Mittwoch, 16. Januar 2019

Grete Hermann

Bremen um 1900
Die deutsche Mathematikerin, Physikerin, Philosophin und Pädagogin Grete Hermann (auch Grete Henry oder Grete Henry-Hermann) wurde am 2. März 1901 in Bremen geboren († 15. April 1984 in Bremen).

Sie stand mit Physikern wie Werner Heisenberg und anderen Wissenschaftlern ihrer Zeit in Diskussion über die Entwicklung vor allem der modernen Quantenphysik stand.

Ein Teilnachlass von ihr befindet sich im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.

Werner Heisenberg hat Grete Hermann mit dem Kapitel 10 Quantenmechanik und die Kantsche Philosophie (1930–1932) seines Buches „Der Teil und das Ganze. Gespräche im Umkreis der Atomphysik“ ein bleibendes Denkmal gesetzt.

Die Grete-Henry-Straße in Göttingen wurde nach ihr benannt.

Leben

2. März 1901. Grete Hermann wird als drittes von sieben Kindern in eine bürgerlich-protestantische Bremer Kaufmannsfamilie in Bremen geboren. Sie wächst mit zwei Schwestern und vier Brüdern auf. Ihre beiden Großväter sind Pfarrer.

2020. Sie macht ihr Abitur am Neuen Gymnasium in Bremen (heute Oberschule am Barkhof), an dem Mädchen nur in Ausnahmefällen zugelassen werden.

1921. Sie erwirbt die Lehrbefähigung für Volks- und Mittelschulen und studiert dann Mathematik, Physik und Philosophie in Göttingen und Freiburg im Breisgau.

1925. Grete Hermann wird mit der Dissertation Die Frage der endlich vielen Schritte in der Theorie der Polynomideale von der Göttinger Mathematikerin Emmy Noether promoviert. Hermann legt außerdem die Prüfung für das Lehramt an höheren Schulen ab.

1925 bis 1927. Sie arbeitet bis zu dessen Tod als Privatassistentin des Göttinger Philosophen Leonard Nelson, der sich um die Fortentwicklung der kritischen Philosophie Kants in der Tradition von Jakob Friedrich Fries bemüht, die er durch die Ausarbeitung einer Ethik, die für politisches Handeln gelten soll, vor allem konsequent in die Pädagogik und politische Praxis umzusetzen sucht.

Sie engagiert sich auch in dem 1926 von Nelson deswegen gegründeten Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK), zu dessen führenden Mitgliedern Willi Eichler und Minna Specht zählen, und arbeitet in dem von Nelson gegründeten Landerziehungsheim Walkemühle bei Melsungen mit.

Mit Minna Specht gibt sie nach Nelsons Tod aus dem Nachlass den Band „System der philosophischen Ethik und Pädagogik“ heraus, setzt aber auch ihre eigenen Forschungen fort.

Anfang 1930er Jahre. Zur Bekämpfung des Nationalsozialismus tritt sie Anfang der 1930er Jahre in die Redaktion der ab Januar 1932 vom ISK herausgegeben Tageszeitung „Der Funke“ ein, dessen zentrales Anliegen ist, die Bildung einer Einheitsfront aller gegen den Nationalsozialismus eingestellten Kräfte zu unterstützen, wozu bis 1933 mehrfach ein von bekannten Künstlern, Politikern und Wissenschaftlern unterzeichneter Dringender Appell publiziert und plakatiert wird.

1933. Nach der Machtübernahme Hitlers hält Grete Hermann philosophische Kurse ab, in denen über die verteidigenswerten politischen und ethischen Werte und den Sinn des Widerstandes gegen das NS-Regime diskutiert wird. Diese Kurse gehen nach ihren eigenen Worten „tiefer und sind lebendiger als wohl alle Unterrichtsarbeit, wie ich sie sonst in meinem Leben geleistet habe.“ Gleichzeitig setzt sie ihre wissenschaftliche Arbeit fort, korrespondiert mit Carl Friedrich von WeizsäckerWerner Heisenberg, Niels Bohr sowie anderen bedeutenden Mathematikern und Naturwissenschaftlern.

