Sonntag, 23. Februar 2014

Handwerkskammern und Meisterzwang

Die Wäscherin / Jean-Baptiste Simeon Chardin 019
Es gibt einen Großen Befähigungsnachweis. Darunter versteht man die gesetzliche Regelung die es in einigen Handwerken nur Meistern und Gleichgestellten erlaubt handwerkliche Betriebe zu führen. Man nennt das auch Meisterpflicht oder Meisterzwang. Wer ein derartiges Handwerk an der Handwerkskammer vorbei ausübt aber seine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge bezahlt ist laut Definition trotzdem ein Schwarzarbeiter dem Geldbußen bis in einer Höhe von 50.000 Euro drohen.

Daneben gibt es als alternative Regelung den Kleinen Befähigungsnachweis. Da ist der Meisterbrief nur zum Ausbilden von angehenden Handwerkern erforderlich. Dieser gilt für Handwerke bei denen der große Befähigungsnachweis nicht notwendig ist.

Die Handwerkskammer und die Meisterpflicht dienen nicht wie es behauptet wird dem Schutz der Verbraucher sondern dem Schutz der etablierten Handwerksbetriebe. Warum aber ausgerechnet Handwerksbetriebe einen derartigen Sonderschutz genießen kann mit logischen Gründen nicht nachvollzogen werden. Tante Emma Läden hat man einfach so den Bach runter gehen lassen. Daneben kommen in dem Fahrwasser der Betriebe die wirklich von Meistern geführt werden zu allem Übel auch noch Betriebe wie beispielsweise Billigfriseurketten die für mehrere Filialen nur einen einzigen Meister beschäftigen, sich aber Meisterbetrieb nennen dürfen und das Lohnniveau bei Friseuren mit Billigstlöhnen zerstören. Eine logische Folge davon ist Schwarzarbeit. Bei Reinigungsbetrieben haben die letztgenannten Sklaventreiber daher das Ruder bereits so gut wie komplett übernommen. Deutschland hat nach Dänemark in Europa die geringste Selbständigenquote wozu die Handwerkskammer ganz sicher einen nicht unerheblichen Beitrag geleistet hat. 
Der Schutz des Verbrauchers wird dadurch auch nicht besser und man muss sich fragen warum ein Tätowierer der dem Menschen wirklich fast irreparabel an die Haut geht dann im Gegensatz zum Friseur keinerlei Ausbildung vorweisen muss. Die meisten Handwerksbetriebe lassen die Arbeiten von Billiglöhnern ausführen. Am Schluss kommt - wenn man Glück hat - noch ein Meister auf der Baustelle zur Genehmigung vorbei. Das letztgenannte könnte man z.B. bei elektrischen Installationen zur Pflicht machen. Bei Friseuren und Putzkolonnen wo am Ende zur Kontrolle nicht mal ein Meister vorbeischaut ist das eh Makulatur.
Der Spiegelartikel "Böse Erfahrungen" von 1986 zeigt deutlich den Unsinn des Meisterzwangs auf, so beispielsweise ein ein Pfeifenbauer (gel. Schreiner), der seinem Prüfer, einem Drechsler erst das Bauen von Pfeifen beibringen muss oder eine Meistergattin die im eigenen Prüfungsausschuss sitzt. Der Milliardenkonzern Apple beispielsweise hätte in Deutschland nie entstehen können weil er hierzulande zu Beginn als Garagenfirma gleich gegen unzählige Auflagen und Zwänge verstoßen hätte. Industriemeister werden von den Handwerkskammern oft nicht anerkannt. Umgekehrt schon.
Insgesamt sind die Handwerksordnungen in Deutschland so irr und wirr dass sich wohl kaum einer in dem Dickicht mehr wirklich zurechtfindet. Klare Abgrenzungen zu handwerksähnlichen Betrieben gibt es nicht was zu massiven Rechtsunsicherheiten führt. Gut für Juristen und Richter. Schlecht für Menschen die einfach mit ihrer Arbeit Geld verdienen wollen. Es gibt kaum eine Branche die sich nicht irgendwann mit Abgrenzungsproblemen zu den Handwerkskammern herumschlagen muss. Die Handwerkskammern werden daher oft auch auch als Kraken bezeichnet. Bei den meisten Firmengründungen werden nebulöse Bestimmungen oft aus Unkenntnis nicht beachtet - oft mit schlimmen Folgen für den Gründer der im Zweifelsfall grundsätzlich Schuld ist.

