Sonntag, 11. November 2018

Cum/Ex- und Cum/Cum-Steuerbetrug (Dividendenstripping)

Aktie eines US-Unternehmens von 1968
Unter Dividendenstripping wird börsentechnisch die Kombination aus dem Verkauf einer Aktie kurz vor dem Termin der Dividendenzahlung und Rückkauf derselben Aktie kurz nach dem Dividendentermin verstanden.

Inländischen Aktionären steht eine Steuererstattung zu, ausländischen nicht. Banken haben daraus ein Geschäft gemacht. Sie kaufen die Aktien ausländischer Kunden kurz vor Auszahlung der Dividende und verkaufen sie danach sofort zurück. Bei diesen als Cum-Ex bezeichneten Geschäften kam es in der Vergangenheit in großem Umfang zu bewusst herbeigeführter mehrfacher Erstattung von nur einmal abgeführter Kapitalertragsteuer. Ob hierbei der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt wurde oder eine legale Steuergestaltung genutzt wurde, wird von den Beteiligten immer wieder als „umstritten“ dargestellt. Nach Ansicht der deutschen Bundesregierung sind die Geschäfte illegal. Sie sind Gegenstand zahlreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungsverfahren.

Eine ebenfalls zu Lasten des deutschen Steuerzahlers gehende Form des Dividendenstrippings sind Cum/Cum-Geschäfte oder Cum-Cum-Trades zur Umgehung der Kapitalertragssteuer für ausländische Anleger.

Aktienrechtliche Grundlagen

Beschließt die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft die Höhe der zu zahlenden Dividende, so erfolgt die Dividendenzahlung meist am Tag nach der Hauptversammlung, dem so genannten Ex-Tag. Die Aktie erhält dann auf dem Kurszettel den Kurszusatz „ex Dividende“ (abgekürzt auch „xD“, „exD“ oder „exDiv“). Anspruch auf Dividende hat ein Aktionär nur, wenn seine Aktie am letzten Tag vor dem Ex-Tag in seinem Depotkonto verbucht war. Dieser letzte Tag vor dem Ex-Tag wird auch Cum-Tag genannt. Bei Aktienerwerb am Ex-Tag selbst besteht kein Dividendenanspruch mehr. Am Ex-Tag erfolgt im Idealfall ein rechnerischer Abschlag vom Börsenkurs in Höhe der Bruttodividende. Mit dem Dividendenanspruch ist untrennbar der Steueranrechnungsanspruch für inländische Steuerpflichtige verbunden.

Steuerrechtliche Auswirkungen

Verkauft ein Aktieninhaber eine Aktie kurz vor dem Dividendentermin und kauft die Aktie kurz nach dem Dividendentermin wieder zurück, wandelt er einen Dividendenertrag in einen Kursgewinn um. Eine derartige Transaktion ist zwischen einem inländischen und einem ausländischen Investor sinnvoll. Da der Ausländer nicht dem deutschen Steuerrecht unterliegt, kann er nicht ohne Weiteres eine Steuergutschrift beantragen; die Bescheinigung für die bereits abgeführte Dividende bringt ihm keine Steuervorteile. Deshalb verkauft der Ausländer seine deutschen Aktien vor dem jeweiligen Ausschüttungstag an einen Inländer. Der Inländer vereinnahmt die Dividende nebst Steuergutschriftsanspruch und verkauft die Aktien danach zurück an den Ausländer zum niedrigeren Kurs – abzüglich der Dividende. Damit bezahlte der Inländer den ausländischen Anteilseignern über den Marktpreis der Anteile den Wert des Anrechnungsanspruchs. Statt einer Dividende realisiert der Ausländer einen Kursgewinn (höherer Verkaufskurs abzüglich niedrigerem Rückkaufskurs).

Bis zur Einführung der Abgeltungssteuer war das Dividendenstripping auch für inländische Privatanleger vorteilhaft, da Kursgewinne außerhalb der Spekulationsfrist nicht der Einkommensteuer unterlagen.

Cum/Ex-Geschäfte

War der Verkäufer der Aktie ein Leerverkäufer, der die Aktie erst nach Dividendentermin tatsächlich erwirbt, konnte es vorkommen, dass gleich zwei Aktionäre – nämlich der ursprüngliche Inhaber und der Käufer des Leerverkäufers – eine Bescheinigung und damit einen Anspruch auf eine Steuergutschrift erhielten. Als Konsequenz erstatteten die Finanzämter mehr Steuern, als sie zuvor eingenommen hatten.

