Donnerstag, 23. Januar 2020

Tessa Ganserer

Tessa Ganserer (2019)
Die deutsche Försterin und Politikerin Tessla Ganserer wurde am 16. Mai 1977 in Zwiesel geboren.

Sie wurde als Markus Ganserer geboren, gehört der politischen Partei Bündnis 90/Die Grünen an. Bei der Bundestagswahl 2021 zog sie über die grüne Landesliste in den 20. Deutschen Bundestag ein. 

Sie ist seit 2018 die erste Abgeordnete Transfrau im Bayerischen Landtag. Sie ist die erste Abgeordnete in Deutschland, die sich öffentlich als transidente Frau geoutet hat.

Nyke Slawik und Tessa Ganserer sind die ersten Transfrauen im Deutschen Bundestag. Slawik ist eine transidente Frau und zusammen mit Tessa Ganserer ziehen 2021 erstmals zwei Transfrauen in den Bundestag. Im Bundestag gab es mit Christian Schenk von den Linken bisher erst einen trans Abgeordneten, Schenk outete sich aber erst nach seiner Amtszeit, die im Jahr 2002 endete. Mit der Grünen Victoria Broßart sowie der SPD-Politikerin Ria Cybill Geyer (Brandenburg) waren bei der Wahl 2021 weitere trans Frauen auf den Wahllisten vertreten, sie schafften aber nicht den Einzug ins Parlament.

Sie ist queerpolitische Sprecherin der Grünen.

Sie ist mit Ines Eichmüller seit 2001 liiert und seit 2013 verheiratet. Eichmüller erfuhr erst nach der Heirat von Ganserers Transidentität und akzeptierte sie. Das Paar hat zwei Söhne.

Leben

Markus Ganserer
16. Mai 1977. Markus Ganserer wird in Zwiesel geboren. Er wächst im Bayerischen Wald auf.

1995. Er schließt nach dem Schulbesuch eine Ausbildung zum Forstwirt ab. Danach folgen der Besuch der Berufsoberschule, der Zivildienst und berufliche Tätigkeit im Garten- und Landschaftsbau.

1998. Er tritt der Partei Bündnis 90/Die Grünen bei.

2000 bis 2005. Er studiert an der Fachhochschule Weihenstephan Wald- und Forstwirtschaft mit Abschluss als Diplom-Ingenieur. 

2005 bis 2013. Er ist Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten Christian Magerl, und in dieser Funktion Nachfolger von Toni Hofreiter.

2008. Er kandidiert erstmals für den bayerischen Landtag.

2008 bis November 2018. Er ist Bezirksvorstand der Grünen Mittelfranken. Des Weiteren ist Ganserer stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Fragen des öffentlichen Dienstes.

Ab etwa 2009. Ganserer fühlt sich als Frau.

15. September 2013. Bei der Landtagswahl in Bayern tritt er im Stimmkreis Nürnberg-Nord an und erhält ein Mandat. Im Wahlkampf trat er mit Vollbart auf.

Markus Ganserer ist für seine Fraktion in der 17. Wahlperiode (2013–2018) ordentliches Mitglied in den Ausschüssen „Fragen des öffentlichen Dienstes“ und „Ausschuss für Wirtschaft und Medien, Infrastruktur, Bau und Verkehr, Energie und Technologie“. Von seiner Fraktion wird er für die Enquete-Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Bayern.“ berufen. Er ist mobilitätspolitischer Sprecher und betreut die Mobilitäts- und Forstpolitik der Grünen-Fraktion. 

14. Oktober 2018. Bei den Landtagswahlen verfehlt er das Direktmandat nur knapp. In seinem Stimmkreis Nürnberg-Nord bekommt Ganserer 25,9 Prozent der Erststimmen.

Ganserer, die das Transsexuellengesetz als Menschenrechtsverletzung bezeichnet, ist queerpolitische Sprecherin der grünen Landtagsfraktion und LGBTIQ-aktivistische Politikerin. Gemeinsam mit ihrer Frau kämpft sie insbesondere für die Rechte der Trans-Menschen.

10. November 2018. Er outet sich als erster deutscher Parlamentarier als Transident. Er wechselt zwischen zwei Geschlechtern, mal ist er Mann, mal ist er Frau. In beiden Rollen fühlt er sich wohl, er will sich nicht für eine entscheiden müssen.

