Sonntag, 27. Dezember 2015

Irène Joliot-Curie

Irène Joliot-Curie
Die französische Physikerin und Chemikerin Irène Joliot-Curie wurde am 12. September 1897 in Paris geboren († 17. März 1956 ebenda). Sie erhielt mit ihrem Ehemann Frédéric Joliot-Curie 1935 den Chemienobelpreis für die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität. 

Irène Joliot-Curie war die ältere Tochter der Nobelpreisträger Marie Curie und Pierre Curie, Schwester der Schriftstellerin Ève Curie, Mutter der Atomphysikerin Hélène Langevin-Joliot und des Biochemikers Pierre Joliot.

Leben

12. September 1897. Irène Curie wird geboren.

1905. Ihr Vater stirbt als sie 8 Jahre alt ist. Sie wächst deshalb unter der Obhut ihres Großvaters Eugène Curie auf, der vor allem ihre politischen Ansichten beeinflusst. Ihre Mutter Marie Curie organisiert zunächst zusammen mit befreundeten Wissenschaftlern eine Lernkooperative, in der sie ihre Kinder selbst unterrichten. Unter anderem führt Marie Curie physikalische Experimente vor, und Paul Langevin lehrt Mathematik. Später besucht Irène das Collège Sévigné.

1914 bis 1918. Im Ersten Weltkrieg organisiert Marie Curie einen mobilen Röntgendienst für die Front. Zunächst hilft die 17-jährige Irène als Assistentin ihrer Mutter, bald leitet sie jedoch selbständig eine Röntgenstation im Militärkrankenhaus von Amiens. Daneben studiert sie Mathematik und Physik an der Universität von Paris.
Nach dem Krieg wird sie zunächst unbezahlte wissenschaftliche Mitarbeiterin im Radium-Institut ihrer Mutter, später erhält sie dort einen Unterassistenten-Posten. Am Institut lernt sie auch einen Chemie-Laboranten namens Frédéric Joliot kennen, den sie anleiten soll. 

1920. Sie schließt ihr Studium an der Universität von Paris in Mathematik und Physik mit dem Lizenziat ab.

1925. Sie wird promoviert. In ihrer Doktorarbeit am Radium-Institut in Paris untersucht Irène Curie die von Polonium emittierten Alphastrahlen. Dieses radioaktive Element hat ihre Mutter Marie Curie 1898 entdeckt (1903 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet). Dazu muss Irène Curie das Polonium aus zerstampften Radon-Ampullen, die zur Krebstherapie verwendet worden sind, herauslösen. Es gelingt ihr, präzise die Ausgangsgeschwindigkeit der Alphateilchen zu vermessen, wozu sie unter anderem ein selbst entworfenes Gerät benutzt.

9. Oktober 1926. Irène Curie und Frédéric Joliot heiraten. Frédéric holt sein Abitur nach, das er wegen des Krieges nicht abschließen konnte, macht sein Lizenziat und wird 1930 promoviert.

1927. Als erstes Kind wird Hélène geboren.

Ab 1928. Irène und Frédéric Joliot-Curie experimentieren gemeinsam.

1931. Sie wiederholen ein Experiment, das zuerst Walther Bothe und Herbert Becker ausgeführt haben: Mit Alpha-Teilchen aus einer starken Polonium-Quelle bestrahlen sie dünne Schichten verschiedener Materialien. Sofern diese Materialien Wasserstoff enthalten, entsteht dabei eine neue Strahlung, die die beiden als herausgeschossene Wasserstoffkerne, also als Protonen, interpretieren – sie haben knapp die Entdeckung des Neutrons verpasst. Das gelingt erst dem englischen Physiker James Chadwick, als er die Experimente wiederholt. Er erhält dafür 1935 den Physiknobelpreis.

1932. Der Sohn Pierre wird geboren. Das Forscherehepaar beobachtet in diesem Jahr in einer Nebelkammer positiv geladene Elektronen. Die beiden können das Ergebnis jedoch nicht einordnen und deuten es als Artefakt. Ihnen ist nicht bekannt, dass der englische Physiker Paul Dirac bereits 1931 das Positron als Antiteilchen des negativ geladenen Elektrons vorhergesagt hat – was viel über das damalige Verhältnis von Theoretikern und Experimentalphysikern sagt.

1933. Sie revidieren die Interpretation ihres Experiments, aber da ist ihnen bereits der US-Amerikaner Carl David Anderson zuvorgekommen.

Ab 1933. Irène und Frédéric Joliot-Curie gelingt die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität. Von allen chemischen Elementen gibt es verschiedene Versionen – so genannte Isotope –, die sich nur in der Masse des Atomkerns unterscheiden. Im Alltag sind die meisten chemischen Elemente stabil, weil die Halbwertszeiten ihrer radioaktiven Isotope so kurz sind, dass sie schon längst zerfallen sind. Marie Curie hat die ersten beiden radioaktiven Elemente Polonium und Radium entdeckt. Irène und Frédéric Joliot-Curie finden nun in mehreren Etappen heraus, dass sich radioaktive Isotope von chemischen Elementen auch künstlich herstellen lassen. Sie bestrahlen dazu Aluminiumfolie mit Alphateilchen, wobei sich ein stabiles Silizium-Isotop bildet. Sonderbarerweise wird bei diesem Vorgang aber anscheinend gleichzeitig ein Neutron sowie ein Positron emittiert. 

1934. Irène Joliot-Curie beteiligt sich erstmals mit ihrem Mann an einem Aktionskomitee antifaschistischer Intellektueller.