Beispiel: Leerverkäufer „LV“ veräußert vor dem Dividendenstichtag Aktien (Cum) zum Kurswert von 100 € an den Leerkäufer „LK“. Die Aktiengesellschaft beschließt, eine Bruttodividende je Aktie in Höhe von 10 € zu zahlen. Nach dem Dividendenstichtag erwirbt LV die Aktien ohne Dividende (Ex) von X zum geminderten Kaufpreis in Höhe von 90 € und überträgt diese an LK. Zusätzlich leistet er an LK eine Kompensationszahlung in Höhe der Nettodividende von 7,50 €. LK erhält genauso wie X eine Steuerbescheinigung in Höhe von 2,50 € und wird damit so gestellt, als habe er wie vereinbart die Aktie mit Dividendenanspruch erworben. Im Ergebnis macht LV einen Gewinn in Höhe der doppelt bescheinigten Kapitalertragssteuer. Hätte LK die Aktien direkt von X erworben, wäre durch einen Sperrvermerk im Depot von X die doppelte Bescheinigung verhindert worden. Im Fall des Leerverkaufs war aus Sicht der bescheinigenden Depotbanken die Dividenden-Kompensationszahlung nicht von einer Nettodividende zu unterscheiden.

Mehrfache Steuerbescheinigung

Die mehrfache Bescheinigung der Kapitalertragssteuer resultiert aus § 45a Abs. 3 S. 1 EStG auf Seiten der depotführenden Bank des ursprünglichen Aktieninhabers und aus § 45a Abs. 3 S. 2 EStG auf Seiten der Depotbank des vom Leerverkäufer Erwerbenden. Die doppelt bescheinigte Kapitalertragssteuer sollte die depotführende Bank des Leerverkäufers ab 2007 gemäß der Neuregelung des § 44 Abs. 1 S. 3 EStG bei diesem einziehen und an das Finanzamt weiterleiten. Diese Regelung konnte der Leerverkäufer umgehen, indem er sich einer ausländischen Bank, die nicht zum inländischen Kapitalertragsteuereinbehalt verpflichtet ist, bediente.

Mehrfache Anrechnung

Rechtlich unklar ist, ob der vom Leerverkäufer Erwerbende die Erstattung der ihm ebenfalls bescheinigten Kapitalertragssteuer beim Finanzamt beantragen durfte. Gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG ist die erhobene Kapitalertragssteuer anrechenbar, soweit sie auf Einkünfte entfällt, die im Rahmen der Veranlagung erfasst wurden oder nach bestimmten Steuerbefreiungsvorschriften (§ 3 Nr. 40 EStG oder § 8b KStG) außer Ansatz bleiben. Zur Anrechnung muss somit nicht nur eine Bescheinigung vorliegen. Weitere Voraussetzung ist auch die Erhebung der Kapitalertragssteuer und die Zurechnung zu Einkünften, die in der Veranlagung erfasst werden. Nach der Rechtslage bis 2007 stellte die Dividendenkompensationszahlung keine Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG, sondern lediglich eine Schadenersatzzahlung dar. Demnach entfiel die bescheinigte Kapitalertragssteuer auch nicht auf Einkünfte, die in der Veranlagung berücksichtigt wurden. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass der Leerkäufer auch wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien (§ 39 AO) zum Dividendenzeitpunkt war und ihm deshalb auch nach der Rechtslage vor 2007 die Dividenden als Kapitaleinkünfte zuzurechnen sind. Ab 2007 ist die Dividendenkompensationszahlung durch den neu eingefügten Satz 4 im § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG den Einkünften aus Kapitalvermögen zuzurechnen. Damit entfiel die Kapitalertragssteuer ab 2007 grundsätzlich auf Einkünfte, die auch in der Veranlagung erfasst wurden. Ob die weitere Voraussetzung des § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG, die Erhebung der Kapitalertragssteuer, aus Sicht des Leerkäufers erfüllt ist, bleibt allerdings auch für Zeiträume ab 2007 fraglich.

Seit 2012 sind nicht mehr die Aktiengesellschaften selbst, sondern die depotführenden Banken zur Abführung der Kapitalertragssteuer verpflichtet, sodass eine Übereinstimmung zwischen Bescheinigung der Kapitalertragssteuer und tatsächlicher Erhebung gewährleistet ist.

Cum/Cum-Geschäfte

Ein Cum/Cum-Geschäft oder Cum-Cum-Geschäft (von lateinisch cum ‚mit‘ für Wertpapiere mit Dividendenausschüttungsanspruch) ist eine steuerrechtlich problematische Kombination aus dem Verkauf einer Aktie kurz vor dem Dividendentermin und Rückkauf derselben Aktie kurz nach dem Dividendentermin.

