Blick über Iserlohn (2005) |
Die deutsche Politikerin Sarah-Lee Heinrich wurde am 22. März 2001 in Iserlohn geboren.
Sie ist seit Oktober 2021 Bundessprecherin der Grünen Jugend.
Heinrichs Kernthemen sind die soziale und die gesellschaftliche Spaltung mit einem besonderen Fokus auf der Arbeitslosenversicherung, bei der sie höhere Regelsätze und eine Abschaffung der Sanktionen fordert, sowie ein „kämpferischer Antirassismus“. Dabei beschreibt sie die soziale Spaltung als verbindendes Element diverser aktueller Krisen und bezeichnet sich als Aktivistin für soziale Gerechtigkeit.
Leben
22. März 2001. Sarah-Lee Heinrich wird in Iserlohn geboren. Sie wird von ihrer alleinerziehenden Mutter großgezogen, die Hartz IV erhält.
Nach einem Praktikum bei den Grünen in Unna beginnt sie sich politisch zu engagieren.
2017. Sie tritt der Grünen Jugend bei und gründet die Ortsgruppe Unna.
Ab 2017. Sie wird vom Schülerstipendienprogramm „Ruhrtalente“ gefördert.
2017 bis 2019. Sie ist die Sprecherin der Grünen Jugend der Ortsgruppe Unna.
2018. Erste mediale Aufmerksamkeit erlangt Heinrich, als sie in einem Tweet das Hartz-IV-System scharf kritisiert.
2019. Heinrich setzt sich für die Ziele von Fridays for Future ein und organisiert mehrere Demonstrationen in Unna.
Bis 2019. Sie besucht das Pestalozzi-Gymnasium in Unna und macht dort das Abitur. Während ihrer Schulzeit war sie unter anderem Schülersprecherin und setzte sich in Projekten wie dem Runden Tisch gegen Gewalt und Rassismus sowie für die Interessenvertretung der Schülerinnen und Schüler ein.
Ab 2019. Sie ist Sprecherin der Grünen Jugend Ruhr.
2019 bis 2020. Sie studiert an der Universität Bonn Politik, Soziologie und Philosophie. Sie ist die erste in ihrer Familie, die studiert.
2019 bis 2021. Sie ist Mitglied im Bundesvorstand der Grünen Jugend und zuständig für das Mitgliedermagazin.
Wintersemester 2020. Sie wechselt jedoch an die Universität Köln, um dort Sozialwissenschaften zu studieren.
13. September 2021. Anlässlich der Bundestagswahl 2021 äußert sie Kritik an SPD und Grünen, sich zu stark auf eine mögliche Ampelkoalition zu fixieren. Eine solche Koalition würde zu einem „progressiven Neoliberalismus“ führen. Sie fordert stattdessen mehr Offenheit zu einem Bündnis mit der Linkspartei.
9. Oktober 2021. Auf dem 55. Bundeskongress der Grünen Jugend in Erfurt wird Heinrich mit 93,84 Prozent der Stimmen zur Bundessprecherin und zugleich Timon Dzienus zum Bundessprecher der Grünen Jugend gewählt.
Sarah-Lee Heinrich betont stark die sozialen Punkte des grünen Programms. "Hartz IV ist der größte Scheiß", so beginnt sie ihre umjubelte Bewerbungsrede. "Wir sind Kinder, die ihren Eltern dabei zuschauen, wie sie still schlechte Arbeitsbedingungen ertragen, weil die Alternative Hartz IV noch viel schlimmer wäre ... Viele Menschen haben Angst, dass Klimaschutz bedeutet, dass es ihnen schlechter gehen wird. Das kann ich verstehen, denn auch sie wissen, wie löchrig unser Sozialstaat ist und dass sie, sobald sie arbeitslos werden, in dieser Gesellschaft nichts mehr wert sind.“ Sie kritisiert einen Mangel an Ausbildungsplätzen, schlecht bezahlte Nebenjobs für Studenten und Benachteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte.
