Donnerstag, 15. November 2018

Haus der Identitären Bewegung in Halle (Saale)

Universitätsplatz in Halle/Saale
Das Haus der Identitären Bewegung in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 in Halle (Saale) ist ein Zentrum und Wohnprojekt der Identitären Bewegung in Halle an der Saale.

Es dient außerdem als Abgeordnetenbüro des AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider.

Gegenüber dem Haus im Steintor-Viertel liegt der geisteswissenschaftliche Steintorcampus der Universität Halle-Wittenberg, wo die geistes- und sozialwissenschaftlichen Institute der Universität beheimatet sind. Es hat vier Stockwerke mit Platz für mehrere WGs, geplant sind ein Sportraum und ein kleines Studio. Vor der Fassade hängt bereits ein Banner: "Halle ist nicht Hamburg. Patriotismus statt Linksextremismus". In Zukunft sollen hier regelmäßig eigene Veranstaltungen stattfinden.

Als strategischer Kopf im Hintergrund gilt der Verleger Götz Kubitschek aus Schnellroda im Süden Sachsen-Anhalts. Führender Kopf der Hallenser Gruppe ist der verurteilte Rechtsextremist Mario Müller. Er ist Gründer und Anführer der Gruppe „Kontrakultur Halle“. Simon Kaupert ist ebenfalls bei Kontrakultur dabei.

„Kontrakultur“ ist laut Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt eine regionale Gliederung der Identitären Bewegung, gründete sich aber, bevor die Identitäre Bewegung in Deutschland Fuß zu fassen begann. Kontrakultur wird wie die Identitäre Bewegung in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz beobachtet. Müller ist Autor eines im Antaios Verlag von Götz Kubitschek erschienenen Buches mit dem Titel Kontrakultur und dem Logo der Identitären Bewegung auf dem Cover. Der frühere NPD-Politiker Michael Schäfer wurde ebenfalls als Mitarbeiter der Ein-Prozent-Initiative im Hallenser Hausprojekt präsentiert.

Auch eine Werbeagentur und die 2015 gegründete Initiative „Ein Prozent“ nutzen Räume in dem Haus. „Ein Prozent“ ist eine von Hans-Thomas Tillschneider gestartete Kampagne, die sich als „rechte NGO“ versteht. Sie bewirbt und finanziert Aktionen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Götz Kubitschek und Hans-Thomas Tillschneider arbeiteten bei der online-Initiative „Ein Prozent“ zusammen. Künftig soll auch ein Büro des Verlages von Kubitschek in das Hausprojekt verlegt werden.

Der Raum Halle entwickelte sich laut Der Freitag in den letzten Jahren zu einem Drehkreuz der neurechten Bewegung. Zahlreiche der etwa 20 Kontrakultur-Mitglieder waren früher in Neonazistrukturen tätig. Mit der ideologischen Zurüstung des Instituts für Staatspolitik (IfS), der Halle-Leobener Burschenschaft Germania (HLB) und einer „beispiellos direktmandatstarken AfD“ sieht der Beitrag Die Taktik geht auf aus der Zeitschrift analyse & kritik Halle als Art „Modellregion“ für die formelle und informelle Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen des neurechten Spektrums.

Auch David Begrich von der Arbeitsstelle Rechtsextremismus konzediert dem Hallenser Projekt einen „Modellcharakter“.

Für die  Identitäre Bewegung sei es laut Christoph D. Richter vom Deutschlandfunk derzeit das wichtigste Projekt im deutschsprachigen Raum. Das Haus wolle „eine Art Hipster-Club für die rechte Tinder-Generation sein“.

Nachbarn äußerten öffentlich ihren Unmut über das Hausprojekt. 120 Anwohner erklärten in einem offenen Brief, dass sie keine Nachbarschaft mit dessen Bewohnern wünschten. Sie schlossen sich zu einer Bürgerinitiative zusammen, die sich laut Deutschlandfunk ähnlich äußerte: „Wir wollen keine Rechtsextremen in unserer Nachbarschaft. Wer andere ausgrenzt, kann für sich keine gute Nachbarschaft beanspruchen.“

Ein Sprecher der Stadt Halle sagte dem MDR, die Stadtverwaltung sehe die Aktivitäten der Identitären in Halle „nicht gern“. Die IB habe sich hervorgetan „durch verschiedene Aktionen, die auch deutlich gemacht haben, dass sie an einem Zusammenleben aller Menschen in der Stadt kein Interesse haben.“

Wiederholt kam es zu militanten Aktionen gegen das Zentrum der Identitäre Bewegung. Das Haus wurde mehrfach mit Farbbeuteln beworfen und in einem Fall auch mit Buttersäure und Steinen. Parkende Autos von Anwohnern wurden beschädigt und Müllcontainer in Brand gesteckt. Die Polizei Sachsen-Anhalt ermittelte wegen Landfriedensbruch und Sachbeschädigung.