11. Januar 1934. Frédéric Joliot-Curie gelingt das entscheidende Experiment, mit dem er zeigen kann, dass in Wirklichkeit zwei Reaktionen schnell hintereinander ablaufen: Zunächst wandelt sich Aluminium-27 unter dem Beschuss mit Alphateilchen in das radioaktive Phosphor-30 um. Dabei wird ein Neutron emittiert. Unmittelbar danach zerfällt Phosphor-30 in Silizium-30 und stößt ein Positron aus (außerdem entsteht bei dieser Reaktion ein Neutrino, das bereits von Wolfgang Pauli vorhergesagt worden ist, aber erst 1956 beobachtet wird).
Diesmal erfassen Frédéric und Irène Joliot-Curie sofort die Tragweite ihrer Entdeckung. Über das Wochenende erzeugen sie noch künstlich ein radioaktives Stickstoff-Isotop aus Bor sowie ein radioaktives Aluminium-Isotop aus Magnesium. 

15. Januar 1934. Sie präsentieren ihre Ergebnisse in der Akademie der Wissenschaften.

1935. Irène und Frédéric Joliot-Curie werden für die Entdeckung der künstlichen Radioaktivität mit dem Chemienobelpreis ausgezeichnet.
Die Bedeutung ihrer Entdeckung lässt sich kaum überbewerten. In der Biologie werden radioaktive Isotope verwendet, um Stoffwechselwege aufzuklären. Bereits 1935 untersuchen Otto Chiewitz und George von Hevesy den Phosphorstoffwechsel von Ratten mit Phosphor-32. In der Medizin dienen radioaktive Isotope zur Diagnose und Therapie, zum Beispiel verschiedene Iod-Isotope bei Schilddrüsenüberfunktion. In seiner Nobelpreisrede sagt Frédéric Joliot-Curie sogar schon „Transmutationen explosiver Art“ voraus, vielleicht eine erste Ahnung der Atomspaltung. Der Chemienobelpreis von 1935 ist bereits der dritte Nobelpreis in der Familie (1903 Physiknobelpreis an Pierre und Marie Curie, 1911 Chemienobelpreis an Marie Curie).

1935. Irène Joliot-Curie erkrankt an Tuberkulose.

Frühjahr 1936. Die Volksfront unter Léon Blum gewinnt die Wahlen. Die Nobelpreisträgerin tritt als Staatssekretärin für Wissenschaft und Forschung in die Regierung ein und gehört damit zur ersten Gruppe von drei Frauen, die überhaupt jemals in Frankreich ins Kabinett berufen werden – Frauen in Frankreich haben noch nicht das Wahlrecht. Irène Joliot-Curie bleibt nur drei Monate auf dem Posten. Es geht ihr darum, ein Zeichen für die Frauenbewegung zu setzen.

1937. Sie wird auf eine Dozentenstelle an der Sorbonne berufen. In diesem Jahre hätte Irène Joliot-Curie in einem weiteren Experiment beinahe die Atomspaltung entdeckt. Zusammen mit dem serbischen Physiker Pavle Savić bestrahlt sie Uran mit Neutronen und registriert ein neuartiges, radioaktives Element mit einer Halbwertszeit von dreieinhalb Stunden. Sie interpretiert es schließlich als Lanthan-Isotop und veröffentlicht ihre Beobachtungen im Juli 1938. Eine Berliner Arbeitsgruppe um Otto Hahn möchte das Ergebnis nicht glauben, weil sie das Isotop selbst nicht finden kann. Hahn und sein junger Assistent Fritz Strassmann nehmen den Artikel jedoch ernst, wiederholen das Experiment und entdecken infolgedessen die Atomspaltung.

Juni 1940. Irène Joliot-Curies Arbeit wird durch den Zweiten Weltkrieg und eine Tuberkulose-Erkrankung unterbrochen. Nach der Besetzung von Paris durch deutsche Truppen flüchtet das Ehepaar nach Clermont-Ferrand, kehrt aber wieder in die Hauptstadt zurück. In Paris spielt ihr Mann eine riskante Doppelrolle als Forscher am Collège de France und als Résistance-Kämpfer. 

 6. Juni 1944. Irène Joliot-Curie reist sie mit ihren Kindern in die Schweiz, um einen neuen Anfall von Tuberkulose behandeln zu lassen.

18. Oktober 1945. In Frankreich wird ein Kommissariat für Atomenergie (Commisariat à l’énergie atomique) gegründet, als dessen Hochkommissar Frédéric Joliot-Curie berufen wird. Seine Frau wird eine von drei Kommissaren. Weil sie sich weiterhin auch politisch in den Kommunisten nahestehenden Organisationen engagiert, wird ihre Amtszeit nicht verlängert. 
Sie sorgt noch dafür, dass der erste französische Beschleuniger, ein Synchrozyklotron für Protonen, in Orsay, 25 Kilometer südlich von Paris, gebaut wird.

1947. Sie werden beide als korrespondierende Mitglieder in die Akademie der Wissenschaften der UdSSR aufgenommen.

1950. Sie wird gemeinsam mit ihrem Ehemann korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin. In diesem Jahr wird sie auch von der Maria-Curie-Skłodowska-Universität in Lublin mit der Ehrendoktorwürde ausgezeichnet.

1951 und 1954. Sie bewirbt sich viermal um einen Sitz in der Akademie der Wissenschaften, um die frauenfeindliche Tradition dieser Institution anzuprangern. Sie wird jedes Mal abgelehnt.

17. März 1956. Irène Joliot-Curie stirbt an einer Leukämie, wahrscheinlich eine Folge ihres Umgangs mit großen Mengen Polonium und ihrer Arbeit im Röntgendienst während des Ersten Weltkriegs. Die Regierung ordnet ein Staatsbegräbnis an.

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Bilder aus Wikimedia Commons
Irène Joliot-Curie, Lizenz: Public Domain, Urheber: Smithsonian Institution

Quellen