Montag, 3. Februar 2020

Michael Kühnen

AIDS-Schriftzug
Der deutsche Neonazi Michael Aloysius Alfons Kühnen wurde am 21. Juni 1955 im Bonner Stadtteil Beuel geboren († 25. April 1991 in Kassel). Kühnen war in den 1980er Jahren ein Anführer der rechten Szene in Deutschland.

Kühnen bekannte sich offen zum Nationalsozialismus und desillusionierte damit alle, die geglaubt hatten, mit dem Aussterben der Kriegsgeneration würde sich das Problem des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik von alleine erledigen. Insbesondere knüpfte er dabei an den sozialrevolutionären Strömungen innerhalb der NSDAP und namentlich an die SA Ernst Röhms an, den er imitierte. Kühnen vertrat offen Positionen des Antisemitismus, den er mitunter als Antizionismus kaschierte. Eine von ihm gegründete „Antizionistische Aktion“ bekannte sich offen zum nationalsozialistischen Vernichtungsantisemitismus: „Ohne Lösung der Judenfrage, keine Erlösung der Menschheit“.

Als Gegenbewegung zur „Kulturrevolution“ seitens der 68er-Bewegung propagierte Michael Kühnen eine „völkische“ oder „Deutsche Kulturrevolution“, die sich antisemitisch gegen Materialismus und „Amerikanismus“ richtete. Die USA wurden dabei als Marionette Israels und des Judentums dargestellt und die „völkische Kulturrevolution“ als Allheilmittel gegen den Amerikanismus bezeichnet: „Der Amerikanismus ist die extremste Ausprägung bürgerlich-materialistischer Lebenshaltung […] und damit die Hauptkraft der heutigen Dekadenz.“ Materialismus sei dabei das „Werkzeug“ für die „Endziele des Zionismus bei seinem Kampf um die Weltherrschaft“.

Leben

21. Juni 1955. Michael Aloysius Alfons Kühnen wird in Beuel geboren. Er wächst in einem bürgerlich-begüterten liberal-katholischen Elternhaus als Einzelkind auf. Er besucht das katholische Collegium Josephinum Bonn und wird dort Schulsprecher.

Ab 1964. Er ist bei den  Jungen Nationaldemokraten (JN) und der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) aktiv. Später wirkt er bei der Aktion Widerstand, Aktion Neue Rechte (ANR), zeitweise ist er aber auch Mitglied bei der Jungen Union und sogar bei der maoistischen KPD (der Kulturrevolution fühle er sich auch noch 1989 verbunden). Kühnens Eltern missbilligen die politischen Aktivitäten ihres Sohnes.

1974. Kühnen legt am  katholischen Collegium Josephinum Bonn das Abitur ab. Danach dient er als Zeitsoldat bei der Bundeswehr und studiert an der Universität der Bundeswehr Hamburg,

1976. Während seiner Zeit bei der Bundeswehr intensivieren sich seine neonazistischen Kontakte.

1977. Er wird aufgrund seiner rechtsextremen politischen Tätigkeit als Leutnant fristlos entlassen. Danach ist er ausschließlich im rechtsextremen Politspektrum aktiv.

8. Mai 1977. Kühnen gründet gemeinsam mit zwei weiteren Rechtsextremisten eine Unterorganisation der von Gary Lauck gegründeten neonazistischen NSDAP-Aufbauorganisation namens „SA-Sturm Hamburg“.

26. November 1977. Aus der Organisation „SA-Sturm Hamburg“ entsteht die Organisation Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS).

1978. Kühnen wird wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen zu sechs Monaten Haft verurteilt.

Mai 1978. Mit einer von Kühnen organisierten Aktion bekommt die Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) bundesweite Publizität. Mehrere ANS-Mitglieder posieren mit Eselsmasken und den Holocaust leugnenden Pappschildern („Ich Esel glaube noch, daß in deutschen KZs Juden vergast wurden“) vor den Kameras von Journalisten. Kühnen wird schnell zum führenden Kopf der militanten deutschen Neonazi-Szene. Zu seinen Anhängern gehören u. a. Thomas Brehl (Wehrsportgruppe Fulda), Christian Worch, Steffen Hupka, Arndt Heinz und Marx Gottfried Küssel (der ihn während seiner Haftaufenthalte als Anführer der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) vertritt),

1979. Kühnen wird wegen Volksverhetzung und Verbreitung von neofaschistischen Propagandamaterialien im sogenannten Bückeburger Prozess zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt. Während der Haft schreibt er an einer weit gefassten Propagandaschrift Die zweite Revolution.

Ende der 1970er Jahre. Die Stasi beginnt damit, ein Dossier über Kühnen anzulegen. Einem später verfassten Auskunftsbericht zufolge schätzt das MfS ihn als „intellektuellen Drahtzieher des neonazistischen Untergrundes der BRD“ ein, der über „umfangreiche Verbindungen zu führenden Mitgliedern von rechtsextremistischen Terrororganisationen“ in Deutschland und ganz Westeuropa verfüge.

