Mittwoch, 26. Dezember 2018

Sahra Wagenknecht

Sahra Wagenknecht
Die deutsche Politikerin, Volkswirtin und Publizistin Sahra Wagenknecht (amtlich zunächst Sarah Wagenknecht) wurde am 16. Juli 1969  in Jena, Bezirk Gera in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) geboren.

Sie gehört der politischen Partei Die Linke an.

Wagenknecht kritisierte die Kompromisse der Partei bei den Regierungsbeteiligungen in den Ländern wie z. B. das Kürzen sozialer Leistungen und die Privatisierungen in Berlin. Die Regierungsbeteiligungen der Partei und ein „Schmusekurs gegenüber Rot-Grün“ werden von ihr aufgrund der „tiefen politischen Differenz“ mit der SPD bzw. Rot-Grün abgelehnt. Wagenknecht gehörte lange Zeit zur Antikapitalistischen Linken und zur Kommunistischen Plattform, wo sie auch Mitglied im Bundeskoordinierungsrat war. Seit Februar 2010 ruht ihre Mitgliedschaft in dieser Parteiströmung.

Wagenknecht forderte im Jahr 2000 eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. In einem Artikel des Ressorts „Lebensart“ von ZEIT-online protokollierte Marc Kayser einen „Traum“ Wagenknechts von einer Begegnung mit einem Zeitreisenden, der Grundzüge einer „anderen Gesellschaft“ beschreibt. Eine Rückkehr zum Sozialismus der DDR lehnt Wagenknecht jedoch ab. Nach ihrer Ansicht sollen Leistungen der Daseinsvorsorge wie Wohnen, Bildung, Gesundheit, Wasser- und Energieversorgung, Banken und Schlüsselindustrien durch die öffentliche Hand getragen werden, um „das Diktat der Rendite und der Aktienkurse“ zu überwinden. Wagenknecht sieht auf der Basis des Grundgesetzes, besonders Artikel 14, Abs. 2 und 3 und Artikel 15 auch Möglichkeiten für eine andere Wirtschaftsordnung jenseits des Kapitalismus.

Gegenüber der Wirtschaftspolitik der Staaten Kuba und Venezuela zeigte Wagenknecht Verständnis. Über eine Presseerklärung im Jahr 2006 ließ sie mitteilen, „dass die andauernde Existenz des kubanischen Systems einen Hoffnungsschimmer für diejenigen in der sogenannten Dritten Welt bedeutet, die die Verlierer einer markt- und profitorientierten globalisierten Welt sind“. Ebenso verteidigte sie 2008 die vom venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez beschlossene Verstaatlichung der Ölförderanlagen des US-Konzerns ExxonMobil.

In Spiegel Online (2012) nannte Christian Rickens Wagenknechts Lösungsvorschlag zur Finanzkrise und Eurokrise „in seinem Kern erzliberal“, er enthalte ein „paar ziemlich schlaue Ansätze“. Tatsächlich beruft sich Wagenknecht auf Vordenker des Ordoliberalismus, deren Ideen sonst eher in der FDP vertreten werden. Wagenknecht schlägt in der 2012 erschienenen Neuausgabe ihres Buches Freiheit statt Kapitalismus einen Schuldenschnitt und gewisse darauf folgende Maßnahmen vor, um die Euro-Krise zu beenden, gleichzeitig Wirtschaftswachstum zu generieren und die Finanzmärkte zu regulieren:

„Die EU-Staaten sollten beschließen, dass alle Schulden oberhalb einer bestimmten Grenze nicht mehr zurückgezahlt werden.“ Wagenknecht schlägt 60 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung als Grenze vor.

Der Schuldenschnitt führe zu einer Pleite vieler europäischer Banken und Versicherungen. Diese Pleite sei gerechtfertigt, denn „Risiko und Haftung hängen in einer Marktwirtschaft nun einmal zusammen.“

Die Politik solle auf diese Pleiten der Finanzindustrie nach Wagenknecht folgendermaßen reagieren:

Der Staat versorgt die Banken mit frischem Eigenkapital und solle jene Teile der Banken weiterführen, die für eine Volkswirtschaft relevant sind: (a) Das Geschäft mit Kundeneinlagen und (b) Die Kreditvergabe an die Wirtschaft. Damit werde eine Rezession verhindert. Das Investmentbanking der jeweiligen Banken solle jedoch in großen Teilen abgewickelt werden.

Der Staat bürgt für Spareinlagen und Lebensversicherungen bis zu einer Höhe von einer Million Euro pro Person.

