Dienstag, 22. Januar 2019

Atomkraftwerk Lucens

Kontrollraum des Versuchsatomkraftwerks Lucens (1968)
Das stillgelegte Schweizer Versuchsatomkraftwerk Lucens (VAKL), auch als Reaktor Lucens bezeichnet, befindet sich zwei Kilometer südwestlich vom Dorf Lucens am Ufer der Broye, die anfänglich auch für das Kühlwasser vorgesehen war, errichtet.

Ausser einigen Betriebs- und Lagergebäuden wurde die gesamte Anlage unterirdisch in drei Felskavernen angelegt. Das AKW verfügte über einen unterirdischen Schwerwasserreaktor (HWR), eine schweizerische Eigenentwicklung auf Basis von Forschungsarbeiten an der Reaktor AG (dem heutigen Paul Scherrer Institut) in Würenlingen.

Das Anlagekonzept des Versuchsatomkraftwerkes beruhte auf den folgenden Festlegungen:
  • Natururan als Spaltstoff: Uranvorkommen gibt es an vielen Orten. Natururan kann frei gehandelt und leicht gespeichert werden. Der Verzicht auf Anreicherung des Urans vermeidet die damit verbundenen hohen Kosten und umgeht das Monopol der wenigen Produzenten sowie die politischen Barrieren gegen diesen Prozess. In der Versuchsanlage Lucens wurde wegen der Kleinheit des Reaktorkerns schliesslich trotzdem leicht angereichertes Uran verwendet.
  • Schwerwasser als Moderator: Die Nutzung von Natururan als Spaltstoff war praktisch nur möglich zusammen mit Graphit oder Schwerwasser als Moderator. Vorteile von Schwerwasser gegenüber Graphit sind bessere Neutronenökonomie mit besserer Ausnützung des Urans, die Möglichkeiten kompakterer Bauweise des Reaktors und leichterer Herstellung in der Schweiz. 
  • Kohlendioxid-Gas als Kühlmittel: Als Kühlmittel für den Abtransport der Wärmeenergie aus dem Reaktorkern wurden Schwerwasser, Leichtwasser, Leichtwasserdampf, Diphenyl und Kohlendioxid in Betracht gezogen. Beim Entscheid für das Gas im Fall des Prototyps Lucens spielten die Erfahrung mit den britischen und französischen gasgekühlten und graphitmoderierten Reaktoren, die erreichbaren höheren Temperaturen und die Erfahrung mit gasbeheizten Dampferzeugern eine Rolle; das zunächst favorisierte Schwerwasser schied wegen der höheren Kosten sowie der zu erwartenden Tritiumstrahlung aus. Bei den später durchgeführten Studien für grössere Anlagen wurden auch Varianten mit Leichtwasser untersucht.
  • Bündel von Uranmetallstäben mit Magnesiumhülle als Brennelement: Uranmetall ergibt im Vergleich zu dem später für grössere Anlagen vorgesehenen, weniger korrosiven Uranoxid eine bessere Neutronenökonomie bei der Verwendung von Natururan. Bei der gewählten Lösung konnte zudem auf den Erfahrungen aus den britischen und französischen Reaktoren aufgebaut werden.
  • Druckrohre als druckhaltende Komponente im Reaktorkern: Weil nur das Kühlmittel – nicht aber der Moderator – auf hohen Druck angewiesen war, konnte eine Druckrohrkonstruktion verwendet werden. Man versprach sich davon eine fast beliebige Skalierbarkeit auf grössere Anlagen und konnte auf die damals schwierigeren Entwicklungsschritte für grosse Druckbehälter sowie den Nachweis von deren Sicherheit verzichten.
  • Felskaverne als Containment: Die unterirdische Anordnung von Kraftwerkzentralen hatte sich bei den Wasserkraftwerken bewährt und so lag es nahe, die wichtigsten Teile des Atomkraftwerkes ebenfalls in Felskavernen unterzubringen. Diese Bauweise wurde damals auch in Norwegen und Schweden praktiziert. Neben dem Schutz gegen äussere Einwirkungen bot der in Lucens vorliegende poröse Sandstein noch eine besondere Möglichkeit für die Rückhaltung radioaktiver Stoffe. Durch Leckage oder gesteuerte Druckentlastung dorthin gelangende Aktivstoffe würden in den Poren langfristig gespeichert und im Laufe ihrer Diffusion Richtung Umwelt zerfallen. Im konkreten Fall musste dieses Konzept wegen Problemen mit der Abdichtung gegen den Zugangsstollen durch einen mit Filtern ausgerüsteten Ventilationsabzug ergänzt werden.
Die anfänglich geplanten Kosten von 64,5 Mio. Franken stiegen bis zur Endabrechnung auf 112,3 Mio. Franken. Immer wieder bewilligte der Bund diskussionslos millionenschwere Nachtragskredite.