26. Mai 1981. Während seiner zweiten Haft wird nach einem verbandsinternen Appell zur Ausrottung der „Homosexuellen, Perversen und Verräter“ das ehemalige ANS-Mitglied Johannes Bügner (* 1955) aufgrund „erwiesener Homosexualität“ von fünf ANS-Leuten in der Feldmark bei Stemwarde erstochen. Kühnen streitet eine indirekte Täterschaft ab, distanziert sich von der Tat und widmet Bügner seine 1986 fertiggestellte 67-seitige Broschüre Nationalsozialismus und Homosexualität.

1982. Nach der Haftentlassung übernimmt er abermals die Leitung der ANS.

30. November 1982. Von bundesdeutschen Sicherheitsbehörden wird Kühnen als gefährlich eingestuft. Das Bundeskriminalamt führt ihn als terrorverdächtigen „Gefährder“ und schreibt ihn am zur bundesweiten polizeilichen Beobachtung aus.
An diesem Tag wird Kühnen nach mehr als vier Jahren Gefängnis aus der Haftanstalt im niedersächsischen Celle entlassen. Danach heisst es, er wäre mit einem Taxi direkt zu seinen Gesinnungsfreunden in Hamburg gefahren.

7. Dezember 1983. Der ANS wird vom Bundesinnenministerium verboten. Kühnen setzt sich nach Frankreich ab. Auf das Verbot der ANS reagiere Kühnen, unterstützt von Thomas Brehl und Christian Worch, indem er zunächst die ANS/NA-Kameradschaften in „Leserkreise“ umwandelt.

10. Januar 1983. Horst Männchen Leiter der Stasi Hauptabteilung (HA) III, zuständig für funkelektronische Aufklärung, sendet Gerhard Neiber (Stellvertretender Stasi-Minister) einen „Sachstandsbericht“ zu.
Gegenstand des Berichts ist die „festgestellte Zusammenarbeit zwischen dem westdeutschen Verfassungsschutz und dem Rechtsextremisten Kühnen, Michael“, wie es in dem Begleitschreiben Männchens an Neiber heißt. Demnach ist Kühnen am 30. November 1982, als er das Gefängnis in Celle verließ, in ein dort "auf ihn wartendes Kraftfahrzeug (gestiegen) …, amtliches Kennzeichen BS-EK (Nummer von der Stasi-Unterlagenbehörde geschwärzt – d.Red.), das als Taxi kenntlich gemacht worden war“. Bei diesem Auto „handelt es sich nachweislich um ein Dienstfahrzeug des LfV Niedersachsen“, heißt es in dem Bericht weiter. Kühnen sei mit dem Wagen von Celle bis nach Hamburg gefahren. Das Fazit des MfS-Berichts: "Möglicherweise war die mehrjährige Inhaftierung des K. (vom Verfassungsschutz – d.Red.) dazu genutzt worden, ihn als Informanten oder für eine Zusammenarbeit in anderer Form zu gewinnen."

1984. Kühnen wird in Frankreich verhaftet und nach Deutschland ausgeliefert. Die "Leserkreise" werden, zusammen mit anderen Organisationen, dann in der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) vereint. Weitere Nachfolgeorganisation ist, neben anderen, die ebenfalls rechtsextremistische Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP). Kühnen gründet außerdem die Wehrsportgruppe Werwolf. 

Januar 1985. Er wird zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt. Im Gefängnis erhält Kühnen einen fünfstündigen Besuch vom österreichischen Dichter Erich Fried.
Während seiner Haft bricht innerhalb der GdNF ein harter Richtungsstreit aus. Kühnens interner Rivale Jürgen Mosler ruft zur Ausmerzung aller „Schweine, Kranken und Perversen“ auf. Jeder Schwule sei ein „Verräter am Volk“ und mitverantwortlich für die Ausbreitung von AIDS. Angegriffen und ausgeschlossen wird auch das französische „Ehrenmitglied“ Michel Caignet, Herausgeber von Gaie France.

1. September 1986. Kühnen verteidigt die Vereinbarkeit von Homosexualität mit dem Nationalsozialismus und erklärt zusammen mit seinen Freunden den Austritt aus der GdNF, was zur Spaltung der Organisation führt. Der Austritt schmälert jedoch seinen Einfluss auf das Neonazimilieu nicht merklich.
In Broschüren und Rundschreiben entfaltet er seine an Hans Blüher und Ernst Röhm orientierte Theorie der Männerbünde:
„Die Kultur- und Staatswerdung beruhe auf ordensähnlichen, männerbündischen Prinzipien; die sexuelle Betätigung der ‚Volksgenossen‘ entspringe der liebevollen Hingabefähigkeit an die Gemeinschaft des nationalen Volkes und stehe nicht im Widerspruch zum neuen Nationalsozialismus.“
Seiner Ansicht nach hätten Männer kulturell lernen müssen, ihre „‚überschüssige‘ Sexualität so zu gebrauchen, daß sie nicht zum Schaden, sondern nach Möglichkeit sogar zum Nutzen der kulturellen Gemeinschaften sich auswirkt“; denn es entspreche für den Mann ganz offensichtlich „nicht seiner biologischen Bestimmung, seine Sexualität ausschließlich zur Fortpflanzung zu benutzen“. Eine Möglichkeit der nutzbringenden Sexualität sieht Kühnen in „sexuelle[n] Beziehung[en] zu anderen Männern oder geschlechtsreifen Knaben“. Seine Essays werden vielfach als Outing gedeutet, Kühnen selbst bestreitet dies, da „ausschließlich Haltung und Leistung im Kampf zählen und nichts anderes – schon gar keine privaten Bettgeschichten“ und äußert sich nie öffentlich zu seiner eigenen sexuellen Orientierung.

