Montag, 14. September 2015

Fritz Straßmann

Gedenktafel zur Erinnerung
 an Fritz Straßmann und Otto Hahn
 am Otto-Hahn-Bau
der Freien Universität Berlin
Der deutsche Chemiker Fritz Straßmann (eigentlich Friedrich Wilhelm Straßmann) wurde am 22. Februar 1902 in Boppard geboren († 22. April 1980 in Mainz). Er gilt zusammen mit Otto Hahn als Entdecker der Atomspaltung.

Leben

22. Februar 1902. Fritz Straßmann wird als neuntes und letztes Kind eines mittleren Gerichtsbeamten in Boppard geboren. Seinen Taufnamen „Friedrich Wilhelm“ (in der Kaiserzeit keine Seltenheit) gebrauchen seine Familie und er selbst nur im Scherz. 

1907. Schon während seiner Schulzeit in Düsseldorf, wohin sein Vater in diesem Jahr versetzt wird, interessiert er sich für Chemie.

1920. Nach seinem Abitur an der Technischen Hochschule Hannover studiert er Chemie. Dort findet er auch Zugang zur Musikantengilde Hannover, erlernt das Violinspiel und begegnet in diesen musikalisch interessierten studentischen Freundeskreisen Maria Heckter und Irmgard Hartmann, seinen späteren Ehefrauen.

1929. Er beendet sein Studium mit der Promotion zum Dr. Ing. bei Hermann Braune mit der Arbeit: „Über die Beeinflussung der Sättigungsdampfkonzentration durch Anwesenheit komprimierter unidealer Gase (System I2 - CO2)“.
Straßmann bleibt zunächst als Assistent bei seinem Doktorvater in Hannover, als ihm jedoch im gleichen Jahr ein Stipendium der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft für das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Chemie in Berlin-Dahlem angeboten wird, nimmt er ohne Zögern an. Sein Gehalt ist mit 180 Reichsmark zwar wesentlich geringer als an der Technischen Hochschule (400 Reichsmark), ihn reizt jedoch das neue Arbeitsgebiet, die Radiochemie, unter dem bekannten Chemiker Otto Hahn.
Er erlernt das Arbeiten mit radioaktiven Isotopen und deren Anwendung zur Aufklärung von Strukturveränderungen einzelner Substanzen sowie zur Altersbestimmung von Mineralien und Gesteinen. Dabei kommen ihm seine gründlichen Kenntnisse und Fähigkeiten in analytischer Chemie sehr zustatten.

Ende 1932. Sein Stipendium läuft aus, er darf jedoch unbezahlt am KWI weiterarbeiten.

1934. Ihm wird eine Stelle in der chemischen Industrie angeboten, er lehnt jedoch ab, weil er hierzu in eine der nationalsozialistischen Berufsorganisationen eintreten müsste.

Herbst 1934. Enrico Fermi veröffentlicht die Ergebnisse seiner Bestrahlungsversuche von Uran und anderen chemischen Elementen mit Neutronen. Er hat dabei Kernumwandlungen beobachtet, die seiner Ansicht nach beim Uran zu Elementen mit einer größeren Ordnungszahl als der des Urans führen. Der chemische Nachweis für eine solche Umwandlung gelang Fermi und seinen Mitarbeitern allerdings nicht.
Von Otto Hahn und Lise Meitner, der Leiterin der Physikalischen Abteilung des KWI, wird deshalb dieses Problem am Kaiser-Wilhelm-Institut aufgegriffen. Die Durchführung der dabei notwendigen chemischen Trennungen und Analysen wird Straßmann übertragen. Damit beginnt eine vierjährige Suche der Arbeitsgemeinschaft Hahn, Meitner, Straßmann nach Transuranen, die letztlich jedoch weniger zu den Transuranen, dafür aber zu der Entdeckung der Atomkernspaltung des Urans führt.

1935. Er bekommt schließlich eine Assistentenstelle am Institut.

1937. Er heiratet er die Chemikerin Dr.-Ing. Maria Heckter.

Ende 1938. Hahn und Straßmann gelingt der chemische Nachweis der Atomkernspaltung gelang Hahn und Straßmann durch die Identifizierung eines der Spaltprodukte, nämlich eines in der Natur nicht vorkommenden radioaktiven Bariumisotops. Die physikalische Deutung dieses für Chemiker und Atomphysiker gleichermaßen rätselhaften Vorgangs erfolgt einige Wochen später durch Lise Meitner (die Deutschland im Sommer 1938 verlassen hat) und ihren Neffen Otto Frisch.