Geschäftsmodell

Cum/Cum-Geschäfte werden wie folgt durchgeführt: Wenn deutsche Unternehmen eine Dividende ausschütten, müssen ausländische Anleger darauf normalerweise etwa 15 % Kapitalertragsteuer abführen. Um das zu umgehen, verleihen sie ihre Aktien (Wertpapierleihe) vorübergehend kurz vor dem Dividendenstichtag an einen in Deutschland ansässigen Finanzdienstleister, der sich die Kapitalertragsteuer vom Staat erstatten lassen kann. Kurz nach dem Dividendenstichtag werden die Aktien an den bisherigen ausländischen Besitzer zurückgegeben. Die Kursrisiken werden währenddessen abgesichert, die Partner teilen sich die gesparte Steuer. Nur der deutsche Fiskus wird dabei umgangen.

Juristische Bewertung und Gesetzgebung

Um die Steueranrechnung in Anspruch nehmen zu können, muss der inländische Finanzdienstleister bei Dividendenbezug zumindest wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien sein. Der Bundesfinanzhof stellte in einem Urteil vom August 2015 klar, dass bei einem Wertpapierleihgeschäft das „wirtschaftliche Eigentum“ an einer Aktie nicht auf den Entleiher übergeht, sondern nur eine „zivilrechtliche Eigentumshülle.“

Die Unwirksamkeit der Cum/Cum-Geschäfte könnte sich auch auf § 42 der Abgabenordnung (AO) stützen. Danach sind rechtsmissbräuchliche Steuergestaltungen steuerlich nicht anzuerkennen. Für Christoph Spengel, Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Universität Mannheim und Mitherausgeber des Fachmagazins Steuer und Wirtschaft, ist klar: „Selbst wenn man das wirtschaftliche Eigentum in Deutschland bejaht, dann ist weiterhin zu fragen, was denn der wirtschaftliche Zweck dieser Geschäfte war. Und wenn der es ausschließlich war, die Kapitalertragsteuer in Deutschland zu sparen, dann werden diese Geschäfte steuerlich nicht anerkannt.“

Geschichte

1988. Die FAZ macht erstmals in Artikeln das Thema Dividendenstripping bekannt. Die öffentliche Erregung hält sich allerdings in Grenzen. Es ändert sich nichts grundlegend. Banken, Händler und Makler verdienen weiter sehr viel Geld mit ihren dubiosen Konzepten.

1989 bis 1998. Theo Waigel (CSU) ist Bundesfinanzminister.

Ab 1992. Fünf Jahre später beschreibt die FAZ ausführlich „Die hohe Kunst des Strippens“ – also das Verschieben großer Aktienpakete zwischen Inländern und Ausländern um den Dividendenstichtag aus einem schlichten Grund: Inländer können sich die darauf fällige Steuer erstatten lassen, Ausländer nicht. Der Markt nutzt das aus: Man verkauft einfach die Aktien zu dem entscheidenden Stichtag – mit festgezurrtem Rückkauf wenig später.

Deutsche Behörden wissen nun, dass Banken und Investoren mit den Cum/Ex-Geschäften den Fiskus schädigen.

1999. Der Bundesfinanzhof (BFH) geht von der Rechtmäßigkeit eines Dividendenstrippings aus. Die Finanzverwaltung beschränkt jedoch durch einen Nichtanwendungserlass diese Rechtsprechung auf den entschiedenen Fall, so dass sie nicht auf vergleichbare künftige Fälle auszudehnen ist.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat entschieden, dass beim Dividendenstripping die allgemeine Missbrauchsregel des § 42 AO nicht anwendbar sei und durch die speziellere verschärfte Missbrauchsregel des § 50c EStG („Börsenklausel“) überlagert werde. Trotz dieser Verschärfung der Börsenklausel bleibt das Dividendenstripping insbesondere für ausländische Aktionäre attraktiv. Einerseits ist die zehntägige Abstandsfrist des § 50c Abs. 10 EStG selbst bei volatilen Börsenkursen kein Hindernis für ein Kopplungsgeschäft. Andererseits wird bei einem Verstoß nicht die Körperschaftsteueranrechnung versagt, sondern lediglich ein Sperrbetrag für zehn Jahre gebildet (§ 50c Abs. 1 EStG). Spätestens dann wirkt sich der Kursverlust in Höhe der Dividendenberechtigung in der Bilanz des Käufers aus. Da die Börsenklausel des § 50c EStG vollständig entfällt, tritt jetzt wieder die allgemeine Missbrauchsnorm des § 42 Abs. 2 AO in den Vordergrund.

