Sonntag, 2. Juni 2019

"Nazihochburg" Jamel (Gägelow)

Kirche in der Gemeinde Gägelow
Die "Nazihochburg" Jamel ist ein Ortsteil der Gemeinde Gägelow im Landkreis Nordwestmecklenburg und liegt am abflusslosen Großen See in einem hügeligen Gelände etwa 6,5 Kilometer südlich der Wohlenberger Wiek am südwestlichen Ende des Gemeindegebiets von Gägelow. Die Landschaft steigt Richtung Westen zum 113 Meter hohen Heideberg an. Die einzige Verbindungsstraße führt in das ungefähr 1,5 Kilometer entfernte Gressow an der B105.

Der Ort hat etwa 35 Einwohner die in 10 Häuser leben, die fast alle an einer einzigen Straße stehen.  Häuserwände sind mit deutschtümelnden Bildern bemalt, in der Ortsmitte weist ein Wegweiser auf Hitlers Geburtsort Braunau.

Geschichte

Um 1230. Das Dorf wird im Ratzeburger Zehntregister von 1230 als Jamene erstmals urkundlich erwähnt. Der Name ist slawischen Ursprungs. Nach der Eintragung im Zehntregister gehört das aus sechs Höfen bestehende Dorf zum Kirchspiel Gressow. Die Abgaben der Höfe stehen in fünf Fällen dem Bischof von Ratzeburg zu, in einem Fall einem Gottschalk.

9. Juli 1931. Die Gemeinde vergrößert sich um die südlich an der Verbindungsstraße von Wismar nach Grefesmühlen (heutige B105) liegenden Ortsteil Sternkrug.

1. Juli 1950. Jamel, Gressow und Wolde werden zur neuen Gemeinde Gressow zusammengeschlossen.

1961. Die Gemeinde Gressow wird nach Gägelow eingemeindet.

Ostern 1992. Etwa 120 Neonazis feiern im Haus von Sven Krüger (NPD-Ex-Regionalpolitiker) den Geburtstag von Adolf Hitler in Jamel. Dabei wird die Reichtskriegsflagge gehisst. Den Nachbarn drohen sie "Heute räuchern wir euch aus".
Danach wurden einige ursprüngliche und auch neu hinzugezogene Bewohner durch Brandstiftungen vertrieben. Deren Hühner wurden auf dem Gartenzaun aufgespießt. Ein Wegweiser im Ort zeigte u.a. nach Braunau am Inn, Königsberg und Wien/Ostmark. Auf einem Findling wurde von den Neonazis ein Schild mit der Aufschrift "Dorfgemeinschaft Jamel, frei - sozial - national" angebracht.
Führende Nazigröße im Dorf ist Sven Krüger, Abrissunternehmer und Immobilienbesitzer. Die meisten seiner Mitarbeiter entstammen ebenfalls dem rechtsextremen Spektrum (Hammerskin-Umfeld und Kameradschaftsszene). Das Logo seiner Firma trägt den Spruch: "Jungs fürs Grobe" und ein Mann mit einem Hammer zerschlägt etwas das so ähnlich wie ein Davidstern aussieht.
Krüger saß von 1992 bis 1999 mehrere Jahre wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis. Der landesweite Neonazi-Treffpunkt  "Thinghaus" wurde im Wesentlichen von Krüger gebaut. Dort finden viele Veranstaltungen des rechten Spektrums statt: Interne Treffen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), Rechtsrock-Konzerte, konspirative Zusammenkünfte der "Hammerskins" ... Krüger  soll auch mehrere Häuser für "Kameraden" gekauft haben.
Fritz Kalf (SPD - Bürgermeister muss sein Haus mit zwei Bekannten und einer Schrotflinte schützen, als die Rechtsextremen es angreifen und Fenster, Türen und ein Auto zerstören. Die Familie zieht weg.

1996. In Jamel brennt ein leerstehendes Haus in das Dorffremde einziehen. wollen ab.

3. Oktober 2003, Tag der deutschen Einheit. In Jamel brennt ein Haus das so eben eine Hamburger Familie erworben und umfassend renoviert hat aus. Sie geben danach entnervt auf.

2004. Das Ehepaar Horst (Musiker) und Birgit (Krimiautorin) Lohmeyer ziehen von Hamburg-St. Pauli nach Jamel in einen alten Forsthof mit Haus und Scheune. Er steht auf einem 7.500 Quadratmeter großen Parkgrundstück mit alten Bäumen und Obstwiesen.