Im Auftrag an die mit der Entwicklung des Reaktors Lucens befassten Projektanten und Konstrukteure wurde die Möglichkeit einer militärischen Nutzung offenbar nie verlangt und auch nie erwähnt. Wäre eine solche Zielsetzung vorgelegen, hätte beispielsweise im Zusammenhang mit dem dann nötigen geringen Spaltstoffabbrand die Anlage mit einer Vorrichtung zum Brennelementwechsel bei laufendem Reaktor versehen werden müssen. Tatsächlich wurde aber ein möglichst hoher Abbrand angestrebt.

Gemäss Prof. Urs Hochstrasser, damals Delegierter des Bundesrates für Fragen der Atomenergie, wurden das angereicherte Uran und das schwere Wasser für Lucens von den USA mit der Auflage geliefert, dass diese Materialien ausschliesslich für friedliche Zwecke verwendet werden. Für die Einhaltung dieser Verpflichtung hat der Bundesrat eine Kontrolle zunächst des Lieferstaates und später der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) der UNO akzeptiert. Sie wurde auch tatsächlich durch entsprechende Inspektionen überprüft.


Geschichte

1945. Auf Initiative des schweizerischen Militärdepartements (EMD) wird die sogenannte "Studienkommission für Atomenergie" (SKA) gegründet. In der SKA sind in der Folge alle namhaften schweizerischen Forschungsinstitute, die sich mit Atomenergie befassen, vertreten.

Lucens
1952. Die SKA beauftragt eine Arbeitsgemeinschaft,  in der auch Unternehmen wie Brown, Boveri & Cie., Sulzer und Escher Wyss vertreten sind, mit der Planung eines Versuchsreaktors. Gebaut werden soll dieser Reaktor durch die Industrie, aber mit finanzieller Unterstützung durch die SKA. 
Im selben Jahr formuliert die SKA das Ziel der Entwicklung eines Schwerwasser-moderierten Reaktors mit Natururan als Spaltstoff. Dies dient in den folgenden Jahren als Grundlage für Entscheide der Industrie und Anträge an den Bundesrat. Gleichartige Entwicklungen mit Realisierung von Prototypen gibt es auch in Schweden, Kanada, Frankreich, Deutschland und Grossbritannien.

1953. Die fertigen Pläne für einen Versuchsreaktor werden vorgestellt aber vorerst nicht umgesetzt.

1955. Walter Boveri jun., Präsident von Brown, Boveri & Cie., gründet in Zusammenarbeit mit Wirtschaft und der ETH Zürich in Würenlingen die Reaktor AG.
Im gleichen Jahr findet in Genf die erste Genfer Atomkonferenz statt. An der Konferenz präsentiert die US-amerikanische Atombehörde AEC die Möglichkeiten der Atomenergie an einem eigens dafür gebauten Leichtwasserreaktor. Da der Rücktransport des Versuchsreaktors für die US-Amerikaner mit einem erheblichen Aufwand verbunden wäre, kann die Eidgenossenschaft den Reaktor sehr günstig erwerben und dann an die Reaktor AG weiterverkaufen. Noch während dieser Reaktor, der auf Grund seines blauen Leuchtens den Namen "Saphir" erhalten hat, an seinem neuen Standort in Würenlingen eingerichtet wird, beginnen zeitgleich die Arbeiten an einem weiteren Forschungsreaktor namens Diorit obwohl man bereits bei der Genfer Atomkonferenz festgestellt hat, dass das schweizerische Reaktorkonzept längst überholt ist. Beim Diorit handelt es sich um einen Schwerwasserreaktor, der auf den Plänen des Versuchsreaktors der SKA basiert. 