1988 bis 1999. Oskar Lafontaine (SPD) ist  Bundesfinanzminister.

1999 bis 2005. Hans Eichel (SPD) ist Bundesfinanzminister.

2002. Das Finanzministerium weiß spätestens jetzt über die "Geschäfte" Bescheid. 

2005 bis 2009. Peer Steinbrück (SPD) ist Bundesfinanzminister. Danach ist er noch bis 2016 Mitglied des Deutschen Bundestags. Anschließend wird er den Vorstand der ING-DiBa beraten.

2007. Der BFH bestätigt seine Rechtsprechung zum Dividendenstripping noch. Danach erlange bei der Veräußerung von alten Aktien (Cum-Dividende) der Erwerber auch dann wirtschaftliches Eigentum an diesen, wenn er noch am selben Tag junge Aktien desselben Emittenten (Ex-Dividende) an den Veräußerer der alten Aktien verkauft. Gleiches gilt beim Ankauf von Aktien (Cum-Dividende) und anschließendem zeitnahen Rückverkauf gleicher oder gleichwertiger Aktien (Ex-Dividende).

In diesem Jahr kommen die Cum-Ex-Geschäfte in Deutschland erst so richtig in Schwung, nachdem eine Gesetzesänderung ein Schlupfloch für ausländische Investoren gelassen hat. Am Zustandekommen des Gesetzes sind auch der Bankenverband und die Deutsche Bank beteiligt, wie ein Untersuchungsausschuss des Bundestags 2016 offenbaren wird. Die Deutsche Bank selbst ist nach eigenen Angaben in einzelne Cum-Ex-Geschäfte verwickelt.

28. Oktober 2009 bis 2017. Wolfgang Schäuble (CDU) ist Bundesfinanzminister. 

Ab 2010. Das Bundesfinanzministerium arbeitet an einem Gesetz gegen Cum-Ex-Geschäfte, die in einem ersten Anlauf 2007 nur für inländische Banken unterbinden.

2011. Die umstrittene Praxis war in Deutschland jahrelang üblich und ist auch mit Hilfe von Gutachten großer Anwaltskanzleien abgesichert worden. Die HypoVereinsbank, Deutsche Bank, HSH Nordbank, Citi Deutschland und möglicherweise weitere Kreditinstitute haben Presseberichten zufolge in großem Volumen Dividendenstripping im Eigenhandel und im Kundengeschäft betrieben und sind deshalb in den Fokus der Steuerbehörden geraten.

März 2011. Ein nordrhein-westfälischer Finanzbeamter schickt einen Zeitungsartikel an die Steuerabteilung des Bundesfinanzministeriums, in dem über "Merkwürdigkeiten" bei Aktiengeschäften der DekaBank berichtet wird. Dieser Artikel wird intern noch am selben Tag an die zuständige Abteilung für Finanzmarktpolitik weitergeleitet.

Mai 2011. Bereits jetzt wird das Bundesfinanzministerium vom Münchener Oberbürgermeister Christian Ude über Cum/Cum-Geschäfte der DekaBank informiert. Das Ministerium sieht jedoch zu diesem Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf.

Ab 2012. Das Gesetzt gegen Cum-Ex-Geschäfte tritt in Kraft. Nun sind nicht mehr die Aktiengesellschaften selbst, sondern die depotführenden Banken zur Abführung der Kapitalertragssteuer verpflichtet, sodass eine Übereinstimmung zwischen Bescheinigung der Kapitalertragssteuer und tatsächlicher Erhebung gewährleistet ist.

24. Mai 2013. Erst jetzt stellt die deutsche Regierung in einer Antwort auf eine Parlamentarische Anfrage klar, es bestehe „generell kein Anrechnungs- oder Erstattungsanspruch“ beim Dividendenstripping und erklärt die „betriebenen Modelle sind illegal“. Dabei stellt die Regierung klar, dass es keine Gesetzeslücke gebe. 

2014. Auch der BFH lehnt in einem Urteil das wirtschaftliche Eigentum des Erwerbers ab.

Der Spiegel kommt zu dem Schluss, dass das Finanzministerium durch jahrelange Untätigkeit die Nutzung des Dividendenstripping in Cum-Ex-Fonds möglich machte und veröffentlicht die Namen einiger deutscher Prominenter, die Geld mit Cum-Ex-Fonds verdient haben.