Die Euro-Staaten erhalten bis zu einer Defizit-Obergrenze von etwa 4 Prozent der Wirtschaftsleistung pro Jahr und einer noch festzulegenden maximalen Gesamtverschuldung direkt von der Europäischen Zentralbank (EZB) Kredite, so dass sie nicht mehr vom Kapitalmarkt abgeschnitten sind.

Die EZB bleibt weiterhin unabhängig.

Banken sollen Kredite überwiegend aus den Spareinlagen ihrer Kunden gewähren.

Wagenknecht fordert „eine soziale Absicherung, die die Menschenwürde garantiert“. Dafür sollen „die Hartz-IV-Regelsätze [für 2017] auf 560 Euro monatlich erhöht und demütigende Drangsalierungen abgeschafft werden“. Die aktuellen Zumutbarkeitsregeln seien nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. „Das Hartz-System [müsse] überwunden werden, um nicht noch mehr Menschen einem Teufelskreis aus Entrechtung und Verarmung auszusetzen.“ Eine „ordentliche Arbeitslosenversicherung“ müsse so lange vor dem sozialen Absturz schützen, „bis der Betreffende einen neuen Arbeitsplatz gefunden hat“.

Die Riester-Rente betrachtet sie als gescheitert. Das sei zwar weithin Konsens, doch es fehle „der politische Mut, sie abzuwickeln und dafür die gesetzliche Rente zu stärken“. Sie fordert, das Rentenniveau wieder auf 53 % zu erhöhen und das Renteneintrittsalter wieder auf 65 Jahre zu senken. Zur Finanzierung sollen auch Beamte und Selbständige in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Die Rentenversicherung Österreichs gilt ihr als Beispiel einer möglichen Alternative zur Lösung der Bundesrepublik Deutschland.

Wagenknecht ist gegen die Forderung vieler Mitglieder der Linkspartei nach offenen Grenzen. Dies nutze ihrer Meinung nach nur den Eliten in den Industrieländern, die durch eine dadurch zunehmende Arbeitsmigration von „Dumpinglöhnen“ profitierten. Eine große Mehrheit würde davon nicht profitieren und sollte vor derartigen Niedriglöhnen geschützt werden. Auch den Ländern, in denen es zu Abwanderung kommt, würde dies schaden: „Denn es sind meist Menschen mit besserer Ausbildung aus der Mittelschicht, die abwandern.“

Neben ihrer Parteimitgliedschaft ist sie u. a. Mitglied der Gewerkschaft ver.di.

Im Mai 1997 heiratete Wagenknecht Ralph-Thomas Niemeyer. Am 12. November 2011 erklärte der ehemalige SPD-Politiker und spätere Partei- und Fraktionsvorsitzende der Linken Oskar Lafontaine, er und Wagenknecht seien „eng befreundet“ – beide Politiker lebten zu diesem Zeitpunkt bereits getrennt von ihren Ehepartnern. Seit Juni 2012 wohnt sie zusammen mit Oskar Lafontaine im saarländischen Merzig nahe der Grenze zu Frankreich. Die Ehe mit Niemeyer wurde im März 2013 geschieden. Seit dem 22. Dezember 2014 sind Lafontaine und Wagenknecht miteinander verheiratet.

Leben

16. Juli 1969. Sahrah Wagenknecht wird in Jena, Bezirk Gera, DDR als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter geboren.

Der Vater lernte ihre in der DDR lebende Mutter als West-Berliner Student kennen. Seit ihrem Kleinkindalter gilt ihr Vater nach einer Reise in den Iran als verschollen.

Ihre Mutter ist nach Wagenknechts Angaben gelernte Kunsthändlerin und arbeitet für den staatlichen Kunsthandel. Wagenknecht wächst zunächst bei ihren Großeltern in einem Dorf bei Jena auf. Mit Schulbeginn zieht sie zu ihrer Mutter nach Ost-Berlin.

Während ihrer Schulzeit wird sie Mitglied der Freien Deutschen Jugend (FDJ).

