftung für Erneuerbare Energien. Diese setzt sich für die Förderung und Verbreitung erneuerbarer Energien im In- und Ausland ein.
Günter Reimann-Dubbers gründete 2002 die Günter Reimann-Dubbers Stiftung. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, gemeinnützige Projekte, insbesondere in den Bereichen Familie, Bildung und Gesundheit ins Leben zu rufen und zu unterstützen.
Andrea Reimann-Ciardelli gründete 2004 die gemeinnützige Emily Landecker Foundation.
Geschichte
1823. Adam Benckiser erwirbt eine Salmiakhütte in Pforzheim.
1851. Der Aufstieg der Familie beginnt, als der Chemiker Karl Ludwig Reimann zusammen mit Johann Adam Benckiser in Ludwigshafen eine Chemiefabrik gründet. Die Produkte sind Weinsäure und Zitronensäure sowie Phosphate.
Der Chemiker Albert Reimann sen. (* 21. August 1868, † 27. Juli 1954), Enkel von Ludwig Reimann, treibt das Geschäft im Laufe der Jahre voran.
1950er Jahre. Albert Reimann jun. erfindet den Wasserenthärter Calgon.
1960er Jahre. Albert Reimann jun. erfindet das Spülmittel Calgonit, sowie das Zahnersatz-Pflegemittel Kukident.
1984. Albert Reimann jun. (* 1898) stirbt, ihm gehörte die Joh. A. Benckiser in Ludwigshafen. Er hinterlässt 9 Kinder. Vier Kinder adoptierte er von seiner Schwester Else Dubbers und zwei Kinder von einem Neffen. Er hatte drei leibliche Kinder. Jedem der Kinder wird der gleiche Erbanteil an Joh. A. Benckiser zugesprochen.
1996 bis 2013. Die Familie Reimann ist von Alleineigentümer des später börsennotierten Parfümherstellers Coty, ein globaler Kosmetikkonzern mit rund 12.000 Mitarbeitern. Auch nach dem Börsengang hält die Familie 38,1 Prozent der Anteile.
1997. Die vier Kinder der Linie Reimann-Dubbers, die Albert Reimann von seiner Schwester adoptiert hat, lassen sich ihre Anteile auszahlen, um eigene Wege zu gehen.
1999. Die Firmengründer fusionieren mit der englischen Firma Reckitt & Sons.
2012. Die Familie belegt mit einem geschätzten Vermögen von elf Milliarden Euro Rang vier in einer Liste der reichsten Deutschen.
Die Firma Joh. A. Benckiser wird zur JAB Holding Company s.à r.l mit Sitz in Luxemburg. Die vier Geschwister Renate Reimann, Wolfgang Reimann, Matthias Reimann und Stefan Reimann bleiben beteiligt.
Ab 2012. Die Unternehmerfamilie Reimann engagiert sich über Benckiser im Kaffeegeschäft und übernimmt die US-amerikanischen Kaffeeröstereien und Kaffeehausketten Peet's Coffee & Tea für 825 Millionen Euro und Caribou Coffee für 260 Millionen Euro.
Mai 2012. Die Übernahme des Kosmetikherstellers Avon scheitert.
April 2013. Es wird bekannt, dass Reimann für 7,5 Milliarden Euro D.E Master Blenders 1753 (ehemals Douwe Egberts) übernimmt, den niederländischen Marktführer für Kaffee- und Teeprodukte, der auch Senseo-Kaffeepads herstellt.
2014. D.E Master Blenders 1753 und Mondelēz International geben bekannt, ihre Kaffee-Marken zu einem reinen Kaffeeunternehmen zusammenlegen zu wollen. Das entstehende Joint Venture, an dem Mondelēz International 49 Prozent halten wird, soll Jacobs Douwe Egberts heißen, seinen Sitz in den Niederlanden haben und vom bisherigen Chef von D.E Master Blenders 1753 geführt werden. Jacobs Douwe Egberts kommt auf einen Jahresumsatz von rund 7 Milliarden US-Dollar und einem Weltmarktanteil von 8 Prozent.
Ab November 2014. Die ehemalige Sofort Bank firmiert unter dem Namen Deutsche Handelsbank.
Dezember 2015. Es wird zusammen mit anderen Investoren die für 2016 vorgesehene Übernahme des US-amerikanischen Kaffeekapsel-Konzerns und McDonald's-Lieferanten Keurig Green Mountain für 13,9 Milliarden Dollar bekanntgegeben. Nach Zustimmung der Aufsichtsbehörden und der Aktionäre wird der Abschluss der Transaktion im März 2016 bekanntgegeben.
2016. Die Familie belegt mit einem geschätzten Vermögen von 30 Milliarden Euro den ersten Platz in Deutschland.
Juli 2017. JAB verkauft die Schuhmarke Jimmy Choo an Michael Kors.
Ende 2017. JAB verkauft die Modemarke Belstaff an Ineos.
2018. Das geschätzte Vermögen liegt Anfang 2018 bei 33 Milliarden Euro. In der Liste der reichsten Deutschen liegen die Reimanns damit auf Rang zwei.
Die Familie noch knapp sechs Prozent an dem entstandenen Wasch- und Reinigungsmittelkonzern Reckitt Benckiser.
Ab Februar 2018. JAB Holding hält nur noch eine Minderheitsbeteiligung an Bally.
23. März 2019. Aus bisher unveröffentlichten Akten deutscher Archive ergibt sich dass führende Mitglieder der Unternehmerfamilie Reimann zu Zeiten des Nationalsozialismus den Missbrauch von Zwangsarbeiterinnen geduldet haben.
In den Werken und in der privaten Villa der Firmenpatriarchen Albert Reimann senior und Albert Reimann junior in Ludwigshafen kam es demnach zu Gewalt und Missbrauch. Firmenmitarbeiter sollen mehrere osteuropäische Arbeiterinnen gezwungen haben, nackt in ihrer Baracke anzutreten. "Frauen, die sich weigerten, wurden in ihrem Bett unsittlich berührt. Andere Zwangsarbeiter wurden getreten und geschlagen, darunter auch eine Russin, die im Haus der Reimanns putzte".
Zudem sollen die beiden Unternehmer überzeugte Nationalsozialisten und Antisemiten gewesen sein, die vom Zweiten Weltkrieg erheblich profitiert hätten. Die Reimans spendeten demnach bereits 1931 Geld an die SS gespendet. An Heinrich Himmler, der als Reichsführer SS den Holocaust organisierte, habe Albert Junior am 1. Juli 1937 geschrieben: "Wir sind ein über hundertjähriges, rein arisches Familienunternehmen. Die Inhaber sind unbedingte Anhänger der Rassenlehre."
Familiensprecher Harf bestätigt die Recherchen des beauftragten Wirtschaftshistorikers Paul Erker von der Uni München. "Da gibt es nichts zu korrigieren. Das ist alles korrekt. Reimann senior und Reimann junior waren schuldig. Die beiden Unternehmer haben sich vergangen, sie gehörten eigentlich ins Gefängnis ... Wir haben uns geschämt und waren weiß wie die Wand. Da gibt es nichts zu beschönigen ... diese Verbrechen sind widerlich". Er kündigt an, zehn Millionen Euro an eine passende Organisation spenden zu wollen.
Bilder aus Wikimedia Commons
Stolperstein in Mannheim für Paul Locherer, Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“, Urheber: Graf Foto
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