2015. Deutschland warnt seine europäischen Nachbarn erst jetzt über eine OECD-Datenbank vor Cum-Ex-Geschäften.

August 2015. Der Bundesfinanzhof stellt in einem Urteil klar, dass bei einem Wertpapierleihgeschäft das „wirtschaftliche Eigentum“ an einer Aktie nicht auf den Entleiher übergeht, sondern nur eine „zivilrechtliche Eigentumshülle.“

2016. Erst jetzt kommt es zu einem Verbot der Cum-Cum-Geschäfte. Allein durch sie entgingen dem deutschen Fiskus jährlich bis zu sechs Milliarden Euro. Die langsame Reaktion der Politik wird auch auf den Einfluss von Bankenlobbyisten auf das Finanzministerium zurückgeführt.

Februar 2016. Aufgrund von Steuernachforderungen, die aus Cum- und Ex-Geschäften resultiern, wird die Maple Bank durch die BaFin geschlossen. Anschließend wird ein Insolvenzverfahren eröffnet.

In diesem Zusammenhang wird daraufhin vereinzelt in der Literatur auf strafrechtliche Risiken hingewiesen. Es kommt zu Hausdurchsuchungen bei den beteiligten Banken. Allerdings bleibt dieses Vorgehen, insbesondere im Hinblick auf die langjährige Duldung von Seiten der Legislative, nicht ohne Kritik. Bei diesen Hausdurchsuchungen geht es um Altgeschäfte bis 2011, da seitdem die Steuervorteile bei den umstrittenen Transaktionen wegen des Zusammenfallens von bescheinigendem Institut und abführendem Institut nicht mehr so einfach zu erzielen sind.

15. Februar 2016. Eine ARD-Sendung beschäftigt sich unter dem Titel Milliarden für Millionäre – Wie der Staat unser Geld an Reiche verschenkt mit den Cum-Ex-Fonds.

19. Februar 2016. Der Deutsche Bundestag beschließt auf Betreiben von Grünen und Die Linke einen Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Geschäften. Bei der Abstimmung über die Einsetzung enthalten sich die Abgeordneten von SPD und Union. Der Ausschuss soll die Verantwortung von Regierung, Finanzverwaltung und Finanzaufsicht für das Dividendenstripping klären. Ebenfalls soll geklärt werden, ob es – und falls ja, von wem – Einflussnahmen mit dem Ziel gab, das Modell des Dividendenstrippings nicht oder nicht gänzlich abzuschaffen. Die Grünen und die Linken schätzen, dass der Fiskus 12 Milliarden Euro durch Cum-Ex-Geschäfte verlor.

Ausschussvorsitzender ist der Abgeordnete Hans-Ulrich Krüger (SPD). Die Obleute der Fraktionen sind: Christian Hirte (CDU/CSU-Fraktion), Andreas Schwarz (SPD), Richard Pitterle (Die Linke) und Gerhard Schick (Bündnis 90/Die Grünen). Weitere ordentliche Ausschussmitglieder sind Philipp Graf Lerchenfeld (CSU), Fritz Güntzler (CDU) und Sabine Sütterlin-Waack (CDU). Stellvertretende Ausschussmitglieder sind für die CDU/CSU Matthias Hauer, Anja Karliczek, Bettina Kudla und Hans Michelbach, für die SPD Metin Hakverdi und Sarah Ryglewski, für Die Linke Axel Troost und für die Grünen Lisa Paus.

Arnold Ramackers, ein ehemaliger Finanzrichter aus Düsseldorf, sagt im Untersuchungsausschuss aus. Ramackers soll im Sinne führender Banken Gesetzestexte formuliert haben. Ramackers war unter anderem an dem Gesetz von 2007 beteiligt, das Cum-Ex-Geschäfte legalisierte und Banken und Anlegern ermöglichte, mit Hilfe der Cum-Ex-Geschäften Milliarden von Euro am Staat vorbei zu schleusen. Er hatte Zugang zu Dokumenten, die Parlament und Öffentlichkeit nicht erhalten durften, und hat sie an Banken weitergereicht, so dass diese die neuen Regelungen gleich wieder umgehen konnten. Auch im Ruhestand soll Ramackers noch Einfluss ins Ministerium gehabt, sich an der Formulierung von Gesetzen beteiligt und an Sitzungen teilgenommen haben. Später nahm Ramackers einen Beratervertrag beim Bundesverband deutscher Banken an.