Mit dem bisherigen Verlauf der Sondierung sei sie "voll zufrieden", sagt Sarah-Lee Heinrich. "Das Sondierungsteam holt so viel raus, wie eben auch möglich ist." Und trotz aller starken Töne gegen die Liberalen: Eine Absage an die FDP sei der Bundeskongress nicht gewesen. "Wir schließen Jamaika aus, aber nicht die Ampel. "Das sagt Heinrich - und schiebt doch gleich wieder eine Drohung hinterher. "Wenn die FDP versucht, Fragen von höheren Löhnen, Fragen von Ausbildungsplatz-Garantie abzuräumen, weil sie den Arbeitgebern nicht zu sehr auf die Füße treten möchte, dann werden wir auf jeden Fall da sein und laut sein."
10. Oktober 2021. Sarah-Lee Heinrich bedauert einen vor Jahren auf dem Account der damaligen Jugendlichen veröffentlichten Tweet. „Ich wurde gerade auf einen Tweet aufmerksam, in dem mein Account im Jahr 2015 „Heil“ unter einen Tweet mit Hakenkreuz kommentierte“, schreibt sie auf Twitter. Sie könne sich nicht erinnern, jemals einen solchen Tweet abgesetzt zu haben - aber das mache es nicht besser. „Das war maximal dumm und unangebracht.“
Schon vor ihrer Äußerung zu dem „Heil“-Tweet hat Heinrich auf Twitter beklagt, seit ihrer Wahl versuchten Rechte, Shitstorms gegen sie hochzuziehen. „Haben wohl Bammel vor einer schwarzen, linken Frau.“ Es kursierten Screenshots von alten Tweets von ihr, „die zum Teil vulgär oder beleidigend sind“, mit Worten wie „Tunte“.
Der neu aufgetauchte Tweet löst eine Debatte auf Twitter aus. Unter dem Hashtag #Rassistin nehmen Nutzer Stellung zu den Äußerungen der Grüne-Jugend-Sprecherin. Heinrich betont, sie sei Teil einer antifaschistischen Jugendorganisation. „Dieser Tweet spiegelt in keiner Weise meine Position wieder. Es tut mir wirklich leid, einen solchen Tweet jemals abgesetzt zu haben.“ Der Tweet wird später gelöscht.
Es sind jedoch nicht irgendwelche alten Tweets. Heinrichs Einlassungen und Kommentare sind zum Teil offen antisemitisch, homophob, sexistisch. 2015 hielt es der Teenager offenbar für klug oder lustig, folgenden Satz zu posten: »Wörter, die ich zu oft benutze: – Same – Heil«. In einem anderen Tweet benutzte sie den Ausdruck »Tunten« als Beleidigung, mal schrieb sie, zweimal, in Großbuchstaben: »Fotze«.
Kritik gibt es auch daran, dass Heinrich im Zusammenhang mit „Fridays for Future“ einst von einer „eklig weißen Mehrheitsgesellschaft“ gesprochen hat, die der Klimabewegung nur so wohlgesonnen sei, weil sie von weißen Bürgerkindern dominiert werde. Heinrich hat sich bereits 2019 für die Formulierung entschuldigt, das Wort „eklig“ sei „fehlplatziert“ gewesen, „ungerecht hätte es auch getan“.
„Was bei den Screenshots von Tweets mit Absicht rausgenommen wird: Die sind von 2014/2015“, kritisiert sie. „Da war ich 13/14 Jahre alt.“ Sie fordert: „Messt mich und kritisiert mich gern an meinen Positionen und meiner politischen Arbeit. Ich werde mich jetzt nicht zu allem erklären, was ich mal so mit 14 gedacht und gesagt habe, das verlange ich auch von niemandem“.
»Jugendsünden«, sagen manche, die sie verteidigen. Andere finden: »Das hört man auf jedem Schulhof.« Wer auf Twitter die Suchbegriffe »Als ich 14 war…« eingibt, findet heraus, was anscheinend alles normal ist in diesem Alter. Da erzählen Menschen unter anderem davon, dass in der Klasse Hakenkreuze auf die Schultische gemalt wurden, dass »schwul« als Schimpfwort benutzt wurde.