Im Namen der Grünen kritisiert Ganserer das ihrer Ansicht nach völlig rückständige Transsexuellengesetz aus dem Jahr 1980. Dieses legt Menschen, die ihr Geschlecht wechseln wollen, Steine in den Weg. So werden für eine Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags, etwa im Personalausweis, weiterhin zwei psychologische Gutachten gefordert, welche die Betroffenen auch noch selbst bezahlen müssen. Die Landtags-Grünen sehen dies als Eingriff in die Privatsphäre und halten es für menschenunwürdig. Stattdessen sollte eine Person einfach per Antrag auf dem Standesamt sein Geschlecht ändern können, denn, so Ganserer: „Geschlechtsidentität ist ein Menschenrecht.“

23. November 2018. Tessa Ganserer sitzt beim Psychiater. Drei Monate hat sie auf einen Termin gewartet. Sie liest die Diagnose des Arztes, eine nüchterne Kombination aus Zahlen und Buchstaben, die für sie das reinste Glück bedeutet: ICD-10 und F64.0 - Transsexualität und Leiden unter der falschen Geschlechterrolle. Jetzt hat sie es amtlich, schwarz auf weiß, mit Stempel sozusagen. Es sind die letzten zehn Prozentpunkte, die ihr noch fehlten, um 110 Prozent sicher zu sein, 110 Prozent Frau: "Das ist für mich meine eigentliche Geburtsurkunde."

12. Dezember 2018. Tessa Ganserer packt die Kleidung von Markus Ganserer zusammen, stopft sie in Tüten und gibt sie einem Freund.

5. Januar 2019. Tessa Ganserer möchte keine Teilzeit-Frau mehr sein, nicht nur bei Freunden und daheim ihre wahre Identität leben, sondern immer. Sie möchte künftig als Frau unter dem Namen Tessa Ganserer leben. Bis zu einer gerichtlichen Entscheidung über eine Namensänderung und die geänderte Geschlechtszugehörigkeit nach den Regelungen des Transsexuellengesetzes bleibt es amtlich beim bisherigen Geschlecht und beim bisherigen Vornamen.

Der Landtag führt Ganserer unter dem Namen Markus (Tessa). Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) erklärt, dass sie – unabhängig vom rechtlichen Status – Ganserer als Frau behandeln werde. "Aus einem Kollegen wird eine Kollegin, das sollte hier im Haus kein Problem sein und respektiert werden - mir ist die Persönlichkeit eines Menschen immer wichtiger als das Geschlecht".

23. Januar 2019. Ilse Aigner gibt hierzu eine Stellungnahme vor dem Landtag ab: Sie bitte darum, Ganserer als Frau anzureden. Post sei an Markus (Tessa) Ganserer zu adressieren, eine explizite Anrede als „Herr“ sei nicht angezeigt. Aigner beruft sich darauf, dass noch „rechtliche Notwendigkeiten zu berücksichtigen“ seien, „über die wir uns nicht hinwegsetzen können“. Die notwendigen rechtlichen Schritte zur Änderung des Personenstands habe Ganserer bereits eingeleitet. Das vorgeschlagene Vorgehen sei im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Vor allen Dingen sei es aber ein Weg, „der Frau Ganserers Würde und ihr Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit achtet“.

August 2019. Ganserer erklärt, dass sie sich dem im Transsexuellengesetz festgelegten weiteren Verfahren für eine rechtliche Namensänderung und für die Personenstandsänderung verweigern werde: „Ich werde mich nicht vor einen Richter stellen, um mir intimste persönliche Fragen zu meinen frühkindlichen Erlebnissen, meinen sexuellen Präferenzen und Partnerinnen gefallen lassen, damit er für diesen Staat entscheiden kann, dass ich die Frau bin, die ich schon immer war.“ Im Geburtenregister bleiben deshalb der Eintrag „männlich“ und ihr Geburtsvorname bis auf Weiteres unverändert bestehen.

2020. Der Schwarzenbrucker Unternehmer Peter Weber, Betreiber der rechtspopulistischen Plattform "Hallo Meinung", der eine "Gesellschaft für freies Denken und politische Einflussnahme" propagiert, äußert sich in seinem Internetforum in einem Video zu europäischer Wirtschaftspolitik und Corona.