2007. In der Umgebung von Jamel sind die Neonazis fast ungestört. Sie erziehen ihre Kinder ganz in ihrem Sinne, unter ihresgleichen. Uwe Wandel (Ortsbürgermeister) von Gägelow bezeichnet Jamel als ein Dorf dass man aufgegeben hat.
Das Ehepaar Lohmeyer organisiert seit diesem Jahr jährlich das Rockfestival "Jamel rockt den Förster", das sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit richtet. Es steht unter der Schirmherrschaft den Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern.

2009. Die bekennenden Neonazis Tino S. und Sven Krüger besuchten das Festival spät in der Nacht und fragen die Lohmayers wie bei einem Verhör über ihre Vergangenheit aus.

2010. Rechtsextreme dringen beim diesjährigen Festival "Jamel rockt den Förster" auf das Gelände ein und verletzen einen Besucher.

2011. Ein Spezialeinsatzkommando (SEK) der Polizei von Mecklenburg-Vorpommern durchsucht das Anwesen von Sven Krüger dessen Polizeiakte 51 Vorstrafen aufweist und findet dort eine Maschinenpistole mit 200 Schuss Munition sowie 6 gestohlene Baumaschinen. Er wurde in Untersuchungshaft genommen und anschließend zu 4 Jahren Haft wegen gewerbsmäßiger Hehlerei verurteilt. Von der Staatsanwaltschaft wurde ihm in 19 Fällen Hehlerei und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen. Zunächst erhielt er jedoch Haftverschonung damit er sein Bauunternehmen weiterführen kann. Die NPD distanziert sich daraufhin von ihm. Im Mai 2011 legt er sein Amt nieder.
Das Ehepaar Lohmayer wird vom Zentralrat der Juden mit dem Paul-Spiegel-Zivilcourage-Preis und vom NDR als "Helden des Nordens" ausgezeichnet. Einen Teil des Preisgeldes bieten die Lohmeyers dem Schulverein in Proseken an. Dort gehen auch die Jameler Kinder zur Schule. Eine Antwort darauf bekommen sie nie.

Februar 2011. Wegweiser und Schild werden auf Anweisung des Grevesmühler Bürgermeisters entfernt. Kurze Zeit danach waren sie wieder ersetzt.

April 2011. Das Verwaltungsgericht Schwerin entscheidet dass Wegweiser und Schild wegen Volksverhetzung zu entfernen sind. Dagegen reicht der Grundstückseigentümer Klage ein, die das Verwaltungsgericht Schwerin 2013 zu seinen Gunsten entscheidet.

12. Mai 2011. Das Ehepaar Lohmayer erhält den Paul-Spiegel-Preis für Zivilcourage für das Musikfestival "Jamel rockt den Förster".

August 2011. Im Thinghaus das während seiner Haftzeit von Kameraden weitergeführt wird findet ein konspiratives Solikonzert für Krüger statt. Anwesend sind 200 Besucher aus dem Umfeld der verbotenen Hammerskins.

Januar 2012. Die Freien Kameradschaften veröffentlichen eine Soli-CD für Krüger mit dem Titel "Jamel scheißt auf den Förster" (In Anspielung auf das Festival "Jamel rockt den Förster"). Darauf ist die Band "Die Lunikoff Verschwörung mit insgesamt 4 Titeln vertreten.

2012. Der Kulturverein Kuso, dem auch Oldenburg angehört, unterstützt das jährliche Anti-Rechts Konzert der Lohmeyers - "Jamel rockt den Förster". Dabei kommt es wegen der Finanzen zu Meinungsverschiedenheiten mit den Lohmeyers.

2014. Sven Krüger wird aus der Haft entlassen.

Ende Juni 2015. Auf dem Jamelner Grundstück von Sven Krüger findet eine Sonnwendfeier statt.