1988. Sie schließt die Erweiterte Oberschule (EOS) „Albert Einstein“ in Berlin-Marzahn mit dem Abitur ab. Die in der DDR übliche militärische Ausbildung für Schüler empfindet sie als extrem belastend: Sie kann nichts mehr essen, was ihr von den Behörden als politischer Hungerstreik ausgelegt wird. Als repressive Reaktion darauf darf sie in der DDR nicht studieren. Als Begründung wird genannt, sie sei „nicht genügend aufgeschlossen […] fürs Kollektiv“. Ihr wird eine Arbeitsstelle als Sekretärin zugewiesen. Diese kündigt sie allerdings nach drei Monaten, was für DDR-Verhältnisse äußerst ungewöhnlich ist. Sie erhält fortan keinerlei staatliche Unterstützung mehr und bestritt ihren Lebensunterhalt mit dem Erteilen von Nachhilfestunden

Frühsommer 1989. Wagenknecht tritt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) bei, nach eigenen Angaben, um den in der Sackgasse steckenden Sozialismus umzugestalten und Opportunisten entgegenzutreten.

Sommersemester 1990. Nach der Wende studiert sie Philosophie und Neuere Deutsche Literatur an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr Studium in Berlin bricht sie nach Angaben der Wirtschaftswoche ab, da sie „an der Ostberliner Humboldt-Universität kein Verständnis mehr für ihr Forschungsziel findet“. Danach immatrikuliert sie sich an der niederländischen Reichsuniversität Groningen (RUG) für den Studiengang Philosophie. Nach eigenen Angaben hatte sie zuvor alle Scheine bis auf die Abschlussarbeit in Berlin gemacht

Ab 1991. Wagenknecht ist Mitglied des Parteivorstandes der politischen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und übernimmt in den folgenden Jahren maßgebliche Funktionen in verschiedenen Vorstandsgremien. 

1991 bis 2010. Sie ist Mitglied der Leitung der vom Bundesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Kommunistischen Plattform (KPF), eines Zusammenschlusses orthodox-kommunistisch orientierter Mitglieder und Sympathisanten innerhalb der Partei, und bleibt dies auch nach der Verschmelzung von WASG und PDS. Die von Wagenknecht als Sprecherin der KPF öffentlich vertretene „positive Haltung zum Stalinismusmodell“ bewertet der Parteivorstand als unvereinbar mit den Positionen der PDS. Wagenknecht ist das einzige Vorstandsmitglied, das der Vorstandserklärung zum Mauerbau die Zustimmung versagt, weil die überfällige Mauer endlich das lästige Einwirken des Klassenfeindes beendet habe.

1992. Wagenknecht beurteilt in ihrem Artikel Marxismus und Opportunismus die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetunion als positives Element der Herrschaft Stalins, insofern sich hier die „Entwicklung eines um Jahrhunderte zurückgebliebenen Landes in eine moderne Großmacht während eines weltgeschichtlich einzigartig kurzen Zeitraums“ vollzog. Damit seien Elend, Hunger, Analphabetismus, halbfeudale Abhängigkeiten und schärfste kapitalistische Ausbeutung überwunden worden.

1995 bis 2000. Sie muss für fünf Jahre aus dem Vorstand der PDS ausscheiden, weil Gregor Gysi sie für so untragbar hält, dass er mit seinem Rückzug droht.

September 1996. Sie erwirbt in Groningen den akademischen Grad Magistra Artium (M. A.) mit einer Arbeit bei Hans Heinz Holz über die Hegelrezeption des jungen Marx. Diese Untersuchung wird 1997 als Buch veröffentlicht.

27. September 1998. Zur Bundestagswahl tritt Wagenknecht in Dortmund als Direktkandidatin der PDS an. Sie erringt in ihrem Wahlkreis 3,25 Prozent der Erst- und 2,2 Prozent der Zweitstimmen. 

2000. Sie wird erneut in den Parteivorstand der PDS gewählt.

13. Juni 2004. Bei der Europawahl in Deutschland gelingt Wagenknecht der Einzug ins Europaparlament. Vorausgegangen ist eine parteiinterne Kampfabstimmung.

2005. Nach eigenen Angaben beginnt sie ihre Dissertation zum Thema The Limits of Choice. Saving Decisions and Basic Needs in Developed Countries („Die Grenzen der Wahlfreiheit. Sparentscheidungen und Grundbedürfnisse in entwickelten Ländern“) im Fach Volkswirtschaftslehre. Im August 2012 reicht sie ihre Arbeit an der Technischen Universität Chemnitz bei dem Professor für Mikroökonomie Fritz Helmedag ein, der unter anderem auch Vertrauensdozent der Rosa-Luxemburg-Stiftung ist. Zwei Monate später besteht sie ihre mündliche Prüfung zum Dr. rer. pol. mit der Gesamtbewertung magna cum laude. Im Oktober 2013 veröffentlicht der Campus-Verlag ihre Doktorarbeit über das Verhältnis von Einkommen und Rücklagen.