Klar, Teenager wollen ihre Peers beeindrucken, und oft ist es egal, wer dabei verletzt wird. Antisemitisch aber sind Teenager vor allem dann, wenn die Gesellschaft sie lässt. Aussagen wie denen von Sarah-Lee Heinrich muss widersprochen werden – analog auf dem Schulhof genauso wie in der digitalen Welt auf Twitter. Dass die Sprecherin der Grünen Jugend ihre Äußerungen als Jugendliche scheinbar normal fand, fällt deshalb vor allem auf unsere Gesellschaft zurück.
Katrin Göring-Eckardt (Die Grünen - Fraktionschefin) schreibt an die Adresse Heinrichs: „Wir machen alle Fehler. Du stehst dazu und entschuldigst dich. Danke dafür. Aber auch danke, dass du klar sagst, was ist, Ausgrenzung durch Armut, durch NichtWeissSein, durch Rassismus oder Gleichgültigkeit.“
Auch Cem Özdemir (Die Grünen) meldet sich zu Wort. Es gebe einen Unterschied zwischen Heinrich und „denen, die sie gerade angreifen. Sie hat mit 14 dummes Zeug geschrieben & sich dafür entschuldigt.“
Antisemitismus, Homophobie, Rassismus, alles irgendwie normal in Deutschland, und noch normaler unter 14-Jährigen. In genau dieser Normalität liegt der Skandal, der niemanden überraschen kann, der jemals Menschen zugehört hat, die nicht zur weißen, christlichen Mehrheitsgesellschaft gehören. Wer in der letzten Woche Nachrichten gelesen hat, erfuhr zum Beispiel vom jüdischen Musiker Gil Ofarim, der, so erzählt er es, nicht in sein Hotel einchecken durfte, weil er einen Davidstern an seiner Kette trägt. Seinen Aussagen folgten Empörung und Protest. Gut so.
Im Moment sind jedoch vor allem jene Stimmen am lautesten, die sonst antisemitische, rassistische oder sexistische Äußerungen bis aufs Blut verteidigen. Die, die so gern gegen die »Cancel Culture« wettern. Freundlich unterstützt wird die Kampagne gegen Heinrich, inklusive rassistischer Beleidigungen und Morddrohungen, von einem Algorithmus, der zwar keine Gefühle hat, aber Wut und Empörung liebt.
Shitstürme sind kein Widerspruch, sondern eine Ablenkung vom eigentlichen Problem. Wenn Teenager auch heute noch in einer Welt aufwachsen, in der es normal ist, Menschen auszugrenzen, zu beschimpfen, ganze Menschengruppen zu diskreditieren, dann dürfen sie sich auf dieser »Normalität« nicht ausruhen können. Sie müssen es anders lernen. Ziel beim Widerspruch ist es unter anderem, Anstöße zu geben, Dinge zu entlernen.
Auffällig bei der Debatte um Sarah-Lee Heinrich und auch bei der um die WDR-Journalistin Nemi El-Hassan ist, dass rechte Netzwerke in der Zwischenzeit sehr professionell in die Schwachstellen digitaler Jugendbiografien zielen. Eine junge Frau kommt in eine Position, daraufhin wird aktiv in ihrer Vergangenheit gesucht beziehungsweise belastendes Material, das schon vorher zugänglich war, eindeutig anlassbezogen maximal skandalisiert präsentiert. Entschuldigungen werden nicht akzeptiert, Sinneswandel oder eine charakterliche Reifung und Entwicklung auch nicht. Um es mit einem Zitat von Mahatma Gandhi zu schreiben: Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich und dann gewinnst du. Ob die Hasser es wollen oder nicht Frauen sind ganz oben in der Politik angekommen und da werden sie auch bleiben.
11. Oktober 2021. "Sarah-Lee Heinrich erhält gerade massenhaft Morddrohungen", erklärt die Grüne Jugend. "Sie wird sich daher erst in den nächsten Tagen äußern und das Geschehen einordnen - vorerst geht die Sicherheit von Sarah-Lee Heinrich und ihrem Umfeld vor Interviews."