Unvermittelt blendet er ein Bild ein, dass Ganserer und mehrere Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität zeigt. Weber tituliert die Abgebildeten als "Figuren" und "Lachnummern", sie könne man "auf ne Kippenschachtel tun als Warnhinweis".

Bis Februar 2020. In den offiziellen Dokumenten des Bayerischen Landtags wird eine Formulierung nach Schema Familienname alter Vorname (neuer Vorname) verwendet.

Ab Anfang Juli 2020. In den Dokumenten und auf der Personenseite wird Ganserer nun ausschließlich mit ihrem weiblichen Vornamen Tessa geführt.

Ende April 2021. Das Amtsgericht Hersbruck verurteilt Peter Weber zu 40 Tagessätzen à 80 Euro. Es sei dem Angeklagten darum gegangen, die Frauen zu diffamieren, die "ehrbeeinträchtigende Äußerung" sei eine Menschrechtsverletzung, urteilt der Richter.

Doch Peter Weber will die 3200 Euro keinesfalls zahlen. Er habe irrtümlich alle der abgebildeten Frauen für Politikerinnen gehalten, und diese müssten sich schließlich mehr gefallen lassen als Bürgerinnen und Bürger ohne Amt und Würden. Er kündigt an, notfalls bis zum Bundesgerichtshof zu ziehen, und legt Berufung ein.

31. August 2021. Das Landgericht Nürnberg-Fürth verwirft Peter Webers Berufung und das Strafmaß wird erhöht. Weber muss nun 120 Tagessätze zu je 200 Euro zahlen, er ist damit vorbestraft.

Der Unternehmer habe Menschen an den Pranger gestellt, doch "Personen dürfen nicht zum Objekt degradiert werden", sagt Gerichtssprecher Friedrich Weitner. Der Vergleich mit einem Krebsgeschwür, vor dem auf Zigarettenschachteln gewarnt wird, sei beleidigend und herabwürdigend.

Tessa Ganserer bezeichnet das Urteil als einen Sieg für Demokratie und Menschenwürde. „Wir Menschen sind alle unterschiedlich, aber an Würde gleich. Transfeindliche Herabwürdigung ist keine Meinung und das Internet auch kein rechtsfreier Raum“, teilt sie mit.

26. September 2021. Bei der Bundestagswahl kann sich Tessa Ganserer als erste transgeschlechtliche Politikerin einen Sitz im Bundestag sichern. Die Grüne verliert zwar den Kampf um den Wahlkreis Nürnberg-Nord gegen den CSU-Direktkandidaten Sebastian Brehm. Doch über die bayerische Landesliste gelingt ihr der Einzug. Dort steht Ganserer auf Platz dreizehn.

Auf dem Wahlzettel für ein Novum steht sie als Markus (Tessa) Ganserer, also auch mit ihrem ursprünglichen Namen. "Deadname" nennen Transsexuelle ihren eigentlich abgelegten ursprünglichen Vornamen, Ganserer wollte ihn auch nicht auf dem Wahlzettel haben. Für den Landeswahlleiter war angesichts des rechtlichen Rahmens aber nicht mehr als Tessa in Klammern möglich. Der Grund ist, dass Ganserer ihren Eintrag im Melderegister und auf ihrem Personalausweis noch nicht änderte.

Das ist keine Nachlässigkeit von Ganserer, sondern eine politische Entscheidung: Um den Namen zu ändern, schreibt das aus dem Jahr 1980 stammende Transsexuellengesetz vor, zwei selbstbezahlte psychologische Gutachten und einen Lebenslauf über den transsexuellen Werdegang einzureichen. Am Ende entscheidet dann ein Richter über den Namenswechsel - ein entwürdigendes Prozedere, wie nicht nur Ganserer findet.

Bilder aus Wikimedia Commons
Markus Ganserer, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, Urheber: Markus Ganserer
Tessa Ganserer (2019), Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland“, Urheber: Michael Lucan

Quellen
05.01.2019, Sueddeutsche, Erste Transfrau im Landtag, Praxistest der Toleranz
11.11.2018, taz, Erster Trans*-Mensch im Parlament, Aus dem Schatten treten
10.11.2018, Sueddeutsche, Rollenbilder, Eine bunte Welt