Juni 2005. Durch Umbenennung entsteht aus der SED-Nachfolgepartei PDS die Linkspartei.PDS.

März 2006. Sie gehört zu den Initiatoren der Antikapitalistischen Linken, einer gemeinsamen Gruppierung aus Mitgliedern der politischen Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative (WASG) und Linkspartei. 

16. Juni 2007. Die SPD-Abspaltung WASG und die Linkspartei.PDS verschmelzen zur politischen Partei Die Linke. Wagenknecht wird Mitglied des Parteivorstandes.

Ihre Haltung zum Stalinismus wird innerhalb der Linkspartei teilweise als zu unkritisch empfunden und unter anderen von Gregor Gysi und dem Bundestagsabgeordneten Michael Leutert kritisiert.

Ab Oktober 2007. Sie ist Mitglied der Programmkommission der Partei Die Linke.

Ihren innerparteilichen Vorstoß, eine Kandidatur für den Vize-Parteivorsitz der Linken beim ersten Parteitag der fusionierten Partei zu erwägen, beendet sie nach der Ablehnung durch den Parteivorsitzenden Lothar Bisky sowie durch den Fraktionsvorsitzenden der Linken im Deutschen Bundestag Gregor Gysi und erklärt in einer Pressemitteilung, nicht als stellvertretende Vorsitzende zu kandidieren.

3. Oktober 2007. Eine zum Tag der Deutschen Einheit im Sächsischen Landtag von Joachim Gauck gehaltene Rede wird durch die Fraktion der Partei Die Linke boykottiert. Im Zuge seiner Kandidatur als Bundespräsident 2010 spricht sich Gauck für die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz aus und betont, er könne „noch immer keine Bindung der Linkspartei an das europäische Demokratieprojekt erkennen“. Gauck begrüßt die Distanzierung der SPD von der Linken im Anschluss an seine Präsidentschaftskandidatur von 2010. Er erkenne bei den Radikalen der Partei Die Linke – Gauck nennt hierzu Ulla Jelpke und Sahra Wagenknecht – „viele Bezüge zu altem, bolschewistischem Gedankengut. Das sind teilweise nicht nur marxistische, sondern auch leninistische Anklänge“.

2008. Michael Leutert spricht sich gegen ihre Kandidatur als stellvertretende Parteichefin aus, weil sie sich zu wenig vom Stalinismus distanziere.

Gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Kommunistischen Plattform spricht sich Wagenknecht in einer Stellungnahme gegen ein allgemeines Gedenken in Form eines Gedenksteins auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde mit der Aufschrift „Den Opfern des Stalinismus“ aus, da sich unter diesen auch Faschisten befunden hätten, drückt aber ihr Mitgefühl mit den unschuldigen Toten aus.

Mai 2008.  Sie wird auf dem ersten Parteitag der Linken  mit 70 Prozent der Stimmen erneut in den Parteivorstand gewählt. 

Noch im selben Monat erklärt sie im Spiegel, dass sie den Begriff Diktatur für die DDR (die sie zuvor als „das friedfertigste und menschenfreundlichste Gemeinwesen, das sich die Deutschen im Gesamt ihrer Geschichte bisher geschaffen haben“ bezeichnet hat) für unangemessen halte.

2009. Wagenknecht selbst erklärt ihre umstrittenen Äußerungen zum Stalinismus von 1992 retrospektiv mit „Trotz und Wut über rechte Geschichtsverfälschung“ und distanziert sich von diesen, da sie „nicht minder einseitig waren als die Geschichtsschreibung des Mainstreams, nur mit umgekehrtem Vorzeichen“.

In einem weiteren Interview setzt sich Wagenknecht kritisch mit dem „repressiven politischen System der DDR“ auseinander, lehnt aber eine Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat ab, weil dies darauf hinauslaufe, sie auf eine Ebene mit der NS-Diktatur zu stellen. Die DDR sei kein demokratischer Staat gewesen, jedoch sei auch im heutigen kapitalistischen System keine echte Demokratie möglich.

Juli 2009. Sie scheidet aus dem Europaparlament aus.

18. März 2009. Sie wird vom Kreisverband der Linken für das Direktmandat bei der Bundestagswahl 2009 in Düsseldorf nominiert.

Vom Landesparteitag wird Wagenknecht auf Platz 5 der Landesliste in Nordrhein-Westfalen gewählt.