Timon Dzienus äußert sich beim TV-Sender "ntv", möchte zu den Tweets seiner Co-Sprecherin aber explizit nichts sagen. Allgemein sagt er aber: "Es braucht mehr Fairness", auf Twitter sei bewusst Stimmung gegen Heinrich gemacht worden. "Es bringt nichts, das Verhalten von sehr, sehr jungen Leuten zu kritisieren".
14. Oktober 2021. Sarah-Lee Heinrich, will sich nach der Kontroverse um frühere Äußerungen von ihr und Drohungen nicht aus der Öffentlichkeit zurückziehen. „Dann hätte der Shitstorm ja sein Ziel erreicht“, sagt sie in einem Interview, das „Zeit Online“ veröffentlicht.
„Mich haben in den vergangenen Tagen eine Vielzahl von Morddrohungen erreicht“, sagt sie. Der „Shitstorm“ gegen sie sei von rechten Netzwerken ausgegangen, die Gruppen gegeneinander ausspielen wollten. „Sie sagen, dass man sich entscheiden muss: Wer für Klimaschutz ist, ist unsozial“, führt Heinrich aus.
Dabei gehe es etwa um „eine Klimaschutzpolitik, die nicht auf dem Rücken von Armen ausgetragen wird“. Sie sei bewusst nicht wegen ihrer sozialpolitischen Positionen angegriffen worden, sagt Heinrich. „Das wäre ja auch schwierig gewesen. Rechte können ja nicht sagen, dass sie gegen Sozialpolitik sind. Deshalb wird im Internet gezielt nach Möglichkeiten gesucht, uns als Partei oder mich als Person zu diskreditieren.“
Über alte Äußerungen von ihr, die sich als Gewaltandrohung oder -phantasie verstehen lassen, sagt Heinrich: „Als ich die Tweets geschrieben habe, war ich 13, 14 Jahre alt, da habe ich sehr viel Zeit im Internet verbracht und habe mich vor allem mit Battlerap und der damaligen YouTuber-Szene beschäftigt.
Da herrschten ein anderer Ton und ein anderer Humor, vor allem, was diskriminierende Witze und Sprüche angeht. Sie habe das damals für normal gehalten, aber das sei es nicht, weswegen sie die Tweets schon vor vielen Jahren gelöscht habe.
„Der Kritik an meinen Aussagen stelle ich mich gerne und finde sie auch wichtig. Aber ein Shitstorm macht eine kritische Auseinandersetzung für alle Seiten unmöglich“, erklärte Heinrich. Darum sei es jenen, die den Shitstorm befeuert hätten, auch nicht gegangen, sondern darum sie einzuschüchtern. „Sonst hätten sie das Datum der Tweets auch nicht weggestrichen.“
Heinrich plädiert für mehr Toleranz in der öffentlichen Auseinandersetzung. „Ich finde es wichtig, Menschen an ihren Taten zu messen und an den Positionen, die sie in der Gegenwart vertreten“, sagte sie. Das müsse auch für Politiker anderer Parteien gelten.
Sie habe sich als Jugendliche im Internet mit anderen Menschen auch über Armut, soziale Ungleichheit oder die Black-Lives-Matter-Proteste ausgetauscht. „Meine Freunde haben mich in der Schule übrigens ‚Moralapostel‘ genannt, weil ich mich sehr viel mit Ungleichheitsfragen und Antidiskriminierung beschäftigt habe. Die haben gesagt: Sarah, das ist jetzt ein bisschen drüber.“
In dem Interview reagiert Heinrich auch auf die Kritik der Schriftstellerin Elke Heidenreich. Diese hat in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ erklärt, Heinrich habe „überhaupt keine Sprache. Sie kann gar nicht sprechen. Das sind wieder Kinder, die nicht lesen, das ist diese Generation, von der ich immer wieder merke, wie sprachlos sie ist, wie unfähig mit Worten umzugehen“.
Darauf angesprochen sagt Heinrich „Zeit Online“: „Zuletzt habe ich ‚Die Tribute von Panem‘ gelesen, den neuen Teil. Außerdem engagiere ich mich seit ein paar Jahren politisch. Und dafür verwende ich eigentlich ziemlich viele Worte.“
Blick über Iserlohn (2005), Lizenz: Creative-Commons „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“, Urheber: Asio otus