Sonntag, 16. Februar 2020

Brandanschläge von Mölln

Mölln
In der Nacht vom 23. November 1992 wurde von den Neonazis Michael Peters und Lars Christiansen mit Molotowcocktails in der schleswig-holsteinischen Kleinstadt Mölln, etwa 50 Kilometer nordöstlich von Hamburg, ein Brandanschlag auf zwei von türkischen Familien bewohnte Häuser verübt. Zuerst in der Ratzeburger Straße, ein paar Minuten später in der Mühlenstraße 9.  Das Verbrechen erregte bundesweites Aufsehen.

Im ersten Haus gab es kein Todesopfer, aber 9 teilweise schwer Verletzte. Im zweiten Haus starben die beiden 10- und 14-jährigen Mädchen Yelz Arslan und Ayşe Yılmaz sowie deren 51-jährige Großmutter Bahide Arslan in den Flammen.

Vorgeschichte

Anfang der 1970er Jahre ziehen Bahide und Nazim Arslan in die beschauliche "Eulenspiegelstadt" Mölln. Sie kommen als Gastarbeiter aus ihrem Heimatort Carsamba am Schwarzen Meer nach Deutschland.

Michael Peters der als Skinhead stadtbekannt ist, geht jahrelang mit Ayten Arslan in die gleiche Klasse. Wenn Bahide morgens ihren kleinen Imbiss aufmacht kommt er regelmäßig zum Essen.
In Hoyerswerda und Rostock werden nach der deutschen Wiedervereinigung Anfang der 1990er Jahre Ausländer von Neonazis terrorisiert.

Tathergang

Am Abend trinkt  der 25-jährige Hilfsarbeiter Michael Peters ("Pitti") ein paar Schnäpse und spielt mit seiner Mutter eine Partie Schach. "Pitti" war schon in der Grundschule gescheitert, hängte regelmäßig die Reichskriegsflagge aus dem Fenster und begrüßte das neue Jahr gern mit "Heil Hitler".

Der 19-jährige Lars Christiansen verbringt den Abend mit ein paar Bieren und Joints vor dem Fernseher. Um kurz vor Mitternacht schnappt er sich eine Bierkiste die mit Molotow-Cocktails gefüllt ist und steigt in seinen beigen VW-Polo um sich mit Michael Peters vor der Videothek in Mölln zu treffen.

Danach rasen die beiden in die Ratzeburger Straße 13. Dort wirft jeder der beiden zwei Molotow-Cocktails in ein Haus das von 6 türkischen Familien bewohnt ist. UM 0 Uhr 31, als das Haus bereits voll im Feuer steht rufen sie bei der Feuerwehr an: "In der Ratzeburger Straße  brennt es. Heil Hitler!"

Die Bewohner des Hauses können aus den Fenstern klettern und springen. Dabei verletzten sich 9 Menschen teilweise schwer. Alle kamen jedoch lebend heraus.

Nun fahren die beiden Neonazis zur Mühlenstraße 9, wo die Arslans wohnen, weiter. Dort giesen sie Bezin in den Flur und werfen danach Molotow-Coctails. Im Erdgeschoss in einem ehemaligen Laden stapelte sich Trödel welcher sofort in Flammen aufging. Der Brand griff blitzschnell aufs Treppenhaus, dem einzigen Fluchtweg der schlafenden Familie, über.

Um 1 Uhr 08 geht wieder ein Anruf der Täter bei der Feuerwehr ein: "In der Mühlenstraße brennt es. Heil Hitler!" Die Notruf-Fangschaltung führt jedoch nicht zu den Anrufern.

Im Haus der  Arslans hat derweil das Feuer die Türglocke zum schrillen gebracht. Die 51-jährige Großmutter Bahide Arslan weckte daraufhin die Großfamilie auf. Großvater Nazim konnte sich vom Laternenmast abseilen.

Hava Yılmaz wirft ihren 8-jährigen Sohn Namik in die Arme von Helfern und springt selbst aus 2. Stock und erleidet einen doppelten Beckenbruch.

Auch Ayten Arslan, ihre Schwägerin, damals 26 Jahre alt, stürzt sich mit ihrem 6-jährigen Sohn Emra aus dem zweiten Stock und überlebt. Bei dem Sprung bricht sie sich jedoch das linke Fußgelenk, die Beine und die Hüfte.

Die Großmutter Bahide versucht unterdessen die beiden anderen Kinder Yelz Arslan und Ayşe Yılmaz zu retten. Der 7-jährige Ibrahim Arslan wickelte sie in nasse Handtücher und trug sie in die Küche, die von den Flammen verschont blieb und wurde dann ohnmächtig. Dort wurde er vier Stunden später völlig durchnässt und starr vor Kälte - aber lebend aufgefunden. Seine Großmutter Bahide, seine Schwester Yelz Arslan und seine Cousine Ayşe Yılmaz sterben jedoch.

Der 24-jährige Vater Faruk Arslan ist an dem Abend bei seinem Bruder in Hamburg. Er wird von einem Freund angerufen: "Euer Haus brennt!". Faruk glaubte es zuerst nicht. Als er jedoch mit seinem Bruder in Mölln eintraf brannte das Haus immer noch. Seine Tochter Yelz stirbt im Krankenwagen. Ihr letztes Wort war "Papa".

