Sonntag, 14. September 2014

Atomkraftwerk Sewersk

Das geplante russische Atomkraftwerk Sewersk (russisch Северская АЭС) soll in der Nähe der geschlossenen Atomstadt Sewersk in der russischen Oblast Tomsk, etwa 20 Kilometer nördlich von Tomsk gebaut werden. In Sewersk leben mehr als 100.000 Menschen.

Das Atomkraftwerk Sewersk soll in der Nähe des Atomkraftwerks Sibirskaja errichtet werden, das 1954 das erste industrielle Atomkraftwerk in der damaligen UdSSR war und im Jahr 2008 stillgelegt wurde.

Hauptarbeitgeber der Stadt Sewersk ist heutzutage die Chemieindustrie mit dem „Sibirischen Chemiekombinat GP“ (SCGP) mit 15.000 bis 20.000 Beschäftigten. Die atomtechnische Anlage ist Teil dieses Kombinates. Das AKW Sewersk soll als Ersatz für die stillgelegten Reaktoren des Kombinats dienen und neben Elektrizität ebenfalls atomare Fernwärme für die Städte Sewersk und Tomsk ausspeisen. Zuvor wurde am selben Ort ein Atomheizkraftwerk geplant, dessen Planungen jedoch nie umgesetzt wurden.

Geplant sind zwei Atomreaktoren russischer Bauart vom Typ WWER-1300/510 mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1255 MW und einer elektrischen Nettoleistung von 1115 MW. Beide Reaktoren sollen zusammen 7,5 Petajoule am Wärmeenergie für Heizzwecke in der lokalen Umgebung ausspeisen.

Block 1 sollte Anfang 2016 den Betrieb aufnehmen, Block 2 Anfang 2021. Wegen "abgestufter Verbrauchsvorhersagen bei der Elektrizitätsnutzung" wurde der Baubeginn offenbar von ursprünglich 2015 (Block 1) und 2017 (Block 2) um zwei Jahre auf 2017 und 2019 verschoben.

Geschichte

1656. Auf dem Territorium der späteren Stadt Sewersk wird das Dorf Iglakowo gegründet.

Anfang 18. Jahrhundert. Auf dem Territorium der späteren Stadt Sewersk wird das Dorf Beloborodowo gegründet.

1949. Anlässlich des Baus der atomtechnischen Anlage Tomsk wird die Stadt Sewersk gegründet. Die bisherigen Bewohner werden umgesiedelt. In Sewersk wird Plutoniumherstellung für die atomaren Anlagen und für Atomwaffen betrieben.  Der Ort ist zuerst nur unter der Bezeichnung Postfach Nr. 5 (russisch «Почто́вый я́щик № 5») bekannt, später unter dem Namen Berjoski (Берёзки, wörtlich „Birken“) oder Tomsk-7. 

1956. Sewersk wird zur Stadt erhoben. 

1989. Die Existenz der bisher geheimen Stadt Sewersk wird offiziell bekannt gegeben. Allerdings hat die Stadt bis heute [2014] den Status einer geschlossenen Stadt und kann von Ortsfremden nur mit einem Passierschein betreten werden.

1990er Jahre. Für die Stillegung der Plutoniumreaktoren im Bergbau- und Chemikombinat Schelesnogorsk und dem Chemiekombinat in Sewersk werden kohlebefeuerte Kraftwerke in Betracht gezogen. Diese sollten die weggefallenen Wärme- und Stromkapazitäten ersetzen. Wegen ökonomischer und ökologischer Bedenken ist der Bau jedoch nur sehr schwer zu realisieren. Daher schlägt Minatom der örtlichen Verwaltung der Oblast Tomsk den Zubau eines Atomheizwerkes vor. Als Standort wird ein ein Gelände unweit der bereits bestehenden Reaktoren ausgewählt, um die Nähe zur bestehenden Infrastruktur zu schaffen, so wie zum Fernwärmentz, zum Elektrizitätsnetz und bestehenden Laboreinrichtungen. Dadurch diese Infrastruktur bereits vorhanden ist, könnte sich die Bauzeit verkürzen. 
Daneben wird die Möglichkeit in Erwägung gezogen, die bereits gefertigten Komponenten des Atomheizwerkes Gorki in Tomsk zu nutzen. Nach diesem Plan könnte das gesamte Werk in Gorki demontiert und in Sewersk erneut aufgebaut werden. Obwohl die Planungen vollständig sind wird die Anlage nie realisiert, was auf finanzielle und sicherheitstechnisches Misstrauen seitens der örtlichen Einwohner zurückzuführen ist. Als Alternative strebt Minatom daraufhin einen Umbau der Reaktoren des anliegenden Chemiekombinats an, sodass lediglich Energie erzeugt werden würde, jedoch kein Plutonium. Dieses Projekt scheitert anschließend ebenfalls aufgrund finanzieller Probleme.

6. April 1993. Im AKW des „Sibirischen Chemiekombinat GP“ kommt es zu einem schwerwiegenden radioaktiven Unfall, bei dem ein Tank der SCGP mit einer hochradioaktiven Lösung explodiert.

1996. Die Kosten für das Projekt werden nun auf die lokale Verwaltung der Oblast Tomsk umgelegt. Daraufhin stehen die meisten Abgeordneten einem Atomkraftwerk offener gegenüber als einem kleinen Atomheizkraftwerk, weil diese Werke über das Staatsbudget der Russischen Föderation finanziert werden. Als eine mögliche Lösung wird der Einsatz des WWER-640 gesehen, der für viele neue Kernkraftwerksprojekte im europäischen Teil und erste Anlagen im Fernen Osten vorgesehen und derzeit das modernste Reaktormodell in Russland ist. 