Januar 1989. Kühnen lässt sich erneut zum „Führer“ der FAP ausrufen.

1990. Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre entsteht im Osten Deutschlands ein Machtvakuum. Nach dem Fall der Mauer gibtr es dort viele, vor allem auch junge Leute, die anfällig für Hassbotschaften sind.
Michael Kühnen nennt die Aufnahmebereitschaft für Extremistisches Gedankengut welche das DDR-Regime hinterlassen hatte "Traumhaft" und verfasst den Arbeitsplan Ost, in dem er den Aufbau militanter rechtsextremer Strukturen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR beschreibt.
Der „Widerstandsgruß“, ursprünglich von der Aktion Widerstand benutzt, wird von ihm übernommen und später mediengerecht eingesetzt und als Kühnengruß bezeichnet. Dieser soll bewusst provozieren, ohne dabei strafrechtliche Konsequenzen nach sich zu ziehen, wie es mit dem ähnlichen Hitlergruß der Fall gewesen wäre. Er versteht es, die Massenmedien zu benutzen, um immer wieder Öffentlichkeit für seine Politik zu bekommen. Kühnen gelingt es, sowohl eine getreue Gefolgschaft als auch Kontakte zu fast allen neonazistischen Gruppierungen und Parteien im In- und Ausland aufzubauen.
Er gibt auch die Parole aus, dass man in die Stadien gehen und die Fankulturen politisieren soll. Der Aufforderung wird gefolgt. Rechtsextreme versuchen Jugendliche, vor allem junge Männer, in der ihnen bekannten Erlebniskultur der Fankurve abzuholen. Sie locken mit gemeinsamen Auswärtsfahrten, viel Alkohol und der Aussicht auf Gewaltaktionen.

1990. Schon körperlich gezeichnet, nimmt Kühnen als „Führer der Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ 1990 an den „Gedenkfeiern“ für Rudolf Heß und am „Gauleitertreffen“ in Fulda teil.

13. Februar 1990. Am Jahrestag der Luftangriffe auf Dresden, stellt David Irving (Schriftsteller und Holocaustleugner) diese vor ca. 500 Zuhörern als alliierten Völkermord dar. Damit fördert er rechtsextreme Aktivitäten in Ostdeutschland erheblich. Seine Deutschlandtournee wurde von Bela Ewald Althans organisiert. Auch Michael Kühnen und Christian Worch sind beteiligt.

21. April 1990. David Irving tritt im Münchner Löwenbräukeller auf einem Neonazikongreß mit 800 Teilnehmern auf. Dabei sind Michael Kühnen, Otto Ernst Remer, Gottfried Küssel, Robert Faurisson, Wilhelm Stäglich und Ahmed Rami.

1991. Michael Kühnen kündigt an, eine internationale Einheit aus Freiwilligen aufstellen zu wollen, die im Zweiten Golfkrieg auf der Seite des Irak kämpfen soll.

25. April 1991. Michael Kühnen stirbt in Kassel an den Folgen seiner Aids-Erkrankung im Krankenhaus. Danach löst sich die Organisation, die er aufgebaut hat, weitgehend auf. Die Mitglieder engagieren sich jedoch in verschiedenen anderen rechtsextremen Gruppierungen weiter. Christian Worch kolportiert dazu die Verschwörungstheorie, Kühnen sei nach seiner Auslieferung aus Frankreich durch die bundesdeutschen Behörden mittels einer Spritze gezielt mit HIV infiziert worden. 
Kühnen wird eingeäschert. Seine Beerdigung gestaltet sich problematisch: Kühnen hat vor seinem Tod testamentarisch verfügt, in Langen (Hessen) beerdigt zu werden, und seiner Familie verboten, sich um seine Beerdigung zu kümmern. Stattdessen verpflichtete er seine Verlobte und Christian Worch schriftlich dazu, seine Asche nach Langen zu bringen. Lange Zeit sind jedoch weder Langen noch andere dafür infrage kommende Städte bereit, Kühnen bei sich beerdigen zu lassen.

3. Januar 1992. Kühnen wird auf dem Kasseler Westfriedhof beigesetzt.

April 1992. Die Urne wird angeblich vom Kasseler Westfriedhof entwendet. Ein entsprechender Beitrag von Michael Born in Spiegel TV Magazin, in dem „Autonome“ die Urne ausgruben, ist jedoch gefälscht.

Bilder aus Wikimedia Commons
AIDS-Schriftzug, Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“, Urheber: Superaidsmaster

Quellen