1939 bis 1946. Strassmann arbeitet an der Aufklärung der Spaltprodukte von Thorium und Uran sowie dem Element 93. Auch in den Kriegsjahren werden alle diese Forschungsergebnisse des KWI in allgemein zugänglichen Fachzeitschriften veröffentlicht.

1940. Der Sohn Martin wird geboren.

Frühjahr 1944. Bei Bombenangriffen im Frühjahr 1944 wird das KWI in Berlin schwer beschädigt und deshalb nach Tailfingen (Württemberg) verlagert.

Ende April 1945. Otto Hahn wird in Tailfingen, heute ein Stadtteil von Albstadt, von einer US-amerikanischen Spezialtruppe in Gewahrsam genommen und zusammen mit deutschen Wissenschaftlern aus anderen Instituten in Cambridge (England) interniert. Die kommissarische Leitung des Instituts übernimmt deshalb der Physiker Josef Mattauch, der im Februar 1939 an das KWI gekommen ist und dort eine massenspektrographische Abteilung aufgebaut hat; Straßmann wird die Leitung der radiochemischen Abteilung übertragen.

Juni 1945. Die verbliebenen Wissenschaftler erhalten von einer französischen Kommission unter Frédéric Joliot-Curie die Zusage, ab sofort und uneingeschränkt wieder arbeiten zu können. Tailfingen liegt in der französischen Besatzungszone. Da die Laboratorien jedoch in einer Textilfabrik nur provisorisch untergebracht sind und sich das Fehlen eines engeren Kontakts mit einer Universität ungünstig bemerkbar macht, wird bald darauf eine Verlagerung nach Tübingen erwogen. Der hierfür vorgesehene Gebäudekomplex wird allerdings nach dem Abschluss der Planungen von französischen Militärbehörden beschlagnahmt.

Anfang 1946. Otto Hahn kehrt aus England zurück. Bereits während seines dortigen Aufenthalts ist er zum Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft gewählt worden. Er übernimmt deshalb nicht mehr die Leitung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie. Sein Nachfolger und erster Direktor am KWI wird Josef Mattauch.

1946 bis 1951. Da Josef Mattauch jedoch infolge schwerer Erkrankung fast ständig in der Schweiz lebte, muss Straßmann während dieser Zeit auch dessen Verpflichtungen (in Tailfingen und Mainz) mit übernehmen und somit den Neubau des KWI auf dem Universitätsgelände in Mainz leiten.
Straßmann pendelt zwischen Tailfingen und Mainz hin und her.

Mai 1946. Joliot-Curie schlägt wegen der Beschlagnahmung als neuen Standort Mainz vor. Dort solle die Universität Mainz neu gegründet werden, die durch die Nachbarschaft des Forschungsinstituts sicher eine Aufwertung erfahren würde.

Juni 1946. Erste Vorgespräche in Mainz mit dem Gründungsrektor der Universität werden von Straßmann geführt. Anlässlich der dieser Gespräche wird er vom Gründungsrektor gefragt, ob er bereit sei, als o. Professor an die Universität zu kommen und hier die Chemie "quasi aus dem Nichts" aufzubauen. Straßmann sagt zu. Der Rektor verzichtetet daraufhin auf ein Habilitationsverfahren. Die Berufung wird bereits zum 1. Juli 1946 ausgesprochen.
Fritz Straßmann war in der Zeit des Nationalsozialismus eine Habilitation an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin wegen seiner antinationalsozialistischen Einstellung verweigert worden. 
Straßmann wird zum Ordinarius und Leiter des Chemischen Instituts ernannt, das in dieser Aufbauphase aus den Abteilungen für anorganisch-analytische Chemie, organische Chemie und physikalische Chemie besteht. Die Lehrstühle für organische und physikalische Chemie werden erst zum Wintersemester 1946/47 besetzt. Die Umwandlung in eigene Institute erfolgt für die drei Abteilungen in den Jahren 1948 bis 1951.

Ab Juli 1946. Strassmann hat an der Universität einen Lehrstuhl für Anorganische Chemie inne und auch hier mit großen Schwierigkeiten beim Aufbau der Laboratorien zu kämpfen. 

Wintersemester 1946/47. Straßmann beginnt den Lehrbetrieb für anorganische und analytische Chemie in der Aula der Universität.