1. August 2015. Sven Krüger ist beim Neonazi-Marsch in Bad Nenndorf mit dabei.

12. August 2015. In der letzten Nacht brennt es in einer Asylbewerberunterkunft im 11 Kilometer entfernten Wismar.

13. August 2015. In der letzten Nacht ist die 240 Quadratmeter große, 150 Jahre alte, reetgedeckte Scheune auf dem alten Forsthof der Familie Lohmeyer komplett abgebrannt. Die Feuerwehr brauchte 15 Minuten, bis sie am Ort des Geschehens war, konnte aber nur noch ein Übergreifen der Flammen auf das Wohngebäude verhindern.
Offenbar nur durch Glück haben die Flammen nicht auf das naheligende Wohnhaus übergegriffen. Verletzt wurde niemand da das Gebäude zu dem Zeitpunkt leer war. Die Polizei geht von Brandstiftung aus und stellt die Familie Lohmeyer unter Polizeischutz. Ein Feriengast, der noch spät abends draußen saß bemerkte die Flammen und schlug Alarm. Zudem hat er offenbar eine unbekannte Person auf dem Hof bemerkt der zügig das Grundstück verließ.
Erschrocken hat sich in Jamel offenbar in der Tatnacht trotz Blaulicht und Martinshorn niemand ausser den Lohmeyers. Alle Fenster der Nachbarn blieben offenbar dunkel. Bereits am nächsten Morgen kursieren in rechten Internetforen Gerüchte dass Lohmeyers die Scheune selbst angezündet hätten um Versicherungsbetrug zu begehen. Zu dumm nur dass die Scheune gar nicht versichert war.
In der Umgebung von Jamel wird von den Neonazis das  bundesweite Netzportal MupInfo das  NPD, Kameradschaften und nicht organisierte Rassisten zusammenbringt betrieben.

14. August 2015. Am Tatort wurden Brandbeschleuniger gefunden. Im Gras haben sie zudem eine abgebrannte Lunte festgestellt. Laut Stefan Urbanek (Sprecher der Staatsanwaltschaft Schwerin) steht damit fest, dass das Feuer vorsätzlich gelegt wurde. Die Staatsanwaltschaft hat mittlerweile eine Belohnung für Hinweise ausgesetzt. Zwischenzeitlich sollen auch sämtliche Nachbarn zur Brandnacht befragt worden sein.
In der letzten Nacht hat eine Flüchtlingsunterkunft in Niederstedem (Eifelkreis Bitburg-Prüm) gebrannt. Verletzt wurde auch da glücklicherweise niemand weil die Bewohner zu dem Zeitpunkt nicht zu Hause waren.

Die Toten Hosen
28./29. August 2015. Das Ehepaar Lohmeyer bekommt beim diesjährigen 9. Festival für Toleranz und Demokratie, "Jamel rockt den Förster" den mit 10.000 Euro dotierten Georg-Leber-Preis für Zivilcourage der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt überreicht.  Das Festival findet statt, obwohl Bierbänke und Pavillons für das "Rock den Förster"-Festival in Flammen aufgegangen sind. In den letzten beiden Wochen sind zahlreiche Spenden eingegangen.
Etwa 1200 Menschen nehmen teil. Mehr als jemals zuvor. Überraschungsgast beim Forstrock sind die Toten Hosen. Sie singen "Sascha – ein aufrechter Deutscher", "Hier kommt Alex", "An Tagen wie diesen" und "Europa". Auch Manuela Schwesig (SPD - Bundesfamilienministerin) ist anwesend. Eröffnet wurde das Festival von Erwin Sellering (SPD - Ministerpräsident).
Sven Krüger hat am Samstag zu einer eigenen kleinen Feier eingeladen. Daher sortiert die Polizei am Ortseingang die Besucher. Nach links zu den Lohmeyers, nach rechts zu den Nazis.

6. Oktober 2015. Michel Abdollahi (Deutsch-Iranischer Reporter) wohnte für Interviews zum Film "Im Nazidorf" vier Wochen in einer Holzhütte auf einer Dorfwiese in Jamel um herauszufinden warum sich Jamel als "national-befreite Zone" gibt. Dabei kommt es insbesondere zu betont lockeren Gesprächen mit dem „Dorfchef“ Sven Krüger, die auch mit der Kamera festgehalten werden. Abdollahi erhält hierfür den deutschen Fernsehpreis.

21. Oktober 2015. Es wird bekannt dass Lohmeyers offenbar nach dem Brand eine Liste mit dreizehn Personen erstellt haben, die ihnen möglicherweise feindlich gegenüberstehen. Aufgeführt werden in der Liste offenbar auch Simone Oldenburg (Landtagsabgeordnete der Linksfraktion), Bernd Kolz (Stellvertretender Bürgermeister der Gemeinde Gägelow) und der Schatzmeister des örtlichen Kulturvereins Kuso. Nach einer Befragung durch die Polizei hat Oldenburg - ebenso wie zwei andere Verdächtige - ein Anwaltsbüro aus Wismar eingeschaltet. Es soll dabei um falsche Verdächtigung und üble Nachrede gehen.