Ende Februar 2016. Um diese fragwürdigen Geschäfte zu verhindern, beabsichtigt die Bundesregierung laut einem Gesetzentwurf rückwirkend zum 1. Januar 2016 eine Mindestzeit festzulegen, die eine Aktie gehalten werden muss, damit ihre Dividende bei der Kapitalertragsteuer angerechnet werden kann. Um sich die bereits von der Aktiengesellschaft abgeführte Kapitalertragsteuer auf die Dividende erstatten zu lassen, müssen die Anleger die Papiere künftig 45 Tage vor und nach dem Stichtag im Besitz haben. Damit Anleger mit geringen Aktienbeständen von der Regelung nicht getroffen werden, will die Bundesregierung eine Mindestgrenze einführen, z. B. nur für Dividenden aus inländischen Aktien mit mehr als 20.000 Euro pro Jahr.

2. Mai 2016. Ein Rechercheverbund veröffentlicht seine Untersuchungen zu Cum/Cum-Geschäften, mit denen Banken ihren Kunden halfen, Kapitalertragssteuern in Millionenhöhe zu vermeiden. Diese Geschäfte „sind in der Bankenwelt seit Jahren ein offenes Geheimnis“ und wurden von vielen deutschen Banken praktiziert. Besonders häufig soll die Commerzbank an den Cum/Cum-Geschäften beteiligt gewesen sein.

September 2016. Bisher zahlten die Hypo-Vereinsbank, die Landesbank Baden-Württemberg und die HSH Nordbank insgesamt knapp 500 Millionen Euro an den Staat zurück – teils vorläufig, weil die Ermittlungen noch andauern.

2017. In den ersten Monaten des Jahres sagen mehrere Insider nach Recherchen des Rechercheverbunds NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung über ihr Wissen in Bezug auf umfangreiche mutmaßlich strafbare Cum/Ex-Geschäfte aus. Dieser Ermittlungserfolg der Staatsanwaltschaft Köln und einer speziellen Ermittlungsgruppe des Landeskriminalamts Düsseldorf kann als einer der größten Erfolge bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität in Deutschland gelten. Die Vorwürfe betreffen Steuerhinterziehung in zahlreichen besonders schweren Fällen; den Beschuldigten drohen Haftstrafen zwischen fünf und zehn Jahren. Im Zentrum des Geschehens stünden neben zahlreichen Banken etwa zehn bis 15 internationale Börsenhändler. Sie sollen sich auf Kosten des Fiskus mit jeweils mehreren hundert Millionen Euro an den Cum/Ex-Geschäften bereichert haben. Der Steuerschaden in Deutschland soll insgesamt 31,8 Milliarden Euro betragen. Die Insider, die ausgesagt haben, können für ihre Mithilfe bei der Aufklärung mit Strafnachlass rechnen (Kronzeugenregelung).

Der renommierte Steuerprofessor Christoph Spengel von der Universität Mannheim berechnet, dass dem deutschen Fiskus zwischen 2001 und 2016 mindestens 31,8 Milliarden Euro entgangen sind. Im Zuge der Cum-Ex-Files kommen nun in Frankreich mindestens 17 Milliarden, in Italien 4,5 Milliarden, in Dänemark 1,7 Milliarden und in Belgien 201 Millionen dazu. Einige Staaten konnten Teilbeträge zurückfordern. Für die anderen betroffenen Länder liegen keine offiziellen Zahlen oder belastbare Marktdaten vor.

Februar 2017. Wolfgang Schäuble erklärt, als Finanzminister Anfang 2010 zum ersten Mal von den Cum-ex-Geschäften erfahren zu haben. Im Juni sei dann die Grundsatzentscheidung gefallen, Cum-ex-Geschäften endgültig einen Riegel vorzuschieben. In Kraft gesetzt habe man die Neuregelung zum 1. Januar 2012. „Ich finde im Nachhinein, dass das ungewöhnlich schnell war“.

21. Juni 2017. Die Beschlussempfehlung und der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses werden vorgestellt (BT-Drs. 18/12700).

Juli 2017. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) schickt allen rund 1800 deutschen Banken und Sparkassen Fragebögen, die sie bis spätestens Ende Oktober beantworten müssen. Die Bafin möchte wissen, mit welchen Rückzahlungen die Banken rechnen, ob ihre Stabilität dadurch gefährdet sein könnte und was sie in diesem Fall zu tun gedenken. Sie befürchtet offenbar, dass insbesondere kleinere Banken in Schwierigkeiten geraten können und dann dringend frisches Kapital benötigen.