Bestattung und Proteste

Die Toten von Mölln werfen von Faruk in ihrem Heimatort Carsamba bestattet. Auf Spruchbändern wird von Einheimischen bei der Beerdigung Vergeltung angedroht: "Ihr Schweine, weckt die Osmanen nicht auf." Weltweit wurde das Verbrechen mit Entsetzen registriert. Der "Boston Globe" schrieb: "Deutsche Nazus ermorden wieder Untermenschen". Auch in Deutschland fanden in den Wochen nach dem Vorfall überall in Deutschland spontane Großdemonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit statt. Nach Bahide Arslan wurden in mehreren deutschen Städten Straßen benannt. Auch die Gründung von "step21 - Initiative für Toleranz und Verantwortung" geht auf den Brandanschlag von Mölln zurück.

Ermittlungen und Urteil

Nach der Tat zog der Generalbundesanwalt zum ersten Mal die Ermittlungen an sich weil sie als "Anschlag auf die innere Sicherheit" Deutschlands gilt. Am 8. Dezember 1993 ab 11 Uhr 02 verkündet Hermann Ehrich (Vorsitzender des II. Strafsenats am Oberlandesgericht Schleswig) das Urteil: Lars Christiansen und Michael Peters werden für Schuldig erklärt. Wegen dreifachen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord an 39 Menschen und der besonders schweren Brandstiftung.

Der Haupttäter Lars Christiansen wurde 10 Jahren Haft nach dem Jugenstrafrecht verurteilt. Michael Peters zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Beide sind zwischenzeitlich wieder auf freiem Fuß. Lars Christiansen wurde bereits nach 7,5 Jahren im Juni 2000, Michael Peters nach 14 Jahren im November 2007 aus der Haft entlassen. Sie leben mit neuen Identitäten irgendwo in Deutschland. Für die Justiz ist damit der Fall abgeschlossen.

Das Leben der Arslans nach dem Brand

Aslans haben 3 Familienmitglieder verloren und kämpfen mit finanzieller Not. Vom den Behörden fühlten sie sich schikaniert, von den Medien gedehmütigt und von den Nachbarn geschnitten. Die Stadt stellt sie vor die Wahl entweder in einen Wohncontainer oder zurück in das renovierte Brandhaus in der Mühlenstraße 9 zu ziehen. Sie entschieden sich für das letztere. Es ist wohl die Hölle weil sie immer an die Terrornacht erinnert werden.

2000. Faruk zieht mit seiner Familie von Mölln weg. Weil er jedoch unter einer chronifizierten posttraumatischen Belastungsstörung leidet kann er nicht arbeiten. Er muss von Sozialhilfe leben. Seine Frau Hava muss immer noch starke Schmerzmittel nehmen. Ibrahim hat chronische Hustenanfälle und kämpft mit Schlafstörungen.

17. November 2012. Mehr als 700 Menschen erinnern unter dem Motto "Mölln 1992 - Rassismus tötet" mit einem Protestzug an den Brandanschlag von Mölln.
Die einzige Überlebende, die noch in Mölln lebt ist Ayten Arslan. Die Angst vor Anschlägen lässt sie nie mehr los. Nur die engsten Freunde kennen ihre Adresse und ihre Telefonnummer. Sie hat sich nach der Trennung von ihrem Mann zurückgezogen. Den linken Fuß kann sie bis heute nicht belasten.
Das Haus in der Mühlenstraße wurde saniert und nach Bahide Arslan benannt. Es ist wieder bewohnt.

23. November 2012. Zum 20. Jahrestag haben etwa 500 Gäste heute mit einem offiziellen Gedenkgottesdienst aus ganz Deutschland der Opfer gedacht. Neben Vertretern der Opfer-Familien nahmen auch H. Avni Karslioglu (Türkischer Botschafter), Thorsten Albig (SPD - Ministerpräsident von Schleswig-Holstein) und Kirsten Fehrs (Bischöfin des Sprengels Hamburg-Lübeck) dabei.

Bilder von Wikimedia Commons
Mölln, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, Attribution: Sfischer at German Wikipedia

Quellen
23.11.2017, Spiegel, Gedenken an den Anschlag in Mölln, Mahnmal der Schande
23.11.2017, Tagesspiegel, 25 Jahre nach Anschlag von Mölln, Brandzeichen im Idyll
23.11.2017, taz, Die Morde von Mölln vor 25 Jahren, „Das Thema ist ja nie weg“
23.11.2017, Sueddeutsche, Interview am Morgen, "Sie vergleichen Menschen mit Dönerfleisch und entschuldigen sich nicht"
23.11.2017, Tagesschau, Brandanschlag Mölln, Entsetzen ist ungebrochen
23.11.2017, NDR, Brandanschlag Mölln, Entsetzen ist ungebrochen
23.11.2017, Tagesschau, 25 Jahre nach Anschlag in Möllnm, Deutschland und die rechte Gewalt
27.10.2016, Focus, Buch von Ermittler Pflieger, Tödlicher Brand in Mölln: Wie ein Mädchen einen rechten Terror-Anschlag aufklärte
23.11.2012, Tagesspiegel, 20 Jahre Mordanschläge, Der Junge, der das Feuer von Mölln überlebte
23.11.2012, NDR, 20 Jahre nach Brandanschlägen, Mölln gedenkt
20.11.2012, Spiegel, Brandanschläge von Mölln, "Wenn ich Böller höre, kommt alles wieder hoch"
17.11.2012, NDR, 20 Jahre nach Brandanschlag - Mölln gedenkt