27. September 2009. Sie erhält bei der Bundestagswahl 9,7 Prozent der Erststimmen. Über die Landesliste zieht sie erstmals in den Bundestag ein.

Daraufhin ändert sie die amtliche Schreibung ihres Vornamens entsprechend der persischen Schreibweise (زهرا) ab, wie es der ursprünglichen Namensgebung der Eltern entspricht.

2. Februar 2010. Als der israelische Staatspräsident Schimon Peres am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus als Gast im Deutschen Bundestag spricht, erheben sich die Abgeordneten Christine Buchholz, Sevim Dağdelen und Wagenknecht zum Schlussapplaus nicht von ihren Sitzen. Sie werden deswegen öffentlich und parteiintern kritisiert, so erklärt der Berliner Landeschef der Linkspartei, Klaus Lederer, das Verhalten der Abgeordneten für „inakzeptabel“, Michael Leutert erklärt sie für „nicht wählbar“. Wagenknecht erklärt ihr Verhalten später:

„Zum Gedenken an die Opfer des Holocaust habe ich mich selbstverständlich von meinem Platz erhoben. Dass ich nach der Rede von Shimon Peres nicht an den stehenden Ovationen teilgenommen habe, liegt darin begründet, dass ich einem Staatsmann, der selbst für Krieg mitverantwortlich ist, einen solchen Respekt nicht zollen kann.“

Im Jahr 2012 in einem Radio-Interview darauf angesprochen, erklärt sie nochmals:

„Wir haben uns alle erhoben, alle Abgeordneten der Linken, als es darum ging, der Opfer des Holocaust zu gedenken, und das wäre ja auch eine Unverschämtheit gewesen, zu diesem Anlass sitzen zu bleiben. Ich bin sitzen geblieben am Ende der Rede von Peres, weil Peres diese Rede – was ich sehr bedauerlich fand – eben auch genutzt hat, nicht nur zum Gedenken, sondern eben auch um aktuelle Nahostpolitik anzusprechen und teilweise dort auch Passagen drin waren, die schon als Kriegsvorbereitung in Richtung Iran interpretiert werden mussten. Und da muss ich sagen, bei einer solchen Rede kann ich am Ende nicht aufstehen, weil ich bin eine Kriegsgegnerin, ich lehne Kriege ab, und ich hoffe jetzt auch, dass es keinen Krieg im Nahen Osten geben wird.“

April 2010. In einem Interview mit der taz erklärt sie ihre früheren Aussagen aus den frühen 90er Jahren als „Trotzreaktion auf dieses gesellschaftliche Klima, in dem ein Schauermärchen über die DDR das nächste jagte.“ Das ökonomische System der DDR sei „überzentralisiert“ gewesen und die politische Repression sei „in völligem Kontrast zu den sozialistischen Idealen“ gestanden.

Anfang Mai 2010. Auf Vorschlag Gysis und des Parteivorstands wird Wagenknecht auf dem Bundesparteitag der Linken  mit 75,3 Prozent der Stimmen zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.


Juli 2011. Sie hält in Karlsruhe den Vortrag Leben wir in einer Leistungsgesellschaft?


8. November 2011. Sie wird mit 61,8 Prozent der Stimmen zur 1. Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Januar 2012. Es wird bekannt, dass Sahra Wagenknecht als eine von 27 Bundestagsabgeordneten der Linken unter Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz steht.

August 2012 bis August 2014. Sie verfasst in der Tageszeitung Neues Deutschland regelmäßig Artikel in der Kolumne Der Krisenstab.

10. Februar 2015. Kurz nach der örtlichen Pegida-Demonstration „Dügida“ beschädigen Unbekannte die Glasfront des Düsseldorfer Büros von Sahra Wagenknecht.

6. März 2015. Sie teilt in einer persönlichen Erklärung mit, im Herbst 2015 nicht zur Wahl für den Posten der Fraktionsvorsitzenden anzutreten.

Anfang Juni 2015. Wagenknecht unterzeichnet zusammen mit 150 weiteren Prominenten aus Kultur und Politik einen offenen Brief an die Bundeskanzlerin, in dem die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften gegenüber der zweigeschlechtlichen Ehe gefordert wird.

7. Juni 2015. Der amtierende Fraktionsvorsitzende Gregor Gysi kündigt auf dem Bundesparteitag der Linken in Bielefeld seinen Rückzug von diesem Amt zum Herbst des Jahres an. Daraufhin erklärt sich Wagenknecht wenige Tage später doch bereit, gemeinsam mit Dietmar Bartsch in einer Doppelspitze Gysis Nachfolge antreten zu wollen.