Bei mehreren Demonstrationen gegen das Haus als Zentrum der IB nahmen bis zu 700 Menschen teil.

Das Wohnprojekt der Identitärem Bewegung beschäftigt auch den Datenschutzbeauftragten von Sachsen-Anhalt. Das Anbringen von drei Überwachungskameras ermöglicht den Bewohnern die Überwachung des öffentlichen Raumes. Dies unterliegt strengen Regeln. Die Polizei Sachsen-Anhalt fertigte nach eigenen Angaben deswegen eine Ordnungswidrigkeitsanzeige.

Obwohl die politische Partei Alternative für Deutschland (AfD) einen Unvereinbarkeitsbeschluss gefasst hat, der jede Verbindung der Partei mit der Identitären Bewegung verbietet, hat der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider sein Abgeordnetenbüro Anfang September 2017 im Hallenser Haus der Identitären Bewegung eröffnet. Tillschneider selbst bestreitet, dass er mit seinem Einzug in das Haus gegen den Abgrenzungsbeschluss seiner Partei verstoße. Er sei Untermieter der Ein-Prozent-Initiative, sagte er der Mitteldeutschen Zeitung (MZ). Er fühle sich dem Hausprojekt stark verbunden. „Wir brauchen, gerade auch in der Nähe zu den Universitäten, Begegnungsorte einer Gegenkultur zum linksversifften Mainstream.“ sagte er der MZ.

AfD-Landesvorsitzender André Poggenburg sieht darin kein Problem und erklärt: „Ein Abgeordneter darf sich sein Büro suchen, wenn er denn ein Angebot bekommen hat. Das kann man schon voneinander trennen. Also man kann aber versuchen, es nicht voneinander trennen zu wollen. Aber man kann das schon voneinander trennen. Und Sie müssen davon ausgehen, vielleicht war eben die Bereitschaft des Hauseigentümers dort größer, als die Bereitschaft anderer, einem AfD-Abgeordneten dort ein Büro zu ermöglichen.“

Geschichte

2015. Nach Beobachtern aus Halle tritt die Identitäre Bewegung in der Stadt erstmals öffentlich in Erscheinung, als Mitglieder Flyer vor der Marktkirche verteilen. Dabei ist auch Mario Müller, Gründer und Anführer von Kontrakultur, ein einschlägig bekannter und verurteilter Neonazi, der „sich jetzt zur neurechten Elite ausbildet, ohne seine militante Seite abzulegen“.

11. März 2016. Bundesweit provoziert die Gruppe Aufmerksamkeit, als sie zwei Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt den Eingang zu einem Haus in Halle zumauert, in dem eine Probeabstimmung für Migranten stattfindet. Ziel des Bildungsangebotes ist es, die Feinheiten des deutschen Wahlsystems besser zu vermitteln und für die Stimmabgabe zu werben. Ein anderes Wahllokal hätten sie mit Ketten versperrt, erklärt Kontrakultur Halle. Auf ihrer Facebook-Präsenz veröffentlicht die Gruppe ein Bild der Aktion und einen Pressespiegel mit Links zu Medien, die über die Provokation berichten. Drei Monate nach der Aktion stellt die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen ein, da die Täter nicht hätten ermittelt werden können.

1. Januar 2017. Das Haus in der Adam-Kuckhoff-Straße 16, das laut LSA zusammen mit dem 404 m² großen Grundstück 330.000 Euro gekostet haben soll, gehört nun Helmut Englmann aus dem unterfränkischen Johannesberg in Bayern, Gründer der im hessischen Bad Nauheim angesiedelten Titurel-Stiftung. Diese fungiert als Förderinstrument des IfS. Andreas Lichert (AfD), der auch Vorsitzender des Vereins für Staatspolitik ist, wird als Ansprechpartner der Stiftung genannt. Nach Recherchen der Welt in den Grundbuchakten ist Lichert in einem Kaufvertrag vom 14. April 2016 als Bevollmächtigter des Käufers aufgetreten.