22. Dezember 2015. Der Beamte der die Leute aus der Liste angerufen hat wurde offenbar schnell aus der Ermittlungskommission abgezogen. Die Liste mit Kontakten, auch aus der Hamburger Zeit der Lohmayers, wurde laut Frau Lohmeyer auf Bitten der Kriminalpolizei erstellt. Um Verdächtigungen soll es da nicht gegangen sein. Die Lohmayers bleiben weiterhin in Jamel.

Die Ärzte
28. August 2016. In Jamel findet unter der Schirmherrschaft von Manuela Schwesig (SPD / Bundesfamilienministerin) zum zehnten Mal „Jamel rockt den Förster“ statt. In diesem Jahr treten auf dem zweitägigen Festival unter anderem die Bands ZSK, Fettes Brot, Madsen oder die Ohrbooten auf. Als Überraschungsgäste treten in diesem Jahr kurz vor Mitternacht "Die Ärzte" auf und singen voller Inbrunst ihren großen Anti-Nazi-Hit „Schrei nach Liebe“ – mit ausgestreckten Mittelfingern in Richtung Dorfscheune, auf der die Reichsflagge weht.
Die 1200 Karten für die Eröffnungsveranstaltung am Freitagabend sind seit Längerem vergriffen. Die Polizei ist mit einem großen Aufgebot vor Ort und kontrolliert die Besucher schon auf der Zufahrtsstraße. Dennoch kommt es in der Nacht zu einer Attacke auf geparkte Autos. Bei zahlreichen Fahrzeugen werden von Unbekannten die Reifen zerstochen. Obwohl Festival-Gäste die Reifenstecher bemerken, können die Täter flüchten.

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Bilder aus Wikimedia Commons
Kirche in der Gemeinde Gägelow, Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported, Urheber: Schiwago
Die Ärzte, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, Urheber: Nela König (www.nelakoenig.com) / Hot Action Records
Die Toten Hosen, Lizenz: Creative Commons Attribution 3.0 Unported, Urheber: Die-Toten-Hosen.jpg: Michael Schilling

Weitere Kommentare bei Gar Nix zum Thema Rechtsextremismus
Quellen
28.08.2016, Tagesspiegel, Festival in Jamel, Nazi-Attacke auf Konzert gegen rechts
21.10.2015, NDR, Wirbel um Verdächtigenliste im Fall Jamel
06.10.2015, MDR, Panorama - die Reporter, Im Nazidorf
06.10.2015, MDR, Abdollahi: "Ich wollte die Nazis interviewen"
04.09.2015, FAZ, Künstlerpaar in Jamel, Hoher Preis für Engagement im „braunen Dorf“
30.08.2015, Tagesspiegel, "Forstrock" in Jamel bei Wismar, Campino singt im Neonazi-Dorf - gegen rechts
14.08.2015, Sueddeutsche, Brandanschlag in Mecklenburg-Vorpommern, "Die Neonazis sind verzweifelt"
14.08.2015, SWR, Brand in Niederstedem, Möglicherweise Anschlag auf Flüchtlinge
14.08.2015, NDR, Feuer in Jamel, Polizei findet Brandbeschleuniger
13.08.2015, Tagesspiegel, Jamel in Mecklenburg-Vorpommern, Dorf der rechten Angriffe
13.08.2015, Zeit, NEONAZIS, In Jamel-Deutschland
13.08.2015, taz, Jamel in Mecklenburg-Vorpommernm Ein nationalsozialistisches Musterdorf
13.08.2015, Spiegel, Verdacht auf Brandstiftung, Neonazi-Gegner in Jamel stehen unter Polizeischutz
13.08.2015, Tagesspiegel, Mecklenburg-Vorpommern, Brandanschlag auf Hof von Nazi-Gegnern
13.08.2015, FAZ, Verdacht auf Anschlag, Brand vernichtet Scheune von Neonazi-Gegnern
13.08.2015, Welt, MECKLENBURG-VORPOMMERN, Brandanschlag auf Hof von Nazi-Gegnern
13.08.2015, Spiegel, Verdacht auf Brandstiftung, Scheune von Neonazi-Gegnern in Jamel brennt ab
13.08.2015, Sueddeutsche, Jamel in Mecklenburg-Vorpommern, Brandanschlag auf Nazi-Gegner
13.08.2015, NDR, Scheune der Lohmeyers in Jamel abgebrannt
16.10.2012, FAZ, Neonazis, Hakenkreuze sieht man besser