13. Oktober 2015. Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch lösen Gregor Gysi im Fraktionsvorsitz ab. Sie fungieren gemeinsam als Oppositionsführer in der 18. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages.

Ende November 2015. In der Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr in Syrien merkt Sahra Wagenknecht (Die Linke)  an: „Es ist eine Schande, dass bis zum heutigen Tag und trotz zahlreicher Ankündigungen der Türkei die Schließung der Grenze immer noch aussteht und der IS so weiterhin ungehindert Nachschub an Dschihadisten und Waffen erhält.“

31. Dezember 2015/1. Januar  2016. In der Silvesternacht kommt es in Köln zu sexuellen Übergriffen. Daraufhin äußert Wagenknecht: „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“ und wird dafür in ihrer Partei und Fraktion nahezu einhellig kritisiert: Das Recht auf Asyl sei nicht verwirkbar. Lob kommt hingegen von der rechtsextremen politischen Partei Alternative für Deutschland (AfD).

Januar 2016. Wagenknecht weist in der sogenannten "Flüchtlingskrise" auf „Kapazitätsgrenzen“ und „Grenzen der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung“ hin, wofür sie in ihrer Partei und darüber hinaus scharf kritisiert wird.

März 2016. Sie äußert sich zur sogenannten Flüchtlingskrise:  „Dass es Grenzen der Aufnahmebereitschaft in der Bevölkerung gibt, ist eine Tatsache, und dass Kapazitäten nicht unbegrenzt sind, auch. Das festzustellen, ist weder links noch rechts, sondern eine Banalität.“

Weiter kritisiert sie die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin Angela Merkel als „planlos“, sie habe in Deutschland zu einem „völligen Staatsversagen“ geführt, „auf sozialem Gebiet ebenso wie auf dem der inneren Sicherheit“. Sie fordert eine stärkere Unterstützung des Bundes für die Länder und Kommunen, die den Großteil der Kosten für Flüchtlinge selbst tragen würden und an anderer Stelle kürzen müssten. Wagenknecht warnt davor, „die Armen gegen die Ärmsten auszuspielen“, und nennt als Beispiel drohende Nahrungsengpässe bei der Tafel.

Wagenknecht bezeichnet die Fluchtursachenbekämpfung der Bundesregierung als „unglaubwürdig“, da Deutschland Waffen in Spannungsgebiete exportiere und Drohneneinsätze der USA „mit logistischer Unterstützung aus Deutschland“ geflogen würden. Die Außenpolitik von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) in Form einer Unterstützung der „Ölkriege der USA und ihrer Verbündeten“ seien der Grund für die Existenz und Stärke des Islamischen Staates.

28. Mai 2016. Auf dem Parteitag der Linken wird Wagenknecht von Aktivisten der „Antifaschistischen Initiative Torten für Menschenfeinde“ mit einer Torte beworfen. Die Aktivisten rechtfertigen ihre Aktion damit, dass Wagenknecht wie die AfD „den ‚Volkszorn‘ in politische Forderungen“ übersetze. Ihre Parteikollegen verurteilen den Angriff und weisen die Anschuldigungen zurück. Gegen die am Tortenwurf beteiligten Aktivisten wird Anzeige erstattet

Sommer 2016. Nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach stellt Wagenknecht einen Zusammenhang zur mangelnden Kontrolle bei der Aufnahme von Flüchtlingen her und positioniert sich erneut gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Für ihre Äußerungen erhält sie erneut teils heftige Kritik aus der eigenen Partei. Der Abgeordnete Jan van Aken wirft Wagenknecht vor, mit falschen Fakten zu argumentieren. Wagenknechts Äußerungen seien nicht mit ihrem Amt als Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion im Bundestag vereinbar. Er fordert ihren Rücktritt. Auch nachdem Wagenknecht ihre Thesen nach erster Kritik relativiert, reagiert ihre Partei mit deutlicher Ablehnung. Ihre Bekundungen seien laut Bernd Riexinger „natürlich nicht akzeptabel“. Sie werden in einem Teil der Presse mit denen der AfD verglichen.