1947. Es kann im Chemiesaal eines Mainzer Gymnasiums das erste Laboratorium mit Arbeitsplätzen für 35 Studenten in Betrieb genommen werden. Dem Rest von etwa 200 bis 300 Chemiestudenten wird erlaubt, die erforderlichen Experimentalarbeiten in Schulen, Werkslaboratorien oder Apotheken unter entsprechender Aufsicht auszuführen. Manche zum Praktikumsbetrieb notwendigen Chemikalien kauft Straßmann persönlich in der amerikanisch besetzten Zone in Frankfurt. Der Inhalt seines Rucksacks wird hin und wieder von der Militärpolizei kontrolliert. Zwischen 1947 und 1948 werden dann in Kellerräumen der Universität 60 Arbeitsplätze für die anorganischen Anfängerpraktika eingerichtet.

Jahresende 1947. Weil er zwischen Mainz und Tailfingen pendeln muss bewilligen ihm die französischen Behörden den privaten Kauf eines PKW

1949. Strassman zieht mit seiner Familie von Tailfingen nach Mainz um.

Sommer 1949. Einige Garagen der ehemaligen Kaserne sind einem kleinen Institut für Anorganische Chemie umgebaut. Es gibt dort nun auch erste Arbeitsplätze für Diplomanden und Doktoranden. In seiner Eigenschaft als Leiter der radiochemischen Abteilung des benachbarten MPI für Chemie kann Straßmann einigen seiner Doktoranden auch dort einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen.

Herbst 1949. Das Kaiser-Wilhelm-Instituts, das mittlerweile in Max-Planck-Institut für Chemie (MPI für Chemie) umbenannt worden ist zieht nach Mainz um.

1950. Fritz Straßmann, der Leiter der radiochemischen Abteilung, wird zum zweiten Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts ernannt. 

1950/51. Zum Wintersemester erhält das Institut für Anorganische Chemie ein Extraordinariat für Analytische Chemie, das mit Wilhelm Geilmann, einem der Lehrer Straßmanns an der TU Hannover, besetzt werden kann. Geilmann übernimmt die Leitung der immer noch spärlich ausgestatteten analytischen Laboratorien und entlastet Straßmann von der Betreuung der Anfängerpraktika und den Vorlesungen in analytischer Chemie.

1952/53. Nachdem ein erster Neubau des Instituts für Anorganische Chemie fertiggestellt ist bessert sich die Arbeitsplatzsituation für die Studierenden. Bei der Beschaffung moderner Messgeräte aus den USA hilft der Marshallplan.

Februar 1952. Josef Mattauch kehrt nach Mainz zurück. Er ist Physiker und möchte die massenspektrographische Abteilung weiter ausbauen. Er räumt deshalb vom Personal- und Sachetat des Instituts der radiochemischen Abteilung nur einen sehr geringen Teil ein, so dass Straßmann sich außerstande sieht, die Arbeiten dieser Abteilung im Sinne der Tradition des Dahlemer Instituts fortzuführen.

Herbst 1955. Mitten in dieser Phase, im Herbst 1955, geben die Atommächte auf der UNO-Konferenz „Peaceful Uses of Atomic Energy“ in Genf das Know-how der Atomreaktortechnik frei. Danach werden Forschungsreaktoren kommerziell angeboten. Straßmann hält sich jedoch zurück; ihm scheinen diese Anlagen noch zu komplex und zu wenig auf die Bedürfnisse atomkernchemischer Arbeiten ausgerichtet zu sein. 

1. April 1956. Fritz Straßmann scheidet auf eigenen Wunsch aus dem MPI für Chemie aus und widmet sich nun ausschließlich seiner Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Mainz, vor allem dem Auf- und Ausbau des anorganisch-chemischen Instituts.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Max-Planck-Institut baute Straßmann nun an der Universität sein ureigenstes Arbeitsgebiet Atomkernchemie mit dem Ziel auf, dort die Tradition des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie fortzusetzen. Auf seine Initiative hin und mit Unterstützung des Vorstands der BASF in Ludwigshafen bewilligt die Landesregierung Rheinland-Pfalz der Universität aus dem Körperschaftssteueraufkommen dieser Firma erhebliche Finanzmittel zum Aufbau der Chemischen Institute einschließlich einer modernen atomkernchemischen Abteilung. So entstehen Mitte der fünfziger Jahre die überhaupt ersten Neubauten auf dem Universitätsgelände. Gleichzeitig stellt die Deutsche Forschungsgemeinschaft die Mittel für einen kommerziellen Neutronengenerator, einen "Drucktank-Kaskadenbeschleuniger" bereit, der als Neutronenquelle für vertiefte Studien der Atomkernspaltung benötigt wird. Die Umbenennung des Instituts für Anorganische Chemie in "Institut für Anorganische Chemie und Kernchemie" (1960) trägt dem Rechnung.