Sommer 1934. Sie nimmt an einem Seminar von Werner Heisenberg mit mehreren renommierten Physikern in Leipzig teil. 

1935. Die aus den Diskussion im Seminar von Werner Heisenberg hervorgegangenen Überlegungen veröffentlicht sie unter dem Titel „Die naturphilosophischen Grundlagen der Quantenmechanik“ und findet damit in der physikalischen Forschung große Beachtung.

In ihrem Buch kritisiert sie auch den Beweis der Widerlegung von Theorien Verborgener Variabler von John von Neumann, der lange Zeit als unumstößlich gilt. Sie findet einen grundlegenden Fehler in den Voraussetzungen des Beweises. Ihre Kritik bleibt aber weitgehend unbeachtet und die Erkenntnis der Lückenhaftigkeit von von Neumanns Beweis setzt sich erst ab 1966 durch mit der Arbeit von John Stewart Bell, der ähnlich argumentiert wie Hermann.

Der Grund dafür, dass man Hermann kaum Beachtung schenkt, wird auf verschiedene Ursachen zurückgeführt, darunter der obskure Ort der Veröffentlichung, ihr Hintergrund als Philosophin (und ihre Schlussfolgerung, dass an dieser Stelle eine philosophische Analyse adäquat sei), die große Reputation von John von Neumann und der Tatsache, dass den Vertretern der orthodoxen Kopenhagener Interpretation der Quantenmechanik die Widerlegung gut zupass kommt.

Ab 1935/36. Im Zusammenhang mit der Verfolgungswelle der ISK-Gruppen sieht auch sie sich zur Emigration gezwungen. Sie geht zunächst nach Dänemark, wo Minna Specht eine Exilschule für Kinder des Landerziehungsheims Walkemühle, das 1933 von den Nationalsozialisten 1933 geschlossen worden ist, eingerichtet hat.

1936. Sie erhält für ihre Arbeit „Welche Konsequenzen haben die Quantentheorie und die Feldtheorie der modernen Physik für die Theorie der Erkenntnis?“ den Preis der Avenarius-Stiftung in Leipzig.

1937. Sie geht nach England, schließt eine Scheinehe mit Edward Henry (Scheidung 1946) und erwirbt die englische Staatsangehörigkeit.

In England ist sie führendes Mitglied der Londoner ISK-Gruppe, arbeitet an dem ISK-Organ Sozialistische Warte mit, beteiligt sich an der programmatischen Diskussion über den demokratischen Neuaufbau Deutschlands und gehört dem im März 1941 geschaffenen Exekutivkomitee der Union deutscher sozialistischer Organisationen in Großbritannien an, zu der sich Sozialdemokraten und die sozialistischen Gruppen Neu Beginnen, Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) und Internationaler Sozialistischer Kampfbund (ISK) zusammengeschlossen haben.

1946. Nach dem Krieg kehrt Grete Henry-Hermann nach Deutschland zurück.

1947 bis 1950. Sie leitet den Aufbau der Pädagogischen Hochschule Bremen (PH) und gibt dann die Leitung an Hinrich Wulff ab.

Ab 1947. Henry-Hermann engagiert sich in der bildungspolitischen Arbeit der SPD und der Gewerkschaften, ist Leiterin der pädagogischen Hauptstelle der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

1950 bis 1966. Sie ist stellvertretende Leiterin der PH und Professorin für Philosophie und Physik.

1953 bis 1965. Sie gehört dem Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen an.

1961 bis 1978. Sie ist sie Vorsitzende der von Nelson gegründeten und nach dem Krieg wiedereingerichteten Philosophisch-Politischen Akademie, die Richtlinien für die Zukunftsentwicklung des Schulwesens entwirft.

1973. Die PH wird in die Universität Bremen integriert.

1975. Sie gibt die Schriften von Nelson heraus.

15. April 1984. Grete Hermann stirbt in Bremen.

Bilder aus Wikimedia Commons
Bremen um 1900, Lizenz: Public Domain, Urheber: unbekannt

Quellen