1956 bis 1959. Parallel zu den Forschungsarbeiten der Reaktor AG erarbeiten drei Industriegruppen Projekte für Versuchs-Leistungsreaktoren. Die Versuchs-Leistungsreaktoren sind als nächste Stufe auf dem Weg zu kommerziellen Reaktoren gedacht. Bis 1959 reichen die drei Gruppen ihre Projekte beim Bund zur Subvention ein.

Die drei Projekte sind:
  • "Nationale Gesellschaft zur Förderung der industriellen Atomtechnik": Bei diesem Konsortium handelt es sich um einen Zusammenschluss deutsch-schweizerischer Industriebetriebe (u. a. Sulzer, Escher Wyss und Brown, Boveri & Cie.), die sich zum Ziel gesetzt haben, in der Stadt Zürich unterirdisch (unter den Gebäuden der ETH) ein Atomheizkraftwerk zu errichten. Dabei soll der Reaktortyp dem des Diorit entsprechen.
  • Enusa: In der Enusa haben sich zahlreiche westschweizerische Industriebetriebe, Planungsbüros und auch die Elektrizitätsgesellschaft EOS zusammengeschlossen. Geplant ist der (Nach-)Bau eines US-amerikanischen, leichtwassermoderierten Reaktors im waadtländischen Lucens.
  • Die Suisatom wird von den vier grössten schweizerischen Elektrizitätsgesellschaften (NOK, Atel, BKW und EOS) gegründet. Das Projekt sieht den Kauf eines US-amerikanischen Leichtwasserreaktors vor. Die Bauleitung und die Lieferung der Sekundärteile sollten bei der Brown, Boveri & Cie. liegen.
Durch eine externe Expertengruppe lässt der Bundesrat alle drei Gesuche prüfen und empfiehlt der Bundesversammlung schließlich, den Bau eines Versuchs-Leistungsreaktors mit bis zu 50 Millionen Franken zu unterstützen. Er macht klar, dass er bereit wäre, sowohl das Konsortiums- als auch das Enusa-Projekt mitzufinanzieren, aber nicht den Suisatom-Reaktor. Die Entscheidung, welcher Reaktor am Ende gebaut werden soll, möchte der Bundesrat jedoch der Privatwirtschaft überlassen.

1960. Der Versuchsreaktor Diorit wird erstmals kritisch.

März 1960. Sowohl Stände- als auch Nationalrat folgen dem Vorschlag des Bundesrates und heissen die Finanzmittel im Umfang von 50 Millionen Franken gut. Bedingung ist, dass die Beiträge des Bundes 50 Prozent des Gesamtaufwandes nicht übersteigen sollten. Ebenso sollen sich die drei Gesuchssteller für den Bau in einer einzigen Dachgesellschaft zusammenschliessen.
Bereits zwei Wochen nach der Annahme der Vorlage durch die eidgenössischen Parlamente einigen sich die Enusa und die Thermatom, die Nachfolgeorganisation des Konsortiums, darauf, ein gemeinsames Versuchs-Leistungskraftwerk zu bauen. Es handelt sich dabei um einen Kompromiss: Am Standort des Enusa-Projektes, Lucens, sollen die Reaktorpläne des Konsortiums bzw. der Therm-Atom, der aus 22 Industrieunternehmen aus der ganzen Schweiz bestehenden Nachfolgeorganisation des Konsortiums, umgesetzt werden.