Anfang Oktober 2016. Wagenknecht erntet Kritik für ihr gemeinsames Interview mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry, bei dem sich – trotz Abgrenzungsversuchen Wagenknechts – Übereinstimmungen in der Europa- und Flüchtlingspolitik gezeigt hätten. Auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung als Veranstalterin schreibt, die beiden seien „oft näher beieinander als gedacht“. Der taz-Redakteurin Ulrike Herrmann, die es als „rechtes Konsensgespräch“ bezeichnet, wird daraufhin von Wagenknechts Mann Oskar Lafontaine „rechter Schmieren-Journalismus“ einer „neoliberalen Kampfpresse“ vorgeworfen. CDU-Generalsekretär Peter Tauber bezeichnet aufgrund des Interviews Sahra Wagenknecht und Frauke Petry als „das doppelte Lottchen des Populismus in Deutschland“.

19. Dezember 2016. Anis Amri begeht den Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt. Dazu bringt er einen Sattelzug in seine Gewalt und steuert ihn in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin. Bei diesem Anschlag sterben zwölf Menschen und 55 weitere werden zum Teil schwer verletzt.

Januar 2017. Wagenknecht gibt in einem umstrittenen stern-Interview Angela Merkel durch ihre Grenzöffnung für Flüchtlinge [die nie stattgefunden hat. Stichwort: "Schengener Abkommen"] sowie durch den Sparkurs bei der Polizei eine „Mitverantwortung“ an dem Terroranschlag von Berlin. Beobachter attestieren ihr daraufhin zum wiederholten Male eine ideologische Nähe zur AfD.

9. Juli 2017. Wagenknecht fordert eine Abschaffung der G20-Gipfel. Die Ausschreitungen am Rande des Gipfels verurteilt sie als kriminell:

"Im Grunde kann die Lehre nur sein, in Zukunft auf solche Show-Veranstaltungen, die sinnlos Steuergeld verschlingen und keine Ergebnisse bringen, ganz zu verzichten ... Diese Gewalttäter sind keine Linken, das sind Kriminelle". Mit einer berechtigten Kritik an einer ungerechten Weltordnung hätten ihre Aktionen nichts zu tun. "Leute, die durch Straßen marodieren, Autos anzünden, Anwohner angreifen und Polizisten verletzten, sind keine Linken, sondern kriminelle Gewalttäter."

Wagenknecht macht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) im Zusammenhang mit den Krawallen schwere Vorwürfe. "Letztlich hat Frau Merkel die Entscheidung zu verantworten, den Gipfel nach Deutschland und nach Hamburg geholt zu haben, was sich für die Anwohner in den entsprechenden Hamburger Bezirken als Katastrophe erwiesen hat". "Offenbar wollte sie schöne Bilder für ihren Wahlkampf haben. Am Ende sind es keinen schönen, sondern ziemlich düstere Bilder geworden."

Scholz habe die Sicherheitslage "völlig falsch" eingeschätzt. "Auch das ist natürlich ein gravierendes Versagen", sagte Wagenknecht. Der SPD-Politiker hat vor dem Gipfel die Herausforderung für die Sicherheitskräfte mit den jährlichen Hafengeburtstagen in Hamburg verglichen.

Die inhaltlichen Ergebnisse des Gipfels bezeichnet Wagenknecht als "ausgesprochen mager". Das einzig Sinnvolle seien die bilateralen Treffen gewesen, wie das zwischen den Präsidenten der USA und Russlands, Donald Trump und Wladimir Putin. "Nur dafür braucht man keine G20-Gipfel, die hunderte Millionen kosten und eine Stadt wie Hamburg drei Tage lang in einen Ausnahmezustand versetzen."

Wagenknecht plädiert dafür, Beratungen über globale Probleme in die Vereinten Nationen in New York zu verlagern. "Die ist dafür gegründet worden und sie verdient es, wieder aufgewertet und gestärkt zu werden.

24. September 2017. Bei der Bundestagswahl verliert die SPD 5,2 Prozent der Stimmen und erreicht nur noch 20,5 Prozent. Ein Rekordtief seit 1949. Die CDU verliert 8,6 Prozent und erreicht nur noch 32,9 Prozent. Neu in den Bundestag kommt die AfD mit 12,6 Prozent. Die Linke bekommt 9,2 Prozent. Die SEHR GUTE Die PARTEI erreicht 0,97 Prozent.

Die Linksfraktion hat die Oppositionsführerschaft damit an die AfD verloren, sie wird aber weiter von Sarah Wagenknecht und Dietmar Bartsch angeführt.

14. Januar 2018. Gemeinsam mit Oskar Lafontaine greift Wagenknecht den Vorschlag zur Gründung einer linken Sammlungsbewegung auf, einer überparteilichen Initiative, die die zerstreute Linke zusammenführen und ihr eine neue gesellschaftspolitische Dominanz verschaffen soll.