April 1956. Seine Frau Maria Straßmanns stirbt.

April 1957. Straßmann ist einer der Unterzeichner der Göttinger Erklärung, in der sich achtzehn führende deutsche Atomkernforscher gegen die Absicht der Bundesregierung wenden, die Bundeswehr atomar zu bewaffnen.

1958. Einen ihm geeignet erscheinenden Reaktor findet er dann auf der zweiten Genfer UNO-Konferenz bei der Firma General Atomics (San Diego/California). Er wird in der begleitenden Ausstellung in Betrieb gezeigt.

1959. Straßmann heiratet die Journalistin Irmgard Hartmann.

Ende 1959. Straßmann besucht die Firma General Atomics in den USA aus Interesse für einen Typ TRIGA Mark II-Kernreaktor. Es handelt sich um einen "Schwimmbad"-Reaktor mit etwa 70 Brennelementen, die am Boden eines 6 m hohen Wassertanks angeordnet sind. Sie enthalten etwa 2,3 kg Uran, dessen Gehalt an Uran-235 auf 20 % angereichert ist. Im Dauerbetrieb beträgt seine Leistung maximal 100 kW. Das Besondere an dem Reaktor ist die Möglichkeit, ihn auch im Impulsbetrieb zu fahren. Hierzu kann die Leistung des Reaktors für den Bruchteil einer Sekunde auf bis zu 250 MW erhöht werden. Der Impulsbetrieb dient unter anderem zur Untersuchung kurzlebiger Spaltprodukte mit Halbwertszeiten bis herab in den Sekunden- und Zehntelsekundenbereich. Sie werden mit voll automatisierten Trennmethoden innerhalb weniger Sekunden aus dem durch die kurze, aber sehr intensive Neutronenbestrahlung gebildeten komplexen radioaktiven Gemisch isoliert. Diese "schnelle Chemie" wird zu einem Markenzeichen der Mainzer Atomkernchemie, an die auch das im Gebäude verlegte Rohrpost-System erinnert.
Bis zur Lieferung und Inbetriebnahme des Forschungsreaktors Mainz (FRMZ) vergehen jedoch mehr als sieben Jahre, die für Straßmann mit langwierigen Verhandlungen, Gebäudeplanungen, dem Einholen von Gutachten und Genehmigungen und dem geduldigen Warten auf einen günstigen Bescheid angefüllt sind.

3. April 1967. Der Mainzer Forschungsreaktor wird eingeweiht. Straßmann und seine Mitarbeiter hatten sich einen früheren Termin erhofft. Er ist jedoch bereit, seine anstehende Emeritierung um drei Jahre zu verschieben, um während dieser Zeit die Überleitung des Reaktors und der atomkernchemischen Abteilung in ein selbständiges Institut für Atomkernchemie voranzubringen und die Amtsgeschäfte seinem Nachfolger zu übergeben. 

1970. Straßman wird emeritiert. Er behält jedoch seine direkt neben dem Reaktor gelegene Wohnung auf dem Universitätsgelände. Er hatte nun mehr Zeit für Gartenarbeit und Violinspiel und ging für einige Jahre bei seinen Schülern in die Lehre, um wenigstens die nunmehr üblichen Methoden der Kernchemie genauer kennenzulernen. Für eigene Forschungsarbeiten am Reaktor war es für ihn allerdings zu spät.

1972. Die Teilung des bisherigen Straßmann-Instituts in zwei voneinander unabhängige Institute, das "Institut für Anorganische Chemie und Analytische Chemie" und das "Institut für Kernchemie" erfolgte.

22. April 1980. Fritz Straßmann stirbt nach langer Krankheit in Mainz.

Gedenktafel zur Erinnerung an Fritz Straßmann und Otto Hahn am Otto-Hahn-Bau der Freien Universität Berlin, Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported, Urheber: User:Torinberl

Quellen