Sommer 1961. Es kommt zur Gründung der vom Bund geforderten Dachgesellschaft. Thermatom, Enusa und Suisatom gründen gemeinsam die "Nationale Gesellschaft zur Förderung der industriellen Atomtechnik" (NGA). Die Leitung der NGA übernimmt Alt-Bundesrat Hans Streuli, der in der Folge zur grössten Triebfeder des Baus von Lucens wird.

1. Juli 1962. Der erste Spatenstich zum Bau des Reaktors erfolgt ein Jahr nach Gründung der NGA. Der Bau des Reaktors in Lucens ist in der Folge durch mehrere Pannen und finanzielle Probleme gekennzeichnet. Finanziert wird Lucens vor allem vom Steuerzahler über den Bund.

7. Februar 1963. Es wird bekannt, dass die NOK plant, in Beznau einen schlüsselfertigen, US-amerikanischen Leichtwasserreaktor zu bauen. Wenig später folgen weitere Elektrizitätsgesellschaften mit eigenen Kaufabsichten. Damit hat sich die eigentliche Zielgruppe der schweizerischen Reaktortechnik bereits bei der ausländischen Konkurrenz eingedeckt, noch bevor das Werk in Lucens überhaupt fertiggestellt ist. Unterdessen laufen in Lucens die Kosten aus dem Ruder und der Zeitplan muss revidiert werden. 

Ende 1963. Bei Sprengungen kommt es zu Rissbildungen im Fels. Daraufhin müssen die Bauarbeiten für mehrere Wochen eingestellt werden. Immer wieder hat man beim Bau mit Wassereintritten zu kämpfen.

1965. Die Kaverne erweist sich als undicht und das Drainage-System muss überarbeitet werden. So wird die Kaverne, die eigentlich ursprünglich Sicherheit hätte stiften sollen, immer mehr zum Sicherheitsproblem. Auch innerhalb der NGA brodelt es: Andauernd brechen zwischen Brown, Boveri & Cie. und Sulzer offene Konflikte aus.

Mai 1966. Die vorgesehenen Brennelemente für den Atomreaktor Lucens werden im Diorit in Würenlingen getestet. Doch ein Brennelement schmilzt teilweise. Die Reaktorhalle wird kontaminiert.
In Folge des Störfalls muss der betroffene Versuchskreislauf des Forschungsreaktors und das gesamte primäre Schwerwasser-Kühlsystem vollständig zerlegt und durch Ausbeizung dekontaminiert werden.
Als Folgemaßnahme des Störfalls wird beschlossen den Reaktortank auszuwechseln. Der Umbau dient dabei unter anderem dem Umstieg vom Betrieb als Natururan-Reaktor zu einem Betrieb mit angereichertem Urandioxid als Brennstoff. Einzelne Arbeiter werden bei den Umbau-Arbeiten erhöhten Strahlendosen ausgesetzt, die bei Einzeldosen von bis zu 1020 mrem liegen, während die höchste akkumulierte Personen-Gesamtdosis bei 2600 mrem (26mSv) liegt.

29. Dezember 1966. Der Reaktor wird erstmals kritisch. Das bedeutet, es kann erstmals eine sich selbst erhaltende Kettenreaktion der Uranspaltung aufrechterhalten werden.

8. Mai 1967. Sulzer gibt den Austritt aus der schweizerischen Atomtechnologieentwicklung bekannt. Die Reaktorentwicklung wird nur noch im Rahmen des Vertrages mit dem CEA und Siemens weitergeführt. Mit dem Rückzug der wichtigsten Firma steht das AKW Lucens vor seinem Ende, doch Alt-Bundesrat Hans Streuli will weiterhin nicht aufgeben. Die Elektrizitätsgesellschaft EOS soll das Werk nach Fertigstellung noch für zwei Jahre betreiben.