3. Juni 2018. Richard Grenell (Botschafter der USA in Deutschland) sagt in einem am Sonntag veröffentlichten Gespräch mit dem rechtsextremen Internetportal Breitbart in London: „Ich möchte andere Konservative in Europa, andere Anführer, unbedingt stärken.“ Nach seiner Wahrnehmung seien Konservative im Aufwind angesichts der „gescheiterten Politik“ der Linken. Es gebe „eine Menge Arbeit“.

Eine erfolgversprechende Strategie sei es, konservative Themen in den Mittelpunkt zu rücken, die das Leben der einfachen arbeitenden Menschen verbesserten. Grenell spricht in diesem Zusammenhang von der „schweigenden Mehrheit“. Die „Unterstützung ist massiv“ für Kandidaten, die sich „konsistent konservativ“ zu Themen wie Migration, Steuern und Bürokratie äußern könnten.

In dem „Breitbart“-Interview wird Grenell zudem mit kritischen Aussagen zum Familiennachzug von Flüchtlingen in Deutschland und zum Zustand der Bundeswehr zitiert. Darüber hinaus lobt Grenell Österreichs konservativen Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er empfinde „großen Respekt und Bewunderung“ für Kurz, dessen ÖVP in Wien mit der rechtspopulistischen FPÖ regiert. Er halte Kurz für einen „Rockstar“. „Ich bin ein großer Fan.“

Mit seinen Aussagen Grenell Irritationen aus. Das Auswärtige Amt verlangt detailliert Auskunft.

„Grenell benimmt sich nicht wie ein Diplomat, sondern wie ein rechtsextremer Kolonialoffizier“, sagt der frühere SPD-Chef Martin Schulz zu dessen Interview. Schulz, der vor seiner Tätigkeit in Berlin fünf Jahre Präsident des Europaparlaments war, betont: „Botschafter sind Vertreter ihrer Staaten und nicht von politischen Bewegungen.“ Es sei aber nicht erstaunlich, dass Donald Trump ihn ausgesucht habe.

Noch deutlicher wird Sahra Wagenknecht, Bundestagsfraktionsvorsitzende der Linkspartei. Sie sagt: „Wer wie US-Botschafter Richard Grenell meint nach Gutsherrenart bestimmen zu können, wer in Europa regiert, der kann nicht länger als Diplomat in Deutschland bleiben.“ Wenn die Bundesregierung die demokratische Souveränität des Landes ernst nehme, „sollte sie Grenell nicht zum Kaffeeplausch einladen, sondern umgehend ausweisen."

4. August 2018. Startdatum der Internetseite der Bewegung #Aufstehen.

Anfang September 2018. Die Bewegung #Aufstehen beginnt offiziell.

4. September 2018. Nach den Ausschreitungen von Chemnitz nützt die Bewegung #Aufstehen die Chance nicht, sich gegen Rechts zu positionieren. 

18. September 2018. Frauke Petry bietet Sahra Wagenknecht Hilfe bei ihrer Initiative #Aufstehen an. In einem Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland erklärt sie, dass sie das „alte Links-rechts-Schema“ wieder zurechtrücken wolle.

27. November 2018. Eine deutliche Mehrheit der Linksfraktion spricht sich für den Uno-Migrationspakt aus und stellt sich damit gegen die eigene Vorsitzende.

Kritiker sehen darin den erneuten Versuch Wagenknechts, mit provokanten Äußerungen Wähler vom rechten Rand zu gewinnen. Ex-Parteichef Klaus Ernst erklärt in der Fraktionssitzung, er wolle nicht in einer Linie mit Donald Trump und Viktor Orbán stehen.

24. Dezember 2018. Wagenknecht stellt sich in Anspielung auf die teilweise gewaltsamen Demonstrationen in Frankreich mit einer gelben Warnweste vor das Kanzleramt und fordert ähnliche Proteste auch in Deutschland.

In einem Tweet heißt es: „Leider gibt es viele Menschen, die an #Weihnachten einsam und erschöpft sind. Lasst uns auch 2019 Druck machen gegen die Politik der Reichen. Lasst uns soziale Proteste auf die Straße und vor das Kanzleramt bringen. Lasst uns #Aufstehen wie die #Gelbwesten in Frankreich!“

Bilder aus Wikimedia Commons
Sahra Wagenknecht, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany, Urheber: Sven Teschke

Quellen
04.06.2018, Welt, RICHARD GRENELL, Wagenknecht fordert „umgehende“ Ausweisung von US-Botschafter