Chronik

Im Handwerk gibt es seit dem Mittelalter Marktzugangsbeschränkungen.

1810. In Preußen wird der Meisterzwang aufgehoben.

19. Jahrhundert. Marktzugangsbeschränkungen werden regional und zeitlich sehr unterschiedlich umgesetzt.

1869. Die Gewerbefreiheit wird nach Verkündung der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes flächendeckend umgesetzt.

1897. Der Meistertitel wird wieder eingeführt.

1908. Der Meisterbrief wird von denen verlangt, die Lehrlinge ausbilden wollen. Die Handwerkerschutzgesetzgebung wurde dadurch zur Grundlage des Berufsbildungssystems.

1935. Zwei Jahre nach der Machtergreifung Adolf Hitlers wurde im Deutschen Reich der Meisterbrief als Voraussetzung zur Selbständigkeit in Deutschland im Handwerk wieder eingeführt. Der Zwang entsprach den neoständischen gesellschaftspolitischen Vorstellungen der Nationalsozialisten.

1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird in der US-amerikanisch besetzten Zone die Gewerbefreiheit auch im Handwerk wieder neu eingeführt.

10. Dezember 1948. In der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte steht in Artikel 20/2 folgender Satz: "Niemand darf gezwungen werden, einer Vereinigung anzugehören".

23. Mai 1949. Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird im Artikel 12/1 folgendes festgeschrieben: "Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden".

26. März 1953. Das Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HWO) wird im Bundestag in zweiter und dritter Lesung von den Abgeordneten aller demokatischen Parteien angenommen. Die Hälfte des Mittelstands die keinen Meisterbrief besaß wurde dabei völlig ignoriert. Der Text entspricht fast Wort für Wort dem NAZI-Gesetz von 1935.

24. September 1953. Das Gesetz zur Ordnung des Handwerks (HWO) tritt in Kraft.

17. Juli 1961. Das Bundesverfassungsgericht trifft mit der Entscheidunng BVerfGE 13.97 (1 BvR 44/55) eine Entscheidung zum Meisterzwang der eine empfindliche Einschränkung des Grundrechts auf freie Berufsausbildung darstellt.

17. Juli 1998. In der Drucksache 13/11291 wird mit dem Zwölften Hauptgutachten der Monopolkommission die Abschaffung des "Großen Befähigungsnachweises" welcher die Meisterqualifikation als Berechtigung zur Ausübung eines Gewerbes voraussetzt empfohlen. Die Meisterprüfung soll demnach freiwillig abgelegt werden können. Zur Ausbildung von angehenden Handwerkern soll sie laut Empfehlung jedoch zwingend vorgeschrieben sein.

1. Januar 2000. In Österreich ist der Meisterzwang seit heute abgschafft was ganz offensichtlich nicht geschadet hat.

Am 7. Dezember 2001 wurde der Kammerzwang und damit der Verstoß gegen die Menschenrechte mit einem Nichtannahmebeschluss einer Beschwerde gegen die Pflichtmitgliedschaft vom Bundesverfassungsgericht vorherst manifestiert.

2004. Mit knapper Mehrheit der rot-grünen Bundesregierung wird die Zahl der Handwerke, in denen eine Meisterpflicht besteht, deutlich reduziert. Auch die Berufsausbildungspflicht für nicht meisterpflichtige Berufe wird gekappt.

Im Dezember 2005 äußerte das Bundesverfassungsgericht "Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Regelungen der alten Handwerksordnung zum Meisterzwang". Der Fall wurde jedoch ohne eine Entscheidung für den Meisterzwang gelöst.

19.11.2012. Unter anderem dank des Meisterzwangs sind die Einkommen der Beschäftigten im Friseurgewerbe auf 5 bis 6 Euro pro Stunde gesunken.

01.07.2013. Das Handwerk will die Feudalherrschaft des Meisterzwangs europaweit einführen.

Weitere Kommentare zum Thema bei Gar Nix

Bilder aus Wikimedia Commons
Die Wäscherin, Lizenz: Public Domain, Herkunft / Fotograf: The York Project: 10.000 Meisterwerke der Malerei. DVD-ROM, 2002. ISBN 3936122202. Distributed by DIRECTMEDIA Publishing GmbH

Quellen
Michael Wörle, Selbständig ohne Meisterbrief, Was Handwerkskammern gerne verschweigen (Buch bei Amazon)