29. Januar 1968. Nach ersten Versuchen bei Leistung Null, Abschluss der Montagearbeiten und Abnahmeversuchen der für den Leistungsbetrieb wichtigen Anlageteile erzeugt die Anlage den ersten Atomstrom der Schweiz. 

1. bis 10. Mai 1968. Ein zehntägiger Abnahmeversuch bei mindestens 21 MW Leistung verläuft erfolgreich.

10. Mai 1968. Das Atomkraftwerk wird nach langjährigen Verzögerungen der Energie Ouest Suisse (EOS) zum Leistungsbetrieb übergeben. Die Anlage wird daraufhin mit Leistungen bis zum Nennwert von 30 MW betrieben.

Flugaufnahme vom 4. Juli 1969
November 1968 bis Mitte Januar 1969. Es wird eine Reihe von Revisionsarbeiten durchgeführt, unter anderem Untersuchung eines ausgebauten Brennelementes und Sanierung der Wellendichtungen der Umwälzgebläse. Vorgesehen ist ein Betrieb bis Ende 1969 zwecks Gewinnung von Erfahrung mit der Anlage, ihren z. T. neu entwickelten Komponenten und deren Betrieb. Weil ein selbsttragender Betrieb nicht möglich ist, soll die Anlage anschliessend stillgelegt werden.
Der schliessliche Verzicht auf die Entwicklung von Schwerwasserreaktoren in der Schweiz – und auch in anderen europäischen Ländern – hat seinen Grund in den im Laufe der sechziger Jahre eingetretenen starken Veränderungen der politischen, wirtschaftlichen und technischen Voraussetzungen. Dies ist insbesondere die leicht gewordene Erhältlichkeit von angereichertem Uran, der rasche Trend zu sehr grossen Einheitsleistungen, die marktbeherrschende Stellung der US-amerikanischen Leichtwasserreaktoren und das mangelnde Interesse der einheimischen Elektrizitätswerke.

21. Januar 1969. Der Betrieb wird nach der Revision wieder aufgenommen. Während der Steigerung der Reaktorleistung kommt es zur Überhitzung mehrerer Brennelemente. Brennelement Nr. 59 erhitzt sich so stark, dass es schmilzt und schließlich auch das Druckrohr zum Bersten bringt. Dabei werden schweres Wasser und geschmolzenes radioaktives Material durch die Reaktorkaverne geschleudert. Die aus dem geschmolzenen Uran freigesetzten Aktivstoffe lösen wenige Sekunden vor dem Bersten des Druckrohres eine Schnellabschaltung des Reaktors aus.

Das anwesende Betriebspersonal kann aus den im Kommandoraum verfügbaren Informationen innerhalb der ersten Minuten feststellen, dass der Primärkreislauf aufgebrochen ist, der Reaktor jedoch sicher abgestellt und die Kühlung des Reaktorkerns gewährleistet ist. Sie leiten die gemäss dem entsprechenden Notfallplan nötigen Massnahmen ein und können dabei einen vorläufig sicheren Zustand der Anlage und deren Umgebung feststellen.

Nach einer Stunde wird auch in den übrigen Kavernenanlagen eine erhöhte Radioaktivität festgestellt, was bedeutet, dass die Reaktorkaverne nicht dicht ist. Bei Messungen in den umliegenden Dörfern kann ein leichter Anstieg der Radioaktivität festgestellt werden. Personen sowohl innerhalb als auch ausserhalb der Anlage erleiden durch den Unfall keine unzulässigen Strahlendosen.

Aufgrund der schweren Schäden im Reaktorkern ist ein Weiterbetrieb des Reaktors unmöglich. Auf der heute gültigen siebenstufigen internationalen Bewertungsskala für atomare Ereignisse – welche die Leistungsgrösse einer Anlage nicht berücksichtigt – würde der Unfall heute wahrscheinlich als Ernster Unfall mit Stufe 5 bewertet.

Der Unfall verursacht Schätzungen zufolge 26 Millionen Dollar Schaden.