28. September 2017. Ein Team aus acht Rechercheuren und Reportern von ZEIT ONLINE, DIE ZEIT und dem ARD-Magazin Panorama wird mit dem Deutschen Journalistenpreis Wirtschaft-Börse-Finanzen (djp) ausgezeichnet. Lutz Ackermann, Benedikt Becker, Manuel Daubenberger, Philip Faigle, Karsten Polke-Majewski, Felix Rohrbeck, Christian Salewski und Oliver Schröm gewinnen den Preis in der Kategorie Bank & Versicherung.

Oktober 2017. Die erste Anklage wegen Dividendenstripping wird gegen den Steueranwalt Hanno Berger sowie gegen mehrere ehemalige Aktienhändler der Hypovereinsbank wegen Steuerhinterziehung erhoben.

18. Oktober 2017. Ein US-Pensionsfonds, der in Cum-Ex-Geschäfte verwickelt ist, klagt gegen das Bundeszentralamt für Steuern. Der Fonds namens KK Law Firm Retirement Plan Trust besteht auf einer Auszahlung von 28 Millionen Euro. 

KK Law hatte die Rückerstattung 2011 beantragt. Das Bundeszentralamt für Steuern zahlte die Millionen aber nicht mehr aus, weil es bereits den Verdacht hatte, es könnte sich um Betrug handeln. Zum ersten Mal landete der Fall dann in diesem Sommer vor dem Finanzgericht Köln. Die Richter verpflichteten das Bundeszentralamt für Steuern, einen Bescheid über den Antrag zu erlassen. Das tat das Amt. Die Forderung von KK Law wurde abgelehnt. Gegen diese Entscheidung klagt der Fonds nun wieder vor dem Finanzgericht Köln.     

Das Urteil, das frühestens Ende des Jahres erwartet wird, könnte Signalwirkung haben. Denn es gibt noch eine Reihe weiterer US-Pensionsfonds, denen das Bundeszentralamt ebenfalls kein Geld mehr ausgezahlt hat. Insgesamt geht es um mehrere Hundert Millionen Euro.  

28. November 2017. Der Film "Milliarden aus der Staatskasse - Auf der Spur der Steuerräuber" von Lutz Ackermann, Benedikt Becker, Manuel Daubenberger, Philp Faigle, Karsten Polke-Majewski, Felix Rohrbeck, Christian Salewski und Oliver Schröm wird mit dem Georg von Holtzbrinck-Preis für Wirtschaftsjournalismus ausgezeichnet.

Anfang 2018. Bei den Cum-Ex-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Köln fällt zum ersten Mal der Name Blackrock. Die Vernehmungsbeamten werden offenbar gleich hellhörig. Einer von mehreren Kronzeugen, der zum wiederholten Male aussagt über Deutschlands größten Steuerraubzug, weiß ein klein wenig zu berichten über den größten Vermögensverwalter der Welt. Die Rede ist von börsengehandelten Indexfonds, bekannt als ETFs, die computergestützt die Wertentwicklung von Aktienindizes wie dem Dax nachbilden. Und von Blackrocks Marke iShares, dem weltweit größten Anbieter solcher Fonds.

Ab 14. März 2018. Olaf Scholz (SPD) ist Bundesfinanzminister.

Juni 2018. Die Staatsanwaltschaft Köln eröffnet ein Ermittlungsverfahren gegen die spanische Großbank Santander. Sie soll im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften als sogenannter Leerverkäufer agiert haben. Auch gegen die australische Macquarie-Bank wird ermittelt.

26. Juni 2018. Als die Staatsanwaltschaft Köln die Durchsuchungsbeschlüsse für eine größere Razzia im November erwirkt, geht es noch nicht um Blackrock.

11. Juli 2018. Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt führt eine Razzia bei der der DZ Bank in Frankfurt durch. Vier Börsenhändler des Geldinstituts sollen mit Cum-Ex-Geschäften den Fiskus betrogen zu haben. Die Durchsuchung läuft so unauffällig ab, dass sie erst am 30. August 2018 bekannt wird.

Die Bank teilt auf Anfrage mit, man habe selbst "Auffälligkeiten aufgedeckt". Anschließend habe man im Jahr 2016 sämtliche auch mithilfe externer Prüfer erstellten Untersuchungsberichte den Behörden zur Verfügung gestellt. Das Verfahren mit der Finanzverwaltung sei abgeschlossen, Ende 2017 habe man den Schaden nebst Zinsen erstattet und insgesamt 149 Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt. 