2003. Die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) handeln zusammen mit der Russischen Föderation ein Abkommen aus, dass das gesamte Festkapital für das Projekt in konventionelle Kraftwerke als Ersatz für die Plutoniumreaktoren investiert werden.

2006. Das Projekt wird erneut seitens der Oblast Tomsk wiederbelebt und der Bau eines Atomkraftwerks mit bis zu vier Reaktoren vorgeschlagen, nachdem Schätzungen ausgehen, dass bis zum Jahre 2030 der Stromverbrauch des Landes zwischen 25 und 30 % ansteigen werde und die aktuellen Kapazitäten nicht reichen würden.
Seitens der Russischen Föderation gilt dieses Projekt nun mit zwei Reaktoren vom Typ WWER-1200 als AES-2006 als ein kooperatives Demonstrationsobjekt. Die französische Firma Alstom und das offene Aktienunternehmen Atomenergomasch gründen daraufhin ein Gemeinschaftsunternehmen für die Fertigung der ersten Arabelle-Turbinen, die eine Laufgeschwindigkeit von 1500 Umdrehungen pro Minute erreichen sollen. Man möchte sie in Sewersk zum ersten Mal installieren. Später auch in weitere Anlagen.

2009. Im Rahmen des Entwurfs für einen WWER-1200 mit zwei Primärkreisen werden die Planungen für die Anlage zugunsten Reaktoren des Typs WWER-1200/501 als AES-2006M abgeändert. Als Generalprojektant für das Atomkraftwerk Sewersk wird Atomenergoprojekt Moskau gewählt. Diese nehmen die Anlage noch vor dem offiziellen Planungsstand in die Projektion nahmen.

Oktober 2009. Durch die Filmdokumentation "AlptraumAtommüll" wird bekannt, dass Frankreich seit den 90er-Jahren heimlich einen Teil seines Atommülls aus den Anlagen der Électricité de France (EDF) in Sewersk lagert. Knapp 13 Prozent des französischen radioaktiven Abfalls liegen hier in Containern unter freiem Himmel auf einem Parkplatz.
Kurz danach wird öffentlich, dass von der Firma Urenco zwischen 1996 und 2008 27.300 Tonnen Uranhexafluorid (UF6) aus Gronau (Westf.) auf dem Schienenweg angeliefert wurden und nun in gleicher Weise gelagert werden. Nur ein Bruchteil von bis zu 15 Prozent wurde als Brennstoff zurückgesandt. Weitere Firmen die an den UF-6-Exporten beteiligt sind: Intermexco (Tochterfirma der russischen Tenex AG) GKN und das französische Unternehmen Cogema. Deutscher Müll geht vor allem an das Elektrochemische Kombinat in Novouralsk - vormals Swerdlowsk-44, eine weitere Anlage zur Anreicherung.
An den Exporten verdient vor allem die russische Firma Techsnabexport, die als Zwischenhändler fungiert. Techsnabexport hat rund 1,7 Milliarden Euro mit der Anreicherung von Uran verdient. Ein Teil dieses Geldes wird dazu verwendet, russische Anreicherungsanlagen zu bezahlen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass eine Defluorination mit anschließender Einlagerung Russland in den nächsten Jahrzehnten zwei Milliarden kosten wird.
Transportiert werden die Atomabfälle per Schiff von der nordfranzösischen Stadt Le Havre über die Nord- und Ostsee nach Petersburg. Von dort gelangen sie im Zug nach Sibirien. Unter welchen Sicherheitsvorkehrungen bleibt geheim.

11. November 2009. Der Standort für das Atomkraftwerk Sewersk wird bewilligt. Obwohl um Sewersk mehrere atomare Anlagen stehen wird das Atomkraftwerk Sewersk der erste Komplex sein, der angeblich rein zivilen Zwecken dient. Die Anlage soll angeblich etwa 4,6 Milliarden US-Dollar kosten. Die Planungsarbeiten für die Anlage sollen bis zum Ende des Jahres 2011 komplett sein. Mit den Erschließungsarbeiten soll im Jahr 2012 begonnen werden. Zusätzlich soll neben dem Standort der Anlage ein Industriepark angesiedelt werden, der nach Ansicht des Bürgermeisters der Stadt Sewersk attraktiv für Investoren sein würde. Weil allerdings der Status einer geschlossenen Stadt für viele Investoren außerhalb der Atomindustrie unattraktiv scheint wird der Bau eines offenen Stadtteil diskutiert.

5. Oktober 2011. Es wird bekannt dass das Schweizer Atomkraftwerk Leibstadt offenbar Uranbrennstoff aus einer Wiederaufbereitungsanlage von Sewerks bekommt. Laut Greenpeace ist das Gelände um die Produktionsanlage weiträumig strahlenverseucht. Das Uran soll jedoch nicht direkt aus Russland in die Schweiz kommen. Der AKW-Betreiber Axpo hat offenbar einen Liefervertrag mit dem französischen Atomkonzern Areva abgeschlossen. Diese wiederum kauft Uran aus der russischen Anreicherungsanlage in der Stadt Elektrostal, einem Vorort Moskaus, kauft. Diese wiederum bezieht ihr Material aus verschiedenen russischen Anlagen.

30. November 2012. Rosatom gibt bekannt, den Bau des Atomkraftwerks zu verschieben um den Bau für die Atomkraftwerke Kursk II und Smolensk II vorzuziehen. Sewersk wäre für das Elektrizitätsnetz nicht sehr wichtig und die regionalen Energiepreise würden recht niedrig liegen, weshalb sich das Projekt wirtschaftlich nicht sofort lohnen würde. Das AKW bleibt jedoch im föderalen Zielprogramm ausnahmslos enthalten.

Atomkraftwerke in Russland


Quellen