Bis Ende 1971. Der Reaktor wird dekontaminiert und zerlegt. Insgesamt fallen  dabei 250 Fässer radioaktiver Abfälle an.

1979. Die nach dem Unfall eingesetzte Untersuchungskommission publiziert erst nach 10 Jahren einen Schlussbericht. Man kommt zu dem Schluss, dass sich während der Revisionsarbeiten vom Herbst 1968 bis zum Januar 1969 in einigen Brennelementen Wasser angesammelt haben muss, was die Elemente teilweise von innen korrodieren liess. Durch Korrosionsablagerungen hat sich der Platz für das Kühlgas an einigen Stellen stark verengt. Die verminderte Kühlleistung hatte eine Überhitzung mehrerer Elemente zur Folge, was schliesslich zur partiellen Kernschmelze führte.

Das Eindringen von Wasser in den Reaktorkühlkreislauf und den Reaktorkern war eine Folge von Problemen mit der Sperrwasserdichtung der Kühlgas-Umwälzgebläse. Die Erprobung von neuen Dichtungsringen erfolgte in der Anlage Lucens, nachdem der Versuchsstand beim Gebläsehersteller nicht mehr zur Verfügung stand; dabei gelangte unbemerkt eine unerwartet grosse Menge Wasser in den Kreislauf. Die Möglichkeit eines Unfallablaufes der eingetretenen Art war in den Sicherheitsdokumenten beschrieben worden und sowohl den Projektanten als auch den Sicherheitsbehörden bekannt. Massnahmen zur Begrenzung des Unfallausmasses – insbesondere verstärkte Kalandriarohre und Berstscheiben des Kalandriatanks – wurden realisiert und haben sich im eingetretenen Fall bewährt.

1987. Peter Hug sieht in seiner Lizentiatsarbeit im Bau des Schwerwasserreaktors den Schweizer Versuch einer militärischen Nutzung der Atomenergie.

1994. Roland Kollert sieht im AKW Lucens einen Dual-Use-Reaktor, der sowohl zur Energieerzeugung als auch zur Produktion von Waffen-Plutonium genutzt werden sollte

1995. Dominik Metzler widerspricht der militärischen These mit dem Argument dass ihm neue Quellen zugänglich gewesen seien.

Ab  1995. Gemäss seinem Auftrag führt das BAG in den Entwässerungsanlagen der ehemaligen Versuchsreaktoranlage Lucens regelmässig Messungen durch und informiert die kantonalen und lokalen Behörden. Gemessen werden Cäsium 137Cs und 134Cs, sowie das Cobaltisotop 60Co, Tritium 3H und Strontium-90 (90Sr).

2001 bis 2010. In den Wasserproben wird durchschnittlich eine Tritiumaktivität von 15 Bq/L gemessen.

2003. Die Fässer mit radioaktiven Abfällen aus dem AKW Lucens werden in das Zwischenlanger nach Würenlingen im Kanton Aargau transportiert.

Im selben Jahr widerspricht Tobias Wildi der militärischen These mit dem Argument dass ihm neue Quellen zugänglich gewesen seien. Jan Hodel bemängelt jedoch in einer Rezension, dass eine klare Gegenüberstellung dieser neuen Erkenntnisse zu Hugs Argumenten in Wildis Arbeit fehle.

Ab 2010. Es gibt vereinzelt leicht erhöhte Werte in den Wasserproben.

Ende 2011. Die Werte in den Wasserproben haben signifikant zugenommen (bis zu 230 Bq/L).

Atomkraftwerke in der Schweiz

Stillgelegte Atomkraftwerke in der Schweiz
Lucens

Geplante aber nie gebaute Atomkraftwerke in der Schweiz
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Bilder aus Wikimedia Commons
Lucens, Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“, Urheber:  Roland Zumbühl von Picswiss
Kontrollraum des Versuchsatomkraftwerks Lucens (1968), Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, Urheber: Josef Schmid
Flugaufnahme vom 4. Juli 1969, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, Urheber: Werner Friedli  (1910–1996)

Quellen