Mitte Oktober 2018. Die sogenannten CumEx-Files werden nach einer investigativen Recherche von 19 europäischen Medien aus 12 Ländern unter Leitung des Recherchezentrums Correctiv veröffentlicht. 

Danach beläuft sich der Schaden für die Steuerzahler aus Deutschland und mindestens zehn anderen europäischen Ländern durch Cum-Cum- und Cum-Ex-Geschäfte auf mindestens 55,2 Milliarden Euro, davon mehr als 31 Milliarden Euro Schaden für die deutschen Steuerzahler.

Auch habe es die deutsche Bundesregierung über Jahre hinweg unterlassen, ihre europäischen Partnerländer zu warnen, obwohl das Bundesfinanzministerium mindestens seit 2002 von den illegalen Machenschaften wusste. Die Recherchen belegen zudem, dass die Geschäfte bis heute weitergehen.

Dem Bundesfinanzministerium und dem Bundeszentralamt für Steuern sind in der Cum-Ex-Affäre bisher für Deutschland 418 Fälle mit einem Volumen von 5,7 Milliarden Euro bekannt.

22. Oktober 2018. Dänemark verlangt Aufklärung von Deutschland. Die deutschen Behörden sollen bereits seit dem Jahr 2012 gewusst haben, dass auch der dänische Staat von dem Steuerbetrug betroffen war. Eine Warnung erhielten die Dänen offenbar nicht. Bis 2015 soll so ein Schaden von rund 12,7 Milliarden Kronen (rund 1,7 Milliarden Euro) entstanden sein. Erst ein Hinweis der Bank of England führte 2015 zur Aufdeckung des Betrugs.

26. Oktober 2018. Die Ermittler haben erst jetzt genug Informationen, um beim Amtsgericht Köln auch wegen Blackrock vorstellig zu werden. Das Gericht ordnet daraufhin an, auch die Fondsgesellschaft zu filzen.

30. Oktober 2018. Friedrich Merz (Aufsichtsratsvorsitzender von BlackRock) verkündet in einer Pressemitteilung seine Kandidatur für den Parteivorsitz bei der CDU.

1. November 2018. Der Vermögensverwalter Blackrock erklärt an diesem Tag, er habe sich nie an fragwürdigen Steuergeschäften zulasten der Staatskasse beteiligt: "Blackrock hat weder Cum-Cum- noch Cum-Ex-Geschäfte aufgesetzt und war auch nicht daran beteiligt. Derartige Aktivitäten gehören nicht zum Geschäftsmodell von Blackrock."

6. November 2018. Beamte der Kölner Staatsanwaltschaft durchsuchen Geschäftsräume des Vermögensverwalters Blackrock in München wegen umstrittener Cum-Ex-Geschäfte. Ein Konzernsprecher sagt: "Blackrock arbeitet in einer laufenden Untersuchung im Zusammenhang mit Cum-Ex-Transaktionen im Zeitraum 2007 bis 2011 uneingeschränkt mit den Ermittlungsbehörden zusammen."

Ob Mitarbeiter von Blackrock beschuldigt werden oder die Konzern-Niederlassung sozusagen im Zeugenstatus durchsucht worden ist, bleibt offen. Die Staatsanwaltschaften München und Köln möchten sich nicht äußern. Bekannt ist allerdings, dass die Staatsanwaltschaft Köln in dem Cum-Ex-Steuerskandal im Umfeld zahlreicher Banken ermittelt und inzwischen eine dreistellige Zahl von Beschuldigten führt.

Friedrich Merz verspricht am Abend in Düsseldorf umfassende Aufklärung: Er habe in Deutschland den Blackrock-Vorstand "angewiesen, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten und alle Dokumente auf den Tisch zu legen. Es wird hier alles aufgeklärt und wir werden daran aktiv mitarbeiten. Das wird der Vorstand nach meiner Weisung tun."

Ermittler sind offenbar auch bei der Hypo-Vereinsbank (HVB) in München angerückt. Gegen die Bank gibt es keine neuen Vorwürfe - es soll lediglich darum gehen, Material zu beschaffen, das andere Beschuldigte betrifft. Die Bank hat im Zusammenhang mit Cum-Ex schon vor Jahren reinen Tisch gemacht.

7. November 2018. Die Staatsanwaltschaft Köln stellt klar: Gegen den Blackrock-Aufsichtsratschef Merz lägen „keine Verdachtsmomente für die Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit vor“.

Bilder aus Wikimedia Commons
Aktie eines US-Unternehmens von 1968, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International, Urheber: Kadereit

Quellen