Frühjahr 2017. Mitglieder der Identitären Bewegung beziehen das Haus. Es dient als Zentrum der Aktivisten der Gruppe „Kontrakultur Halle“. Am Haus sind Überwachungskameras angebracht.

Juni 2017. In der Harz-Mensa in Halle erscheint eine fünfköpfige Gruppe der Identiären, die die Anwesenden beleidigt und bedroht.

6. Juni 2017. Das Hausprojekt der sogenannten Kontrakultur Halle wird offiziell auf den Seiten der Kampagne Ein Prozent für unser Land und der Zeitschrift Sezession angekündigt. Beide gehen auf den neurechten Verleger Götz Kubitschek zurück. Zunächst wird auf einen Standort des Projektes im Bundesland Sachsen verwiesen. Dessen Ziel sei es, neben dem Institut für Staatspolitik (IfS) in Schnellroda und der Bibliothek des Konservatismus in Berlin einen weiteren Anlaufpunkt für die Neue Rechte zu schaffen. In dem Haus soll es neben einer Büroetage ein Filmstudio, einen Veranstaltungssaal und einen Konferenzraum geben. Für Renovierung, Sicherheitsmaßnahmen und die laufenden Kosten wird in den Medien mit Spenden geworben.

Noch im selben Monat bedrohen und beleidigen sie zwei Studenten in einer Mensa. Als die Polizei eintrifft, stellt sie bei den Tätern Pfefferspray, Quarzhandschuhe und ein Messer sicher.

Juli 2017. In sozialen Netzwerken kursiert ein Handzettel des Hauses an die Anwohner. Hierin stellt sich das IB-Zentrum als „patriotisches Hausprojekt“ mit Freizeitveranstaltungen und Buchabenden vor. In dem Haus wird nach Aussagen der Bewohner ein „Kulturabend“ zusammen mit den sachsen-anhaltinischen AfD-Landtagsabgeordneten Hagen Kohl, Jan Wenzel Schmidt und Hans-Thomas Tillschneider veranstaltet.

August 2017. Andreas Lichert (AfD) bestreitet, dass er das Haus in Sachsen-Anhalt zur Nutzung für die Identitäre Bewegung gekauft habe:„Die ‚Identitäre Bewegung‘ ist weder Mieter noch Betreiber der Immobilie“.

September 2017. Hans-Thomas Tillschneider (AfD-Landtagsabgeordneter) zieht ebenfalls in das Haus in Halle ein.

Ende Oktober 2017. Es gibt einen massiven Angriff auf das Haus in Halle. Laut Polizei werfen etwa 20 bis 30 Vermummte mit Steinen, zünden Mülltonnen an und verbreiten Buttersäure im Eingangsbereich.

1. November 2017. Einem Aktivisten  der Identitären Bewegung von Halle wird gerade wegen Nötigung und Körperverletzung der Prozess gemacht, er soll einen Gegendemonstranten in einer Straßenbahn angegriffen haben.

Derweil hat Götz Kubitschek angekündigt in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 in Halle mit seinem Antaios-Verlag ein neues Büro zu mieten.

November 2017. Es erfolgt im Zusammenhang mit dem Vorfall im Juni in der Mensa eine Hausdurchsuchung durch die Polizei, wobei Speichermedien beschlagnahmt werden. 

Ende November. zwei maskierte Personen aus dem Gebäude in der Adam-Kuckhoff-Straße in Halle heraus und attakierten Zivilpolizisten mit Pfefferspray. Laut Polizei waren diese maskiert und hatten Schutzschild, Helm und Baseballschläger dabei. Erst das Zücken der Dienstwaffen setzt der Aktion ein Ende.

Kontrakontur behauptet dass dem Angriff Flaschenwürfe auf das Gebäude vorausgegangen wären.  Um „Schlimmeres zu verhindern“ und die „flüchtigen Täter zu verfolgen“, hätten zwei Aktivisten das Haus verlassen.

Vom MDR befragte Anwohner bestätigen das jedoch nicht. Die Zivilpolizisten hätten sich rechtzeitig zu erkennen gegeben. Die Angreifer widersprechen dieser Darstellung. Laut Thomas Tillschneider (AfD) handelten die Angreifer aus Notwehr.

Bilder aus Wikimedia Commons
Universitätsplatz in Halle/Saale, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, Urheber: OmiTs

Quellen